Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnt, dass Russland und China versuchen würden, ihren Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent auszubauen. Das will das Bündnis mit neuen Kooperationen verhindern.

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Am zweiten und letzten Tag des Nato-Gipfels in Madrid beschäftigten sich die 30 Staats- und Regierungschefs mit der Südflanke, dem Mittleren Osten und Nordafrika. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von "hybriden Bedrohungen", von Terrorismus, drohender Hungersnot und irregulärer Immigration.

Dem Norweger geht es vor allem um die Präsenz von islamistischen Milizen in der Sahelzone und um den durch den Ukraine-Krieg verursachten Anstieg der Lebensmittelpreise. Das gefährde die Stabilität einzelner Länder. "Der Preisanstieg bei Nahrungsmitteln betrifft die ärmsten Völker der Welt", warnte Stoltenberg in seiner Abschlusspressekonferenz. Die Nato werde deshalb versuchen, "mehr Getreide aus der Ukraine herauszubekommen".

Stoltenberg warnte davor, dass Russland und China versuchen würden, "ihren politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einfluss in der Region" auszubauen. Beide Länder spielen eine zentrale Rolle in der neuen Sicherheitsstrategie der Nato, die in Madrid vorgestellt wurde und jene aus dem Jahr 2010 ablöst. Russland wird nach dem Überfall auf die Ukraine vom "strategischen Partner" zur "größten, unmittelbarsten Bedrohung". Und China, das zuvor nie Erwähnung in der Nato-Strategie fand, wird zur "Herausforderung".

Neue Kooperationspartner

Die Nato setzt dem neue Kooperationsabkommen entgegen. Stoltenberg hat bereits am Mittwoch verkündet, dass die Allianz Mauretanien beim Aufbau der Verteidigungsfähigkeiten, dem Grenzschutz und der Bekämpfung der irregulären Migration und des Terrorismus helfen werde. Auch mit Tunesien und Jordanien will die Nato enger zusammenarbeiten.

Das Abkommen mit Mauretanien kommt nicht von ungefähr. Denn dessen Nachbarland Mali ist eines der Beispiele der Präsenz von Russland in Afrika. Die dort regierende Militärjunta stützt sich auf das private russische Militärunternehmen Gruppe Wagner. Die Söldner sorgen für Sicherheit gegenüber den islamistischen Milizen, die in der Sahelzone operieren. Außerdem helfen sie bei der Unterdrückung jedweder Opposition.

"360-Grad-Strategie"

Der Blick der Nato gen Süden geht auf politischen Druck des Gastgeberlandes Spanien zurück. Ministerpräsident Pedro Sánchez verlangte immer wieder eine "360-Grad-Strategie" und wurde dabei von Italien unterstützt. Größter Erfolg für Spanien: Die Nato garantiert erstmals "die territoriale Integrität aller Alliierten" und nicht "die Integrität des alliierten Territoriums". Der Unterschied? Als Spanien 1982 der Nato beitrat, wurden die beiden Exklaven an der nordafrikanischen Küste, Ceuta und Melilla, nicht zum Nato-Gebiet. Die neue Definition umfasst, so sieht es Spanien, jetzt jedoch das gesamte Staatsgebiet.

"Die Nato zieht die richtigen Schlüsse aus der veränderten Weltlage", erklärte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz zum Abschluss des Madrider Gipfels. Deutschland sei dabei "eine logistische Drehscheibe in Europa". Künftig werde Berlin für Verteidigung mehr ausgeben als jedes andere EU-Mitglied, beteuerte er.

Bereits Mittwochabend traf sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Rande des Nato-Gipfels mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. "Wir wollen den begonnenen Weg der Annäherung und den konstruktiven Dialog fortsetzen", erklärte Nehammer nach dem Gespräch. Ankara sei in Sicherheitsfragen und beim Thema "illegale Migration" ein wichtiger Partner, sagte der Kanzler und erwähnte die "Millionen von Flüchtlingen, die sich derzeit in der Türkei aufhalten". Eine "Verstimmung" habe er beim Treffen nicht gespürt.

F-16-Jets für die Türkei

Was die Türkei betrifft, hielten die USA auf dem Nato-Gipfel fest, dass man die von Erdoğan angestrebte Modernisierung der türkischen Flotte an F-16-Kampfjets unterstützen werde. Eigentlich war die Türkei Teil eines Programms zur Entwicklung des US-Kampfjets F-35 und sollte diesen auch beziehen. Nachdem die Türkei 2017 aber das russische Raketenabwehrsystem S-400 erworben hatte, schloss die US-Regierung die Türkei aus dem F-35-Programm aus. Ankara forderte als Ersatz neue F-16-Flieger, was Washington bis jetzt abgelehnt hatte.

In Madrid hatte Ankara seinen Widerstand gegen die Nato-Beitritte von Schweden und Finnland aufgegeben. Die Aufnahme der beiden Länder soll am Dienstag formell beschlossen werden. Offiziell endete die türkische Blockade, weil Schweden und Finnland dem Wunsch nachkamen, neben der Kategorisierung der PKK als Terrororganisation auch jegliche Unterstützung für kurdische Gruppen zu untersagen. Man kann aber davon ausgehen, dass der F-16-Deal erheblich dazu beigetragen hat. (Reiner Wandler aus Madrid, Kim Son Hoang, 30.6.2022)