Die Nationalratswahlen werfen ihren Schatten voraus, offen ist nur noch, wie lang er sein wird. Die Tendenz der Umfragen ist seit längerem eindeutig, was SPÖ und ÖVP betrifft, an der Ungewissheit, wer die nächste Regierung bilden darf und wie diese aussieht, ändert das nichts. Verständlich, dass mit den Zuwächsen für die SPÖ auch das Interesse an ihr zunimmt, speziell daran, wie eine Regierung aussehen soll, die sie als stärkste Partei bilden würde, und wem das zuzutrauen ist. Sinnlos, ewig herumzureden, das unterschwellige Gemurmel über die Frage der Spitzenkandidatur drängt ins Laute einer breiteren Öffentlichkeit, wie an den sich mehrenden Kommentaren zu merken ist. Die SPÖ steht vor der Wahl, diese Debatte mit schädlicher Wirkung vor sich hintreiben zu lassen oder sie einzufangen und selbst zu erledigen.

Geht Rendi-Wagner als Spitzenkandidatin der SPÖ in die nächste Nationalratswahl?
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Kommt sie in dieser Frage nicht rasch aus ihrer Schläferzelle heraus, hat sie sich demnächst mehr mit Spaltungsgerüchten und dem wöchentlichen Doskozil zu beschäftigen als damit, die Wähler von sich als der besseren Alternative zu überzeugen. Bisher verdankt sie als Bundespartei ihren Aufstieg in der Befragtengunst vor allem dem Abstieg der Volkspartei. Ein überzeugendes Programm für einen Wiederaufbau des Landes aus dem austrofaschistisch durchwachsenen Bodensatz von Korruption und Unfähigkeit der Phase Kurz lässt sie bisher vermissen. An der im Einzelnen Kritik zu üben ist notwendig, aber bei all dem, was vorliegt kein Ersatz dafür. Es verschafft der SPÖ nicht einmal ein Alleinstellungsmerkmal. Auch die anderen Oppositionsparteien sparen nicht mit Abscheu, ja sogar die Loyalität des Koalitionspartners ist beschränkt, und das unter den gemilderten Umständen des Notnagel-Kanzlers Nehammer.

Bis zur Nationalratswahl hat die ÖVP noch Zeit

Nur weil die ÖVP etwas außer Tritt gekommen ist, wie es einer der ausgeschiedenen Landeshauptleute formulierte, ist für die SPÖ noch nichts gewonnen. In zwei Jahren – sollte es sich denn noch so lange hinziehen – kann sich viel ändern. Die Volkspartei hat eine starke Basis in sechs Bundesländern, und wenn sie bei den anstehenden Landtagswahlen nicht schwer verliert, darf sie auf Erholung vor dem Herbst 2024 hoffen und darauf, dass viele Menschen vergessen oder ohnehin der Meinung sind, alle Parteien seien gleich. Ein Hanger ist kein Zufall.

Die ÖVP wird es bis auf weiteres geben, auch wenn ihr Ruf vor allem in der SPÖ in den letzten Jahren stark gelitten hat. Die Grünen hatten mit ihr kein Problem, als es darauf ankam, endlich mitzuregieren. Sie sind weit weniger heikel, als sie sich gerne geben. Geht die SPÖ aus der nächsten Nationalratswahl als stärkste Partei hervor, wird sie Koalitionspartner brauchen. Darum geht’s, und das wird letztlich nicht nach ästhetischen Grundsätzen entschieden werden, vor allem dann nicht, wenn es mit Grünen und Neos nicht für einen sozialdemokratischen Bundeskanzler reicht.

Die SPÖ dürfe sich nicht der ÖVP für eine große Koalition anbiedern, hat Doskozil neulich in der Presse gefordert. Wer das verlangt, sollte sich aber auch nicht der ÖVP anbiedern, wie etwa in der Migrationsfrage. Sich politischen Ideen der ÖVP anzupassen, um sie, in der Hoffnung auf rechte Wähler, von der Regierung fernzuhalten, kann der politischen Glaubwürdigkeit auch nicht zuträglich sein. Die Wähler haben ein Recht auf Klarheit. (Günter Traxler, 1.7.2022)