Für viele Hongkonger ist der Besuch von Xi Jinping eine Demütigung. Jahrzehntelang war die Stadt für Millionen Festland-Chinesen Zufluchtsort und Tor zur freien Welt. Das Hongkong vor 2020 war in keiner Weise perfekt: Demokratische Wahlen waren nur rudimentär vorhanden, die soziale Ungleichheit oft erschreckend. Zumindest aber konnten sich die Bürger auf einen funktionierenden Rechtsstaat verlassen, in dem Meinungsfreiheit herrschte.

Für viele Hongkonger ist der Besuch von Xi Jinping eine Demütigung.
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Diese nicht zu verlieren war 1997, als der letzte britische Gouverneur Chris Patton die Kronkolonie an die Volksrepublik zurückgab, die große Sorge vieler Hongkonger. Mit dem Slogan "Ein Land, zwei Systeme" versprach die KP Chinas damals, die Freiheit der Stadt für mindestens 50 Jahre nicht anzutasten. Bis dahin, glaubten damals viele im Westen, hätte sich China liberalisiert und demokratisiert – so wie es in den 1990er-Jahren in den meisten kommunistischen Autokratien geschah.

Doch es kam anders: Mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz vom Juli 2020 wurde die Demokratiebewegung zerschlagen und die vertraglich zugesicherte Autonomie vorzeitig beendet. Ein bleierner Vorhang aus Zensur, digitaler Überwachung und zentralisierter Macht hat sich über Hongkong gesenkt, das sich nun in nichts mehr von anderen Städten auf dem Festland unterscheidet als durch seine Geschichte – und selbst die wird in Schulbüchern umgeschrieben. Das Ausland hat dabei größtenteils nichts getan, außer zuzusehen. (Philipp Mattheis, 1.7.2022)