Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) ...

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Kairo/Ankara/Wien – Die illegale Migration und die geopolitischen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind die bestimmenden Themen einer Reise, die Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) von Samstag bis Montag nach Ägypten und in die Türkei führt. In Ankara dürfte die jüngste ÖVP-Charmeoffensive gegenüber dem autokratischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan fortgesetzt werden.

Anreise am Samstag

Ägypten sei "politisch, wirtschaftlich und in Bezug auf Sicherheit und Migration ein wichtiger Partner in der Region für die EU und Österreich", wurde im Vorfeld betont. In Kairo werden Schallenberg und Karner nach der samstägigen Anreise am Sonntag ihre ägyptischen Amtskollegen Sameh Shoukry und Tawfik Quandil treffen.

Schon zuvor beraten sie gemeinsam mit Vertretern internationaler Organisationen wie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dem World Food Programme (WFP) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Schallenberg kommt auch mit Menschenrechtsvertretern und Migrationsexperten zusammen. Zudem wird der Linzer Stahlkonzern Voest im Beisein von Transportminister Kamel el Wazir und Premier Moustafa Madbouli ein Wirtschaftsabkommen unterzeichnen. Ägypten ist für Österreich der zweitwichtigste Exportmarkt in Afrika (nach Südafrika).

Ein Schwerpunkt der Treffen in Ägypten ist die Nahrungsmittelsicherheit, etwa mittels der Versorgung des afrikanischen Kontinents mit ukrainischem Weizen. Ägypten leidet unter den ausbleibenden Getreidelieferungen aus der Ukraine aufgrund der Seeblockade Russlands im Schwarzen Meer. "Die steigenden Weizenpreise treffen Ägypten besonders hart. Das Land ist der weltweit führende Weizenimporteur, 80 Prozent des benötigten Weizens werden importiert, die Ukraine und Russland sind Hauptlieferanten", analysiert das Außenministerium (BMEIA) die Lage.

Ägypten leidet unter Nahrungsmittelkrise

Auch der steigende Ölpreis trage zu einer sehr angespannten Situation bei, da Benzin in Ägypten stark subventioniert werde. "Rund 30 Prozent der Menschen im Land leben an oder unter der Armutsgrenze. Das Potenzial für Instabilität im Land und für Migration nach Europa ist erheblich. Die EU versucht, beiden Trends entgegenzusteuern, und hat kurzfristig 100 Millionen Euro Unterstützung der Lebensmittelsicherheit in Ägypten zur Verfügung gestellt."

"Die globale Nahrungsmittelkrise, die durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine provoziert wurde, verschlimmert sich täglich, Ägypten leidet als Hauptimporteur von ukrainischem Weizen besonders darunter", stellte der Außenminister selbst fest. Der russische Präsident Wladimir Putin treibe die Preise in die Höhe und Menschen in Nordafrika in die Armut. "Russland blockiert ukrainische Häfen im Schwarzen Meer, zerstört gezielt Getreidesilos und verhindert durch die fortgesetzten Kampfhandlungen ein normales Bestellen und Ernten der Felder."

... und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) begeben sich auf diplomatische Mission.
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Putin führe einen Krieg mit "unglaublichem Zynismus und mit Hunger als Waffe", so Schallenberg. "Wir unterstützen alle internationalen Bemühungen, damit die Exporte von Getreide und Saatgut aus der Ukraine schnellstmöglich wiederaufgenommen werden können." Um diese zu garantieren, sind "grüne Korridore" angedacht, über die trotz des Krieges in der Ukraine etwa Getreide über das Schwarze Meer exportiert werden kann.

Als Vermittlerin beziehungsweise Überwacherin soll die Türkei gewonnen werden, die von beiden Kriegsgegnern als Partnerin akzeptiert wird. Das Nato-Mitglied hat gute Beziehungen zu beiden Staaten und verfolgt das Ziel, eine Balance zwischen den russischen und ukrainischen Interessen zu finden.

Treffen mit Amtskollegen in Ankara

In Ankara und Kairo werden aber auch "die Migration, die Rückkehr illegaler Migranten und die Intensivierung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Schlepperei und Menschenhandel zentrale Themen sein", wurde betont. "Die Asylanträge aus der Türkei haben im Zeitraum Jänner–Mai 2022 stark zugenommen."

Karner kommt am Montag in Ankara mit seinem Gegenüber Süleyman Soylu zusammen. Schallenberg trifft den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, mit dem er bereits Mitte Juni am Rande des Prespa-Forums für Dialog in Ohrid in Nordmazedonien bilateral konferiert hatte. Auch dabei war es unter anderem um die Getreidetransporte gegangen.

Karner: "Den Kampf gegen Schlepperei und illegale Migration kann kein Land für sich allein führen. Hier ist internationale Zusammenarbeit unverzichtbar. Deshalb möchten wir die Kooperation mit Ägypten und der Türkei verstärken und die polizeiliche Zusammenarbeit ausbauen."

Schallenberg: "Der Migrationsdruck auf die europäischen Außengrenzen hat zuletzt massiv zugenommen. Wir sehen erst die Spitze des Eisberges der wirtschaftlichen und sozialen Folgen des brutalen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Hier braut sich ein Sturm in Nordafrika und dem Nahen Osten zusammen, dessen Ausläufer früher oder später auch Europa erreichen werden. Die Türkei ist für Europa ein zentraler Partner, wenn es darum geht, illegale Migration zu verhindern."

Viele Besucher bei Erdoğan

Mit dem Besuch geht die ÖVP-Grünen-Bundesregierung zudem weiter auf Annäherungskurs mit dem System Erdoğan in der Türkei. Am Mittwoch hatte Bundeskanzler Karl Nehammer nach einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten und Regierungschef am Rand des Nato-Gipfels in Madrid vom "Beginn eines entspannteren Verhältnisses" gesprochen. In den Tagen zuvor war Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), aber auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in der türkischen Hauptstadt bei Erdoğan zu Gast gewesen.

In den vergangenen Jahren hatte es eine politische Eiszeit zwischen Wien und Ankara gegeben. Ab 2014 wurde der türkische Präsident insbesondere von Sebastian Kurz (ÖVP) – zunächst als Außenminister und später als Kanzler – zu einer Art Outlaw stigmatisiert. Im Zentrum der Missbilligungen standen der Demokratie- und Rechtsstaatsabbau unter Erdoğan, seine Einflussnahme auf die türkische Diaspora in Österreich sowie seine mutmaßlichen Versuche, die EU mit Migranten zu erpressen. Österreich machte sich auch für den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei stark.

International wird auch Erdoğans repressive Politik gegenüber kritischen Medien und der kurdischen Minderheit in der Türkei angeprangert. Der türkische Staat und militante Kurdenorganisationen, die eine Autonomie fordern, tragen bewaffnete Konflikte aus. Diese waren auch ein Anlass, warum sich Erdoğan eine Weile gegen die Nato-Beitritte von Finnland und Schweden gestellt hatte. Insbesondere Schweden warf er zumindest indirekte Unterstützung kurdischer "Terroristen" vor.

Wenn Erdoğan von "Terrorismus" spricht, bezieht er sich meist auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, die syrische Kurdenmiliz YPG und die Gülen-Bewegung, die die Türkei für den Putschversuch von 2016 verantwortlich macht. Ob diese Problemzonen während des Besuchs auch erörtert werden sollen, wurde seitens der Ministerbüros vor der Reise nicht explizit angesprochen. (APA, 1.7.2022)