First-World-Probleme: In Europa herrscht Sorge vor Energiemangel, anderswo ist er gelebte Realität – etwa für motorisierte Rikschafahrer in Sri Lanka, die um etwas Sprit anstehen.

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Mit einem verzweifelten Appell an die Bevölkerung wies der Entwicklungsminister Pakistans auf die finanziellen Engpässe seines Landes hin. Die 220 Millionen Landsleute mögen weniger Tee trinken – schon ein, zwei Tassen weniger pro Tag würden helfen. Denn das Land kann sich die Einfuhr von Teeblättern nicht mehr leisten. Pakistan ist derzeit wahrlich kein Einzelfall.

"Die Lage ist Mitte des Jahres 2022 wirklich dramatisch." Wifo-Ökonom Thomas Url findet klare Worte dafür, wie es derzeit um die finanzielle Lage etlicher Schwellen- und Entwicklungsländer bestellt ist. Die Gemengelage aus den Folgen der Corona-Pandemie, hohen Energie- und Lebensmittelpreisen und weltweit steigenden Zinsniveaus bringt viele Länder an den Rand des finanziellen Kollapses. Manche sind schon einen Schritt weiter wie Sri Lanka, das bereits im April erklärte, die Auslandsschulden bis auf weiteres nicht bedienen zu können.

Was hat zuletzt vielen Ländern Asiens und noch mehr afrikanischen Staaten derart zugesetzt? Zunächst schossen während der Covid-Pandemie die Gesundheitsausgaben in die Höhe, was über Kredite finanziert wurde. Deshalb gewährte die G20 den weltweit 77 ärmsten Staaten ein Schuldenmoratorium, das jedoch Ende 2021 ausgelaufen ist. Zudem setzte heuer im ersten Halbjahr der steile Aufwärtstrend bei der Zinsentwicklung ein.

Schuldenaufnahme leichter

Zuvor hatte die Niedrigzinsphase in den USA und Europa die Schuldenaufnahme der Schwellenländer deutlich erleichtert. "Das haben viele Staaten zu stark ausgenutzt", sagt Wifo-Experte Url. Solange die Zinsrate unter der Wachstumsrate des Landes liege, habe dies auch funktioniert. Mit dem steilen Anstieg der US-Zinsen sind die stark gestiegenen Schuldenniveaus Url zufolge nun zum Problem geworden. Da viele Staaten in Dollar in der Kreide stehen – in Afrika liegt der Anteil etwa bei 60 Prozent –, kommt der Zinsendienst nun teurer, vor allem in Kombination mit den gestiegenen Schuldenständen.

In der Region Nordafrika und Mittlerer Osten hat sich das Verhältnis von Schulden zu Exporteinnahmen von 51 Prozent im Jahr 2012 auf 198 Prozent im Jahr 2020 fast vervierfacht, geht aus Daten der Weltbank hervor. In der Subsahara stieg der Wert im selben Zeitraum von 80 auf 203 Prozent. Warum werden die Schulden dabei statt wie üblich zur Wirtschaftsleistung zu den Ausfuhren ins Verhältnis gesetzt? Weil die Exporte eines Landes etwa den Deviseneinnahmen entsprechen, die zur Deckung der Auslandsschulden benötigt werden.

Dazu kommt, dass China früher viele Kredite für Infrastrukturprojekte in Afrika vergeben hat. "China hat eigene Probleme mit dem Immobilienmarkt, der auf tönernen Füßen steht, und den Corona-Lockdowns, die die Häfen lahmlegen", erklärt Url, warum nun weniger Geld aus Peking fließt. "Das trifft die afrikanischen Länder sehr stark."

Zusätzlich erschwert werde die Situation dadurch, dass China oftmals Kreditnehmern verbiete, die Schulden öffentlich zu machen – es gibt also eine "geheime Verschuldung", wie Url es bezeichnet. Kein Wunder, dass der IWF und die Weltbank appellieren, sich auf Verfahren zu einigen, wie man mit diesen Schuldenbergen umgehen soll.

Weltwirtschaft schwächer

Zudem sorgen die steigenden Zinsen in den USA und Europa dafür, dass Kapital aus den Schwellenländern abfließt oder gar nicht erst dort investiert wird. Warum? Wenn sich auch sichere US-Staatsanleihen ansprechend verzinsen, besteht weniger Anreiz, Geld in wirtschaftlich unsicherere Regionen zu investieren. Zumal die Weltwirtschaft derzeit ohnedies stark an Dynamik einbüßt, was das Risiko von Schwellenländern weiter erhöht.

Weniger stark ins Trudeln gekommen sind jene Staaten, die wie Brasilien, Bolivien, Ecuador oder Indonesien Rohstoffe oder Agrarerzeugnisse exportieren. Die Ausfuhr dieser Produkte spült nämlich dank der deutlich höheren Verkaufspreise auch entsprechend mehr Devisen zur Schuldendeckung in die Staatskassen. Für viele andere Schwellen- und Entwicklungsländer könnte es demnächst aber sehr eng werden.

Gemäß dem Kreditversicherer Altradius sinkt in Asien die Zahlungsmoral – immer mehr Rechnungen sind auch nach Ablauf der Zahlungsfrist unbezahlt, was die Liquidität der Unternehmen belaste. Weltbank-Präsident David Malpass warnte zudem, dass immer mehr Schwellen- und Entwicklungsländer, deren Schuldenstände sich derzeit auf einem Rekordniveau bewegen, in finanzielle Schwierigkeiten geraten werden. "Es braut sich etwas zusammen", fasst Wifo-Ökonom Url die Aussichten zusammen. (Alexander Hahn, 1.7.2022)