Der Weiße Hai ist der größte Raubfisch, aber nicht der größte Jäger der Meere.
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Bei den an Land gefürchtetsten Meeresbewohnern schwimmen sie seit langem an der Spitze: Weiße Haie sind für viele Menschen der Inbegriff der Gefahr, die in marinen Tiefen lauert. Zum Monster-Image der größten Raubfische hat nicht unwesentlich der Kino-Kassenschlager "Jaws" (auf Deutsch: "Der Weiße Hai") aus den 1970er-Jahren beigetragen. Aber die größten Raubfische der Welt können tatsächlich zur Bedrohung für Surferinnen oder Schwimmer werden, jährlich werden einige Dutzend Haiangriffe registriert, im Vorjahr endeten neun davon tödlich.

Ein unbeschwertes Leben ist aber auch den bis zu sieben Meter großen Meeresräubern nicht vergönnt. Abgesehen davon, dass die Fischerei und Bejagung durch Menschen die Bestände der Haie enorm dezimiert hat, gibt es auch noch größere Jäger im Meer, vor denen sich selbst der "große Weiße" tunlichst in Acht nimmt: Schwertwale, auch Orcas oder "Killerwale" genannt. Die meist in kleinen Gruppen lebenden Meeressäuger, die bis zu zehn Meter lang werden können, sind für ihre koordinierten Jagdstrategien ebenso berüchtigt wie für ihren umfangreichen Speiseplan: Fische, Seevögel, Robben, Pinguine oder Seelöwen zählen ebenso zum Nahrungsspektrum wie andere Walarten. Und Haie.

Ein Schwertwal kommt selten allein – das ist selbst für große Haie ein Problem.
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Gejagte Jäger

Welchen Respekt auch Weiße Haie vor Orcas haben, konnten Biologinnen und Biologen schon vor einigen Jahren dokumentieren. Beobachtungen eines Jagdreviers der Haie vor der Küste Kaliforniens zeigten, dass die Raubfische innerhalb von Minuten die Flucht ergriffen, wenn sich Orcas auf der Durchreise näherten. Auch ein direkter Walangriff auf einen Hai wurde damals beobachtet, die Orcas attackierten ihr Opfer zu mehreren und labten sich an seiner fettreichen Leber. Nun berichtet ein Forschungsteam von zahlreichen ähnlichen Vorfällen vor Südafrika – und von langfristigen Konsequenzen für die Haie in der Region.

Genießt Respekt, wohin er schwimmt: Orcinus orca, der Schwertwal.
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Seit 2017 seien acht tote Weiße Haie nach Orca-Angriffen an die Küste gespült worden, schreibt das Team um Alison Towner von der südafrikanischen Rhodes University in Makhanda im "African Journal of Marine Science". Bei sieben Kadavern fehlte die Leber, bei einigen auch das Herz. Alles deute darauf hin, dass ein einziges Orca-Paar hinter den Angriffen steckt, berichten die Forschenden. Sie gehen auch davon aus, dass die beiden vielfach beobachteten Tiere sogar noch mehr Haie getötet haben – und für einen anhaltenden Rückzug der Raubfische sorgten.

Bedrängte Ökosysteme

In der aktuellen Studie konnte das Forschungsteam nachweisen, dass 14 Weiße Haie aus der Meeresregion vor der Stadt Gansbaai in der Provinz Westkap abgewandert sind, seit die Orcas dort vor fünf Jahren auftauchten. Hai-Sichtungen in mehreren Buchten, die bei Touristen für Käfigtauchgänge beliebt sind, gingen demnach dramatisch zurück. "Nach einem Orca-Angriff vor Gansbaai tauchten zunächst monatelang keine einzelnen Weißen Haie mehr auf", sagte Towner. "Was wir jedoch inzwischen sehen, ist eine anhaltende Vermeidungsstrategie: Je häufiger die Orcas zurückkehren, desto länger bleiben die Weißen Haie fern."

Doch weshalb haben sich die Schwertwale ausgerechnet eine Region mit hoher Haidichte ausgesucht, gebe es nicht anderswo leichtere Beute zu machen? Das Team um Towner vermutet, dass sich die beiden Wale auf mehrere Haiarten als Hauptnahrungsquelle spezialisiert haben. Demnach dürften auch zahlreiche kleinere Haie, die in den Gewässern leben, zu ihrer nun bevorzugten Nahrung zählen.

Das könnte mit einem Rückgang der Populationen anderer Beutetiere durch Überfischung und Verschmutzung der Meere zusammenhängen, vermuten die Forscher. Die Wale stünden demnach unter Druck, neue Reviere zu erobern – mit schwerwiegenden Folgen für die ohnehin bedrohten Weißen Haie und unklaren Folgen für die marinen Ökosysteme. (David Rennert, 30.6.2022)