Der britische Publizist Andrew Neil.

Foto: AP/Yui Mok

Ein Mann mit viel Vergangenheit kam am Donnerstag nach Wien, um in zehn Minuten nicht weniger als die Zukunft der Medien zu erklären. Beim 4Gamechangers-Festival, das die große private TV-Gruppe ProSiebenSat1Puls4 heuer erstmals gemeinsam mit dem öffentlich-rechtlichen ORF veranstaltet.

Andrew Neil (73) hat gerade einen TV-Sender mitbegründet, eine Art britische Version von Rupert Murdochs rechtspopulistischem Fox News, und diese GB News nach wenigen Monaten wieder entnervt verlassen. Der britische Publizist war schon Herausgeber von Murdochs Sunday Times, er gründete für den rechtskonservativen Medienmulti Sky TV und führte für die öffentlich-rechtliche BBC über ein Vierteljahrhundert große Interviews – bis er, kurz, zur Galionsfigur von GB News wurde. Nun ist seine The Andrew Neil Show beim noch öffentlich-rechtlichen, aber zur Privatisierung anstehenden Channel 4 im Programm.

Strahlende Abozukunft

Andrew Neil ist zudem Chairman einer der ältesten Wochenzeitungen, des Spectator. Und dem geht es so gut wie noch nie zuvor in den fast schon zwei Jahrhunderten seiner Existenz, sagt sein Chairman. Und da kommt er zu seiner zentralen Botschaft: Im Abonnement, in der direkten Abobeziehung zu Userin und User, liegt die Zukunft der Medien – eine "strahlendere Zukunft als je zuvor", sagt Neil.

Große Digitalabo-Erfolgsgeschichten sind schon geschrieben – von der New York Times und der Washington Post, vom Wall Street Journal, der Financial Times und vom Economist.

"Das Abomodell brachte ein Wettrennen zur Qualität", proklamiert der britische Publizist. Werbung indes, über Jahrzehnte und teils Jahrhunderte die dominierende Einnahmequelle für Medien, habe ein "race to the bottom" angetrieben, ein Wettrennen nach unten, zum Bodensatz. Man denke zur Bestätigung nur an die Programme der klassischen TV-Networks in den USA. Und an die viele Millionen schweren Produktionen wie The Crown oder Game of Thrones als Beleg für das abo finanzierte Rennen in lichte Höhen der Qualität.

Andrew Neil.
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Zeiler für lineares TV zuversichtlich

So schwarz und weiß gemalt kann Gerhard Zeiler, 66, die Medienzukunft nicht stehenlassen. Vor allem mit Blick auf nationale TV-Sender in europäischen Dimensionen, die aus der US-Perspektive rasch lokal genannt werden. Zeiler hat schon den ORF in den 1990ern geführt, RTL Deutschland und dann den europäischen TV-Riesen RTL Group. Inzwischen ist der Österreicher President International beim recht frisch fusionierten US-Medienriesen Warner Bros. Discovery.

TV-Manager Gerhard Zeiler rechnet mit Fusionen unter Europas TV-Sendern, womöglich auch der beiden großen privaten Sendergruppen in Deutschland.
Foto: 4Gamechangers

Natürlich liegt für gobale Streamingriesen wie Netflix oder Disney+ die wirtschaftliche Zukunft im globalen Abo-Business. Um – für Netflix kolportierte – 18 Milliarden Dollar für Produktionen hereinzuspielen, brauche es bei zehn Dollar Erlös pro Abo 150 Millionen davon.

TV-Sender müssten ihre Inhalte selbstverständlich auch im Streaming zugänglich machen. Aber: Mit Abos werde sich das nicht refinanzieren lassen. Zeiler rät, vor allem auf Werbefinanzierung zu setzen, eine Kombination aus Reichweite, die das lineare Fernsehen schon noch fünf bis sieben Jahre bringe, und gezieltem Werbetargeting über Stream.

Grundsätzlich rät Zeiler Medien aber, auf möglichst viele Einnahmequellen zu setzen.

"GIS für immer?"

Und wo bleiben da die gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen? Andrew Neil sieht erwartungsgemäß keine Zukunft für Rundfunkgebühren. "Warum sollten junge Leute für Kanäle zahlen, die sie nicht sehen?" Die BBC konzentriert sich strategisch, wie Neil einräumt, auf ihre Streamingplattform iPlayer – um weiterhin alle Publika zu erreichen.

Neil befürwortet aber sehr wohl öffentliche Förderungen für klassische BBC-Aufgaben, er nennt verlässliche Nachrichten und Kultur.

Gerhard Zeiler kann sich nicht vorstellen, dass die BBC tatsächlich ab 2028 auf Gebühren verzichten muss, wie es die britische Regierung will: Dafür müsste man glauben, dass Boris Johnson dann noch Premier ist.

Und es sei "gut so", wenn die Gebühren blieben: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk solle nicht aus dem Staatsbudget, sondern vom Publikum bezahlt werden – damit sei "Unabhängigkeit gewährleistet", sagt Zeiler.

Also "GIS forever" beim ORF, fragt Thomas Mohr (Puls 4) Stefanie Groiss-Horowitz. Die 45-jährige ORF-Direktorin wirkt von der Frage ein bisschen überrascht, bis sie mit Ja antworten kann, denn sonst gingen sich "Programme in dieser Qualität und in diesem Umfang nicht mehr aus". Sie sieht "wie in den vergangenen 50 Jahren weiter die Bereitschaft, das zu unterstützen". (Harald Fidler, 30.6.2022)