Sarah Zadrazil lief bislang 96-mal für das Nationalteam auf und erzielte dabei 13 Tore.

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2020 wechselte Zadrazil zu den Bayern.

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Sarah Zadrazil spielt mit ihren Händen Fußball. Experten und besonders Gescheite werden jetzt zu Recht einwenden, dass sie das nicht darf. Sie steht nämlich nicht im Tor. Aber wer die 29-Jährige auf dem Platz gesehen hat, weiß, was gemeint ist: Während des Laufens sind die Arme im rechten Winkel an den Oberkörper gelegt, immer wieder streckt die Salzburgerin sie von sich. Sie teilt ein, gibt Kommandos. Wie eine Dirigentin, die die Einsätze der Instrumente timt. Oder eine Chefköchin, die den perfekten Ablauf in der Küche überhat. Ohne Gebrüll, ohne Aufgeregtheit. Zadrazil hat etwas, das man nicht lernen kann: ein Gespür für das Fußballspiel, eine Vorahnung für Situationen und eine Ruhe in ihren Entscheidungen. Sie liest das Spiel, das so viele andere einfach nur spielen.

November 2021, Bad Tatzmannsdorf, Burgenland: Zadrazil bereitet sich mit dem ÖFB-Team auf das Auswärtsspiel in England vor. Sonst sind keine Gäste im geräumigen Avita-Ressort, die Empfangshalle ist leer. Es wirkt wie ein Refugium während der Zombie-Apokalypse. Einige Spielerinnen schlendern durch die Empfangshalle, eine Trainingseinheit steht an. Wenn man sich mit Zadrazil über Sport und die Welt unterhält, merkt man schnell, dass für die gelernte Kindergartenpädagogin das Match nicht mit dem Schlusspfiff, der Grand Prix nicht mit der Zielflagge und das Skirennen nicht mit dem Zieleinlauf endet. Es gibt Fußballer und Fußballerinnen, die fernab der Stadien nicht viel mit dem Sport anfangen können. Zadrazil ist keine davon. Sie erzählt von einem schwedischen Derby, bei dem knapp 20.000 Zuschauer waren, und macht sich Gedanken, warum in Österreich nicht so viele Menschen die Frauenliga sehen wollen. Eine Sportverrückte, im besten Sinne des Wortes.

Abenteuer in den USA

Zadrazils Geschichte beginnt in St. Gilgen am Wolfgangsee. Eltern Ingo und Susanne arbeiten in der Finanzverwaltung, der ältere Bruder Patrick kickte selbst und schaffte es mit dem SV Grödig bis auf Zweitliganiveau: "Sarah war immer schon sehr sportbegeistert. Eigentlich dachten wir aber, dass Patrick den Durchbruch schaffen wird", erzählt Ingo Zadrazil, der selbst auch als Trainer tätig war, heute. Sarah schaffte es über den USC Abersee zum Bundesligisten Hof, der in den FC Bergheim überging. Dort entwickelte sich eine enge Freundschaft mit Teamkollegin Laura Feiersinger, die bis heute anhält. Es folgten Bundesliga-Einsätze und eine Facebook-Nachricht eines US-Amerikaners.

"Der Trainer hat mich über Facebook angeschrieben, ob ich Interesse hätte, in die USA zu gehen", erinnert sich Zadrazil an den Beginn ihres großen Abenteuers. Damals war Zadrazil 18. Sie sollte als erste Österreicherin College-Fußball in den USA spielen. Adam Sayers stammt ursprünglich aus Wales, betreute aber das College-Team der East Tennessee State University. Heute ist er im Betreuerstab der U-20-Frauennationalteams der USA. Und auch heute kommt er aus dem Schwärmen nicht mehr hinaus: "Sarah hatte ein großartiges Spielverständnis und eine tolle Technik. Das haben auch ihre Gegenspielerinnen gemerkt." Laut Sayers wurde die Neue zu Beginn also ein wenig abgeklopft, aber sie legte an Athletik zu und setzte sich durch. Technik und Genauigkeit im Passspiel waren ja schon da. Hinzu kommt eine "amazing personality", wie Sayers ganz amerikanisch sagt. Noch heute hält Zadrazil einige Uni-Rekorde, 2016 wechselte sie in die deutsche Bundesliga zu Turbine Potsdam, wurde dort bald Kapitänin.

"Sarah Zadrazil steht ein wenig für unser gesamtes Team", sagte ÖFB-Teamchefin Irene Fuhrmann kürzlich im STANDARD-Interview. Im ÖFB-Team hält Zadrazil bei 96 Einsätzen. Durch ihre Leistungen bei Potsdam klopfte 2020 Bayern München an. Fuhrmann: "Sie hätte sich in Potsdam ein ruhiges Leben machen können, aber hat den nächsten Schritt riskiert." Ein Schema, das sich durch Zadrazils Karriere zieht: "Natürlich war da viel Ungewissheit dabei, zuerst bei Amerika, dann beim Wechsel zu den Bayern. Aber wenn man sich zu viele Gedanken über Konsequenzen macht, bleibt man im Leben stehen", sagte Zadrazil. Die Mittelfeldspielerin war als Backup vorgesehen, schaffte es aber auch bei den Bayern in die Stammformation und in eine Schlüsselrolle. 2021 wurden die Münchnerinnen Meister.

Alltag in München

Maxvorstadt, München im Mai 2022: Zadrazil wohnt hier. In einem Café erzählt sie vom Trainerwechsel bei den Bayern, dem Leben in München, spricht von ihren Urlaubsplänen und den Heimspielen im schicken Bayern-Campus. Ein paar Wochen später wird sie in einem Video im Duell der "25er" Bayern-Star Thomas Müller im Fußball-Tick-Tack-Toe panieren. Eine Gaudi, aber es zeigt, welches Gefühl die 29-Jährige im Fuß hat. Zadrazil spielt im zentralen Mittelfeld, bei den Bayern ein wenig defensiver, im ÖFB-Team mit mehr Freiheiten nach vorne. "Die Torgefährlichste war sie nie", sagt Vater Ingo. Man möchte ihm fast widersprechen. Ihr Treffer in der Champions League gegen Chelsea war von der Uefa zum Tor des Jahres 2021 nominiert.

Thomas Müller

Aber Zadrazil ist auch abseits des Fußballplatzes eine Nummer. In der vergangenen Saison lachte sie vom offiziellen Champions-League-Poster, gemeinsam mit Feiersinger bespielt sie den Videoblog "Weplaystrong", im Mai veranstaltete sie ihr erstes Mädchenfußballcamp. Sie wird als überhaupt erste Fußballerin von Red Bull gesponsert. Nächsten Mittwoch trifft Zadrazil mit Österreich zum Euro-Auftakt in Manchester auf England. Sollte bis dahin nichts passieren, wird die "Schlüsselspielerin" (Fuhrmann) auch auf der ganz großen Bühne ihre Qualitäten beweisen. (Andreas Hagenauer, 1.7.2022)

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