Cassidy Hutchinson bei ihrer Aussage vor dem US-Kongress.

Foto: IMAGO/Andrew Harnik

Hutchinsons Aussagen belasten Ex-Präsident Donald Trump schwer.

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Mit den Demokraten oder irgendwelchen Linken hat Mick Mulvaney überhaupt nichts am Hut. Im Gegenteil: Stolz bezeichnete sich der Tea-Party-Anhänger einmal als "durchgeknallter Rechtsaußen". Zwei Jahre lang diente er als Stabschef des Weißen Hauses ergeben dem damaligen Präsidenten Donald Trump. Am Dienstagabend aber ging er auf maximalen Abstand zu seinem Ex-Chef: "Die Dinge sind heute für den früheren Präsidenten schlecht gelaufen", twitterte er: "Ich schätze, dass es noch schlimmer wird."

Ein paar Stunden zuvor war in einem Sitzungssaal des Kongresses eine Überraschungszeugin aufgetreten: Cassidy Hutchinson war die wichtigste Assistentin von Mark Meadows, dem Mann, der Mulvaney 2020 im Amt des Stabschefs folgte. Zehn Monate lang arbeitete die heute 26-Jährige im Weißen Haus. In einem atemberaubenden Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss zum Kapitolsturm zeichnete sie das desaströse Bild eines Präsidenten, der nach der verlorenen Wahl wie von Sinnen agierte, wütend sein Essen gegen die Wand feuerte, von den gewalttätigen Putschplänen seiner Anhänger wusste, gar selber daran teilnehmen wollte und seinen vom Mob mit dem Tod bedrohten Stellvertreter Mike Pence bewusst seinem Schicksal überließ (siehe Chronologie unten).

"Das ist explosives Zeug"

Selbst Beobachter, die seit Jahren die aberwitzigen Enthüllungen über das selbst ernannte "stabile Genie" im Weißen Haus verfolgen, trauten ihren Ohren kaum. "Das ist explosives Zeug", staunte Mulvaney. Über Hutchinson sagte er: "Ich kenne sie. Ich glaube nicht, dass sie lügt."

Ob Hutchinsons Aussage das Urteil der amerikanischen Öffentlichkeit über den Ex-Präsidenten tatsächlich verändert und gar den Anstoß zu dessen Anklage liefert, war am Tag danach noch nicht abzuschätzen. Trump selbst erklärte, Hutchinson sei ein "drittklassiger Emporkömmling" und eine "Verrückte", die für eine parteipolitische Hexenjagd Lügen verbreite.

Verrückt wirkte die überzeugte Republikanerin bei ihrem Auftritt aber gar nicht. Im Gegenteil: Sie schilderte unter Eid nüchtern, präzise und glaubhaft, was im Weißen Haus in den Tagen vor und nach dem Kapitolsturm vom 6. Jänner passierte. Demnach sagte Trumps Anwalt Rudy Giuliani schon am 2. Jänner, dass es einen Marsch zum Kapitol geben werde.

"Das könnte übel werden"

Auf Nachfragen warnte Meadows seine Assistentin: "Das könnte wirklich, wirklich übel werden." Tatsächlich erfuhr das Weiße Haus am 6. Jänner 2021 vor der Kundgebung des Präsidenten vor seinem Amtssitz, dass die Protestler Messer, Knüppel, Pistolen und mindestens ein Schnellfeuergewehr AR-15 bei sich trugen. Trump störte das nicht.

Vielmehr forderte er, die Metalldetektoren abzubauen, damit seine Fans freien Zugang hatten: "Sie sind nicht hier, um mir etwas anzutun. Nehmt die Scheißdetektoren weg. Lasst meine Leute rein", soll er intern gewütet haben: "Es ist mir scheißegal, ob sie Waffen haben." Kurz darauf hetzte er vom Rednerpult die Meute auf und forderte, sie solle zum Kapitol ziehen und dort "wie der Teufel" kämpfen.

"Ich bin der verfluchte Präsident"

Tatsächlich wollte Trump selbst mit vor das Kapitol ziehen. "Ich bin der verfluchte Präsident. Bring mich zum Kapitol!", soll er den Fahrer seines gepanzerten SUV angewiesen haben. Als der Personenschützer widersprach, kam es im Wagen angeblich zu einem Gerangel.

Nicht nur der Secret Service wollte eine Fahrt des Präsidenten zum Kapitol verhindern. Auch Pat Cipollone, der Justiziar des Weißen Hauses, warnte: "Wenn das passiert, werden wir für jede denkbare Straftat angeklagt." Trump fuhr zurück ins Weiße Haus. Dort verfolgte er fiebrig am Fernseher, wie der blutrünstige Mob "Hängt Mike Pence!" rief. Doch er unternahm nichts, um seinen Stellvertreter zu schützen.

Die schockierenden Schilderungen verfestigen nicht nur das Bild eines krankhaften Narzissten, der offenkundig nicht amtsfähig war. Sie geben auch der Forderung nach einer Anklage von Trump neue Nahrung, zumal Meadows und Giuliani im Wissen um die Strafbarkeit ihres Handelns den Ex-Präsidenten um eine Vorabbegnadigung gebeten haben sollen. Bisher hält sich das Justizministerium zurück, auch aus Sorge vor dem Eindruck einer parteipolitischen Verfolgung. "Es bleibt die Frage, ob man dem Präsidenten kriminelle Absicht nachweisen kann", erklärte Jus-Professor Alan Rozenshtein der New York Times. Er selbst sei bisher skeptisch gewesen: "Nun halte ich es für wahrscheinlicher, dass er angeklagt wird." (Karl Doemens aus Washington, 29.6.2022)