Annette Mann taucht gern. Druckausgleich sei dabei wichtig, sagt sie. Passt zu ihrem Job, auch da muss sie sich ständig neuen Gegebenheiten anpassen.

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Reisechaos, Corona, Kerosinkosten: Annette Mann hat grobe Probleme zu beackern. Allein im ersten Quartal machte die AUA 109 Millionen Euro Verlust. Ein Interview mit DER STANDARD und der Kleinen Zeitung.

STANDARD: Ein schwerer Schaden in der Raffinerie Schwechat, Corona-Welle, Krieg in der Ukraine: Ihren Start in Wien haben Sie sich sicher anders vorgestellt, oder?

Mann: Nach 20 Jahren Airline kann einen nicht mehr so wahnsinnig viel überraschen. Wir führen professionelle Gespräche mit der OMV, haben unser Tankverhalten geändert. Das ist nicht schön, aber zurzeit haben wir das mit der OMV im Griff.

STANDARD: Was war Ihr ursprüngliches Ziel, als Sie hergekommen sind?

Mann: Wir hätten nach zwei Jahren Pandemie eine gute Chance gehabt, in die schwarzen Zahlen zu kommen. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geben viel mit dem Gehaltsverzicht, wir haben alle Kostenpositionen wirklich gut im Griff. Jetzt wird das mit den sehr stark und sehr schnell gestiegenen Kerosinpreisen kurzfristig nicht möglich sein. Wir kriegen die nicht so schnell weitergegeben über die Ticketpreise. Die werden nicht nur bei der AUA weitersteigen, sondern in der gesamten Industrie.

STANDARD: Die Situation spielt Ihnen auch in die Hände. Mit den Billigtickets verhält es sich ja wie mit Billigfleisch – kostet ein Ticket zehn oder 20 Euro, ist das nicht kostendeckend. Trotzdem müssen Sie mitziehen.

Mann: Wir müssen eine breite Zielgruppe ansprechen, auch die, die sehr auf den Preis schauen. Nichtsdestotrotz: Die zehn, 20 Euro erreichen Sie nur, wenn Sie auch bei Sozialstandards sparen. Das muss man schon wissen, wenn man mit Ryanair fliegt.

STANDARD: Im Supermarkt greifen die Leute vermehrt zu billigeren Produkten. Spüren Sie das auch?

Mann: Nein, gar nicht. Wir haben viele Buchungsrekorde, allein in den letzten zwei Wochen haben wir eine halbe Million Tickets verkauft, obwohl sie teilweise sehr teuer sind. Wir sind jetzt im Sommer auf manchen Strecken fast ausverkauft. Die Menschen haben eine wahnsinnige Reiselust jetzt nach der Pandemie. Die wollen raus, wieder was erleben.

STANDARD: Dieses unwahrscheinliche Nachholbedürfnis kann für die Branche keine Überraschung gewesen sein. Hat sie eingedenk der vielen Probleme derzeit etwas verschlafen?

Mann: Wir haben ganz klar in unseren Zahlen im März gesehen, dass uns für eine gute Planung Flugbegleiterinnen fehlen. Daher haben wir jetzt auch 200 eingestellt. War das absehbar? Ja, ich habe auch den Eindruck, dass das durchaus auch andere sehr frühzeitig erkannt haben. Aber im aktuellen Arbeitsmarkt ist es auch nicht überall einfach, das Personal wieder zu finden.

STANDARD: Corona spüren Sie auch und müssen wegen Personalmangels zahlreiche Flüge ausfallen lassen.

Mann: Nicht pauschal, aber durchaus, wenn sich externe Ereignisse häufen: Personalmangel bei Flughäfen oder Flugsicherungen, Streiks, Gewitter oder positive Corona-Fälle.

STANDARD: Rund 100 gestrichene Flüge wie am Wochenende ist keine gute Schlagzeile, wenn im März 50 Flugbegleiter via Golden Handshake verabschiedet wurden.

Mann: Für das geplante Flugprogramm haben wir genügend personelle Ressourcen. Aber kurzfristige Krankenstände wie nun mit einer Corona-Welle sind nicht vorauszusehen. Die Corona-Fälle bei uns haben sich innerhalb von 20 Tagen versechsfacht, das lässt sich nicht mehr spontan auffangen. Aufgrund der verkleinerten Flotte gab es aber auch personelle Anpassungen. Mit den Mitarbeitern wurden einvernehmliche Sozialpakete vereinbart.

AUA-Chefin Mann: "Würden wir als Industrie nicht gelegentlich überbuchen, funktionierte das System nicht."
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STANDARD: Die Kosten für Verspätungen und Annullierungen lagen bei der AUA vor Corona im zweistelligen Millionenbereich. Jetzt sammeln Sie schon wieder fleißig Minuspunkte?

Mann: So ein Wochenende schlägt natürlich Kerben in die Zahlen. Kurzfristige Umbuchungen, Kompensationszahlungen – das kostet.

STANDARD: Wie viele Millionen haben die 100 Streichungen gekostet?

Mann: Insgesamt rechnen wir mit einem niedrigen einstelligen Betrag. Mögliche Unregelmäßigkeiten sind immer im Budget einkalkuliert, aber natürlich versuchen wir die Kosten zu senken, indem wir so vorausschauend wie möglich in die Systeme eingreifen und beispielsweise unsere Kunden umbuchen. Wir sind zuversichtlich, dass wir mit gut ausgelasteten Fliegern und durchgehend guten Buchungen ein gutes Sommerergebnis einfliegen können. Was Corona und die Fuelpreise in den nächsten Wochen bringen, weiß aber keiner.

