Die Cablecash-Familie jubelt über den erfolgreichen Börsengang, mittendrin Felix Armand (Thomas Schubert) und Magnus Cramer (Matthias Brandt).

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Zwei, die einander brauchen, aber nicht unbedingt mögen: Felix Armand (Thomas Schubert, links) und Magnus Cramer (Matthias Brandt).

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Wird vom kleinen Programmierer zum großen Checker: Thomas Schubert als Felix Armand.

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Hier bahnt sich was an: Felix (Thomas Schubert) mit Shortsellerin Sheila (Larissa Sirah Herden).

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Das Arschlochlevel ist hier ziemlich hoch. "Ficken oder gefickt werden" ist das Motto und eine Frage des Egoismus, nett sein bringt einen nicht nach vorn, geschweige denn ganz oben an die Spitze. Und genau dort will Felix Armand hin. Denn Geld ist alles, Geld ist Macht, und Geld ist vor allem Anerkennung. Er, der immer im Schatten seines Zwillingsbruders stand, ist jetzt ganz kurz davor, es allen so richtig zu zeigen und groß rauszukommen: Als CEO des deutschen Fintech-Unternehmens Cablecash.

In der Satireserie "King of Stonks" – die sechsteilige Serie startet am 6. Juli auf Netflix – geht es "um den größten Finanzskandal der deutschen Geschichte", heißt es im Vorspann, "Ähnlichkeiten mit anderen Betrugsfällen" seien "rein zufällig". Hihi, Wirecard und die Bosse dahinter lassen ganz lieb grüßen. Stonks – also die bewusst falsch geschriebene Version von "Stocks" (Aktien) – bedeutet so viel wie Fehlentscheidung, meist in finanzieller Hinsicht. Danke, wieder was gelernt. Und überhaupt, man lernt sehr viel bei "King of Stonks", vor allem über Kaltschnäuzigkeit und mit welchen Mitteln man Anleger und Investorinnen austrickst und damit als großer Mega-Super-Checker gefeiert wird. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwinden, auch jene zwischen legal und illegal sind – sagen wir einmal so – recht fließend. Korrupt und machtgeil sind sie alle, aber der eine doch ein bisschen mehr als der andere.

Cramer gegen Armand

Der eine, das ist Magnus A. Cramer, der oberste Oberboss von Cablecash. Er ist auf der Überholspur, die leuchtende Lichtgestalt am Himmel der deutschen Fintech-Start-up-Szene, der mit Cablecash gerade einen erfolgreichen Börsengang hinter sich hat. Obwohl nicht mehr ganz jung, feiert er grunzend Partys ohne Ende, sammelt Follower auf Insta, Twitter und Co, lässt sein Strahler-80-Gebiss (Dank der Maske dafür) überall dort hell aufblitzen, wo ihm (soziale) Medienpräsenz sicher ist. Peinlich ist ihm so gut wie nichts, weil "ganz ehrlich, die Welt liebt Arschlöcher". Und er nimmt es nicht so genau, wie und mit welchen Kunden Cablecash – egal ob Pornozwerge oder Mafia-Oma – Kohle macht. Und genau das wird ihm und allen anderen von Cablecash ("Wir sind eine Familie", wir kennen das ja) noch gehörig auf den Kopf fallen: Stichwort organisierte Kriminalität, Stichwort Deutsche Bank, Stichwort Anlegerbetrug.

Doch noch fressen ihm die Politikerinnen und Politiker aus der Hand, noch wird er von Medien und der Wirtschaftselite hofiert. Matthias Brandt verkörpert diesen größenwahnsinnigen Machtmenschen mit einer solchen Lust, dass es wirklich großen Spaß macht, ihm bei seinen skurrilen Eskapaden und vermeintlichen Untergängen zuzusehen.

Machtspiele, Mafiamethoden, Manipulationen

Der andere, das ist der junge Felix Armand, perfekt besetzt mit dem Österreicher Thomas Schubert ("Atmen", "Das finstere Tal"). Armand ist knapp 30, war früher Programmierer, jetzt IT-Manager und wird in Kürze Co-CEO neben Cramer. Das ist zumindest der Plan, doch daraus wird nichts. Denn es kann nur einen Cheffe geben. Aus Magnus – einst Freund, Mentor, Vorbild – wird sein Widersacher. Cramer muss weg vom Fenster und Cablecash vor dem Wahnsinn, den Cramer aufführt, gerettet werden. Armand war schon immer einer, der den Mist, den Cramer angerichtet hat, aufräumen musste. Doch auch er spielt seine gefährlichen Spielchen, als gelernter Troubleshooter ist er nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen, er weiß, wie Geldwäsche und Bilanzbetrug gehen und was man anstellen muss, damit Beweise dafür fehlen. Falls alle Stricke reißen, gibt es ja auch noch Kasachstan.

Was folgt, ist eine irrwitzige und mit Anspielungen auf Filme und Serien wie "Wall Street", "Bad Banks", "Hangover" oder auch auf Elon Musk und Jeff Bezos gespickte Reise quer durch Machtspiele, Mafiamethoden, Manipulationen. Immer neue, unerwartete und verrückte Wendungen tun sich auf, mal glaubt sich Cramer in Sicherheit, mal ist es Armand, der seinen Punkt macht. Und dann gibt es noch eine kleine Liebesgeschichte zwischen Armand und der mit allen (Schmutz-)Wassern gewaschenen Shortsellerin Sheila (Larissa Sirah Herden). Kurz ist die Angst da, dass es kitschig werden könnte. Unbegründet, den Autorinnen und Autoren Jan Eichberg, Fabienne Hurst, Mats Frey und Regisseur Jan Bonny gelingt es immer wieder bravourös, die Kurve zu kratzen. Ebenso wie bei diversen Seitenhieben auf Ibiza, den Medienbetrieb und investigativen Journalismus in Form von Tom Wieland (Andreas Döhler), der in Sachen Cablecash recherchiert und selbst zum Opfer von Intrigen wird.

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Faszination für das Unmoralische

Bis hin zu den kleinsten Nebenrollen ist diese Satire exzellent besetzt, Bibiana Beglau spielt Cramers Ehefrau Ariane. Auch ein Wiedersehen mit Uschi Glas als durchtriebener Brokerin und Joachim Król als Cramers arrogantem und altmodischem Schwiegervater macht Freude.

Ausgedacht haben sich diese Satire auf die Machenschaften der Finanzwelt Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann, Gründer von btf (bildundtonfabrik). Die Showrunner und Produzenten haben schon mit "How to Sell Drugs Online (Fast)" gezeigt, wo der Barthel den Most und das Streaming-Publikum holt, und 2019 einen veritablen Quotenerfolg für Netflix eingefahren. "Wir haben einfach eine große Faszination für das Unmoralische und ergründen gerne, was Menschen dazu bringt, die 'falschen' Entscheidungen zu treffen", sagt Käßbohrer. Es wäre jedenfalls eine falsche Entscheidung, sich "King of Stonks" nicht anzusehen. Die Zeit für die sechs Folgen sind – sorry für diesen Kalauer – gut investiert. Versprochen. (Astrid Ebenführer, 5.7.2022)