Das oft glamourös wirkende Filmbusiness steht wieder wegen Übergriffen und Diskriminierung im Fokus.

Foto: AP / Daniel Cole

Die Plattform #we_do! sammelt seit 2019 Fälle von Übergriffen, Diskriminierung und arbeitsrechtlichen Missständen in der österreichischen Filmbranche. Seit der Gründung der Anlauf- und Beratungsstelle für Filmschaffende in Österreich bewegten sich die Anfragen zwischen 20 und knapp 40 pro Jahr. Seit dem Aufruf der Regisseurin Katharina Mückstein auf Instagram, von Erlebnissen in der Film- und Theaterbranche zu berichten, häufen sie sich massiv, erzählt Meike Lauggas von #we_do!.

STANDARD: Waren Sie überrascht, dass sich in sozialen Medien nun so viele zu Missständen in der Film- und Theaterbranche melden?

Lauggas: Nein, null. Mein Kollege Daniel Sanin und ich sind seit zehn Tagen nur mehr mit #we_do! beschäftigt. Jetzt melden sich bei uns zahlreiche Betroffene, in- und ausländische Presse, aber auch Menschen aus anderen Branchen. Wir wissen schon lange von zahlreichen Vorkommnissen. Es ist wichtig, dass Betroffene wissen, dass sie nichts tun müssen, wenn sie sich bei uns melden. Sie müssen nicht aussagen, nicht vor Gericht, es passiert ohne ihre Zustimmung rein gar nichts. Und alles ist anonym und kostenlos. Es gibt auch Einzelne, die jetzt bereit sind, mit Namen und Gesicht etwas zu unternehmen. Doch es wäre gut, wenn wir sagen könnten: Das ist eine, und wir haben noch 30 weitere, von denen wir ja wissen, dass es sie gibt. Ich bin froh, dass das losgerollt wurde – es ist höchst an der Zeit, zu viel ist unter der Hand bereits schon lange bekannt.

STANDARD: Was könnt ihr konkret für Betroffene tun?

Lauggas: Grundsätzlich orientieren wir uns ausschließlich daran, was die Leute selbst wollen. Wir dokumentiere Fälle, helfen Betroffenen, einzuordnen, was passiert ist, worum es ihnen geht, wie es ihnen gerade geht. Wenn mehrere Meldungen von ein und demselben Namen kommen, bieten wir auch an, sich unter unserer Moderation zu treffen und auszutauschen. Denn es macht einen Riesenunterschied, ob ich allein in der Nacht darüber grüble oder ob man – ganz im Sinne von #MeToo – erfährt, dass viele andere von demselben betroffen sind. In so einem Gespräch kann gemeinsam überlegt werden, wer Rechtskosten übernehmen könnte. Es gibt auch Verfahren, in denen nicht alle Kläger:innen sichtbar sein müssen. Es ist derzeit einiges in Vorbereitung, das kann ich derzeit leider nur so kryptisch sagen.

STANDARD: Viele Betroffene wollen nicht darüber reden. Worauf muss eine Anlaufstellen achten, damit sie auch als solche funktioniert?

Lauggas: Es war uns von Anfang an klar, dass es nicht reicht, einfach eine Nummer bekanntzugeben. Wir mussten etwa mit Workshops in die Branche reingehen, damit die dort Beschäftigen sehen, bei wem sie da anrufen und um was es eigentlich genau geht, wenn wir von Missständen sprechen. Denn die Menschen unterscheiden sich sehr darin, ob sie etwas als Diskriminierung, Machtmissbrauch oder Sexismus bezeichnen. Wir hatten einen Fall, bei dem jemandem ein Job mit der Begründung verweigert wurde, weil sie eine Frau ist. Sie wollte das aber als Machtmissbrauch benennen und nicht als Diskriminierung.

STANDARD: Warum?

Lauggas: Der Begriff Sexismus ist viel stärker mit einer Opferrolle verknüpft – und die wird nicht gewollt. Deswegen haben wir in unsere Tätigkeit auch das Arbeitsrecht mit reingenommen. Jedes Unrechtsgefühl, von nicht bezahlten Überstunden über Vertragsänderungen bis zum Angebrülltwerden: Die Menschen müssen einfach nur das Gefühl haben, dass das nicht okay ist – und sich einfach mal melden. Der erwähnte Fall wäre nicht bei uns gelandet, wenn wir unser Angebot auf Unterstützung bei "Diskriminierung" reduziert hätten. Außerdem ist es leichter, wegen nicht ausbezahlter Überstunden anzurufen, und wenn das Gespräch gut läuft und sich die Person angenommen fühlt, dann kommen oft auch andere Geschichten.

STANDARD: Sie und Ihr Kollege sind nicht aus der Filmbranche, #we_do! wurde gezielt so aufgestellt. Was haben Sie bisher als Außenstehende womöglich als speziellen Nährboden für Übergriffe beobachtet?