STANDARD: Was ist aus Ihrer Sicht das Worst-Case-Szenario?

Mann: Ach, wissen Sie, eine Airline für drei Monate zu grounden, größere Ausschläge können Sie sich gar nicht mehr vorstellen. Ich will gar nicht in Worst-Case-Szenarien denken. Unsere Aufgabe ist, dass wir uns auf alles einstellen und superschnell reagieren können. Es wird oft kritisiert, dass wir eine relativ alte Flotte haben, aber sie hilft uns auch in solchen Situationen, weil sie keine Leasingkosten produziert.

STANDARD: Bekommt jetzt die AUA die nächsten fünf Jahre keine Flieger?

Mann: Wir werden im September unsere erste A320 neo abholen. Zwei kriegen wir dieses Jahr, zwei im ersten Halbjahr 2023. Das ist doch ein Superstart. Aber wir müssen mal wieder in die schwarzen Zahlen kommen. Eine Airline, die keinen Gewinn macht, da muss man nicht über neue Flugzeuge reden.

STANDARD: Davon ist ewig die Rede. Es hieß, die AUA muss 100 Millionen verdienen, dann gibt es neue Langstreckenflieger. Gilt diese Zahl noch?

Mann: Es gibt keine Zahl. So ein Flugzeug fliegt man bis zu 30 Jahre. Unsere Langstreckenflieger sind jetzt so in ihren Zwanzigern. Daran ist per se nichts Schlechtes.

STANDARD: Das eine oder andere schon. Manche Flieger sind so laut, dass hohe Flughafengebühren anfallen.

Mann: Deswegen kriegen wir jetzt neue A320 neo. Das ist genau der Grund, und da macht es ja total Sinn.

STANDARD: Die AUA hat auch viele alte Kurzstreckenmaschinen. Es wäre eine strategische Überlegung, die AUA innerhalb des Lufthansa-Konzerns zum Nostalgieflieger zu machen.

Mann: (lacht) Das ist nicht meine Strategie. Es ist im Konzern durchaus üblich, dass die Flieger lange fliegen. Jetzt sortiert sich auch alles neu. Auch wir schauen, wie sich Verkehrsströme und die Zusammensetzung von Geschäftsreisen und von Privatreisen verändert haben. Und wo die AUA am besten mitspielen kann.

STANDARD: Und wo kann die AUA am besten mitspielen im Konzern? Ist sie die Flanke gegen Osten, das Bollwerk gegen Billigflieger?

Mann: Die AUA ist die Netzwerkairline mit Standort Wien und bindet Österreich an Europa und die Welt an. Damit trägt sie zum Gesamtnetz des Konzerns bei. Da ist sie inzwischen auch eine Plattform mit guter Kostenstruktur, die sehr flexibel ist. Wir können uns schnell anpassen, haben in der Pandemie sehr schnell die sogenannten Prachter geflogen, waren ganz vorne dabei, Evakuierungsflüge zu machen. Die AUA war touristisch schon immer stark, und momentan verschiebt sich viel im Airlinegeschäft in Richtung Touristik. Wir haben jetzt auch einen starken Sommer, weil wir es schnell geschafft haben, so viele touristische Strecken wie nie zuvor zu bedienen.

STANDARD: Sie müssen sich auch mit Geldverdienen beschäftigen. Auf den billigen Plätzen gibt es keine kostenlose freie Platzwahl mehr. Wie lange bleibt das Handgepäck kostenlos?

Mann: Wir haben momentan keine Pläne, das zu ändern. Die Änderung für die Reservierung im günstigsten Tarif gilt ab viertem Quartal. Wobei man darauf schauen wird, dass Familien und Gruppen zusammensitzen können – auch ohne zu reservieren. Das ist auch ein Unterschied zu den Low-Cost-Carriern.

STANDARD: Wenn mir solche Dinge und soziale Standards wurst sind, bin ich zumindest im Sinne der Umwelt bei Ryanair und Wizz besser aufgehoben, oder? Die haben lauter neue Flieger, die sie mit Passagieren vollstopfen.

Mann: Sind sie nicht, weil Wizz und Ryanair nur die Flieger vollstopfen, deswegen funktioniert das rechnerisch. Bei uns können Sie nachhaltige Kraftstoffe kaufen, und dann sind sie komplett CO2-neutral.

STANDARD: Aber Flieger vollzustopfen macht im Moment auch die AUA. Die sind teilweise wirklich überbucht.

Mann: Hätten Sie gerne mehr Platz, können Sie immer noch Businessclass nehmen. Das machen seit der Pandemie nochmals mehr Leute. Würden wir als Industrie nicht gelegentlich überbuchen, funktionierte das System nicht. Sie haben immer Leute, die nicht kommen. Das passiert bei jeder Airline. Ich wüsste nicht, dass wir ein systematisches Problem haben. Überhaupt nicht. Das geben die Zahlen nicht her.

STANDARD: Stichwort Zahlen. Sie haben drei Jahre Zeit, so lange läuft Ihr Vertrag. Ist das nicht viel zu kurz?

Mann: Ich habe einen Organ-Vertrag, das sind immer befristete Verträge. Das bedeutet nicht, dass ich in drei Jahren automatisch weg bin. Ich richte mich auf mehr ein.

STANDARD: Sie tauchen gerne. Tauchen Sie diese Jahre jetzt durch?

Mann: Wir müssen versuchen, dieses Unternehmen so schnell wie möglich in die schwarzen Zahlen zu führen. Da hilft es mir nicht durchzutauchen. Da muss ich dem ins Auge schauen und muss es aktiv anpacken. (Regina Bruckner, 30.6.2022)