Lauggas: Da gibt es drei Spezifika: Erstens gibt es einen großen Tabuisierungsdruck. Es gibt zwar ein Bewusstsein dafür, wenn etwas nicht okay ist. Aber dann ist schnell dieses "Reg dich auf, und du kriegst nie wieder was" da. Wir hatten etwa einen Fall von schwerer körperlicher Gewalt, den mehrere gesehen haben. Ein Regisseur hat eine Schauspielerin mit einem Gegenstand vor aller Augen misshandelt. Ein Beleuchter hat dann gemeint, er findet das Wahnsinn – und ist gegangen. Er ist wegen Arbeitsverweigerung fristlos entlassen worden. Nachdem wir die Geschichte schon öfter gehört haben, meinten wir: Warum ruft da niemand die Polizei oder greift ein?

Meike Lauggas ist Coach, Trainerin und Lehrbeauftragte an Universitäten sowie Fachhochschulen. Seit 2019 ist sie Beraterin bei #we_do!.
Foto: Johannes Zinner

STANDARD: Welche Antwort bekamen Sie?

Lauggas: Von der Garderobiere über den Praktikanten bis hin zur Produktionsleitung sagten damals alle Anwesenden einhellig: Das geht nicht, das hält ja die Produktion auf. Wir meinten daraufhin, nicht die Polizei, sondern der, der prügelt, hält die Produktion auf. Polizei, das scheint für viele in der Branche eine andere Welt zu sein. Wir spielen Polizei, wenn wir eine brauchen – aber wir holen sie nicht. Das hat mit uns nichts zu tun, wir sind die anderen. Für viele gibt es zweitens eine Identifikation mit dem Aggressor, dem sie teils stark ausgeliefert sind, ähnlich dem Stockholm-Syndrom: Das gibt ihnen das Gefühl, trotz Ohnmacht handlungsfähig zu sein.

STANDARD: Und das dritte Spezifikum?

Lauggas: Eine Kultur der Normalisierung des Ausnahmezustands. Alles ist immer Ausnahme. Spielfilmproduktionen dauern circa sechs Wochen, alle sind aus ihrem Alltag rauskatapultiert, irgendwo an einem anderen Ort, es wird zu wenig geschlafen, rund um die Uhr gearbeitet. Besonders lang, besonders schnell, besonders laut. Es herrscht oft das Selbstverständnis: Wir sind doch keine Nine-to-five-Büroleute. Innerhalb dieses Ausnahmezustands werden 16-Stunden-Tage verlangt, aber es ist dann bei jeder Produktion so, nicht ausnahmsweise.

Innerhalb dieses Ausnahmezustands ist die Grenzüberschreitung schon strukturell eingeschrieben. Und die Grenzüberschreitung haben wir ja auch im Künstlerischen drin. Auch im Sport und bei körperbetonten Berufen – und das übersetzt sich auch in gesellschaftliche Alltagsaspekte wie Sexismus, Rassismus und Ausbeutung. In Österreich sind aber auch Monopolstellungen ein Problem. Dadurch, dass in Österreich vieles derart konzentriert ist, ist der Machtmissbrauch groß. Wir wissen von einigen Leuten, die sich beschwert haben und dann tatsächlich Nachteile im Job erlitten haben, auch bei großen Arbeitgebern.

STANDARD: Auch die Ausbildungsstätten kamen in den Berichten über Missstände sehr oft vor.

Lauggas: Ja, die Filmakademie ist aufgrund der Berichte in den Fokus gerückt. Es stimmt, wie die Direktorin sagt, dass es keine Anzeige gibt – aber das heißt nicht, dass es keine Fälle gibt. Wenn sich etwas ändern soll, müssen wir bei denen ansetzen, die die Kultur der Branche prägen – und nicht bei den Betroffenen. Inzwischen sind wir mit Einzelnen an der Filmakademie, aber auch der Wirtschaftskammer und mit dem Österreichischen Filminstitut in sehr guter Kooperation, die auch den ersten und zweiten Genderreport in Auftrag gaben. Es gibt dort und innerhalb der Filmbranche viele engagierte Stimmen, die etwas ändern möchten.

STANDARD: Wie entstand #we_do!?

Lauggas: Nach #MeToo in den USA hat Stefan Ruzowitzky gesagt, wir brauchen so etwas auch in Österreich. Er hat drei prominente Vertrauenspersonen eingesetzt, an die man sich wenden kann. Ursula Strauss, Birgit Hutter und Karl Markovics. In einem Jahr hat sich nur eine Person gemeldet. 2019 gab es eine Pressekonferenz, bei der der Satz fiel: Offenbar passiert nichts bei uns. Das löste eine große Wut aus, und der Dachverband der österreichischen Filmschaffenden hat dann die Gründung von #we_do! initiiert. (Beate Hausbichler, 30.6.2022)