Werden Politikerinnen und Politiker tatsächlich älter als der Durchschnitt der Bevölkerung – oder kommt es Wählerinnen und Wählern nur so vor? Eine Oxford-Studie liefert nun die bisher ausführlichste Erhebung dazu.

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Parlamente als Horte der Langlebigkeit? Was regelmäßig vorkommende Schlägereien in den Kammern der Volksvertretung – von Hongkong über Südafrika bis hin zum EU-Parlament – bezweifeln lassen, bestätigt nun eine Studie der Universität Oxford. Politikerinnen und Politiker erfreuen sich im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung einer höheren Lebenserwartung.

Dieses Urteil basiert auf Daten aus elf Ländern mit hohem Einkommen und schließt mehr als 57.500 Politpersönlichkeiten ein. Ihre verblüffenden Erkenntnisse veröffentlichten die Forschenden im Fachjournal "European Journal of Epidemiology". Gesammelt und durchleuchtet wurden Informationen über Politikerinnen und Politiker aus Australien, Österreich, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Neuseeland, der Schweiz, Großbritannien und den USA.

Auf der politischen Bühne lebt es sich verhältnismäßig lang. Zumindest in Ländern mit hohem Einkommen, wie eine Studie von Forschenden des Oxford-Departments für Populationsgesundheit belegt.
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In vielen Staaten wurden kürzlich erreichte Verbesserungen in der Lebenserwartung von der Corona-Pandemie durchkreuzt. Dieser Umstand führte das Forschungsteam von Oxford Population Health zur Frage, ob gewisse elitäre Berufe – etwa in der Politik – mit einer besseren Gesundheit einhergehen. Für ihre Analyse blickten die Forschenden bis ins Jahr 1816 (in Frankreich) zurück und untersuchten die Sterblichkeit bis 2017.

Bis zu sieben Jahre mehr

Damit legt das Team die bisher umfangreichste Untersuchung zum Thema vor. Zuvor haben sich Studien, die die Sterblichkeitsraten zwischen Politikerinnen und Politikern und der von ihnen vertretenen Bevölkerung verglichen, in der Regel auf eine Nation oder wenige Länder konzentriert.

Wie aber ist das nun mit der Politik und dem langen Leben? Die Erkenntnisse aus Oxford konnten tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Beruf und Lebenserwartung herstellen: Der Überlebensvorteil, den der Politberuf vielerorts bringt, ist in einigen analysierten Nationen – etwa den USA – auf dem höchsten Stand seit 150 Jahren.

Doch damit nicht genug: In manch untersuchtem Land überleben Politikerinnen und Politiker die Durchschnittsbevölkerung gar um sieben Jahre. Diesen Rekordwert erreichten die USA, während der Wert etwa in den Niederlanden bei einem Plus von rund vier Jahren liegt. Die Oxford-Gruppe verglich die Anzahl der Todesfälle unter Politikerinnen und Politikern jedes Jahr mit der durchschnittlichen Bevölkerungssterblichkeitsrate.

Zudem berechneten sie die Unterschiede in der Lebenserwartung ab dem Alter von 45 Jahren zwischen den Volksvertreterinnen und -vertretern und der allgemeinen Bevölkerung. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Überlebensvorteil der Politiker heute im Vergleich zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr hoch ist", sagt Laurence Roope, Senior Researcher bei Oxford Population Health und Mitautor der Studie.

Der britische Premier Winston Churchill war nicht gerade für eine gesundheitsfördernde Lebensweise bekannt. Weder war er dem Rauchen noch dem Alkohol abgeneigt.
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Typische Politleiden

Viele mögen auf der Suche nach einer Erklärung zuerst an finanzielle Faktoren denken. Schließlich wirft die Politik Gehälter ab, die jene der durchschnittlichen Bevölkerung bei weitem übersteigen. Dies mag zwar zu den Gründen gehören, den Forschenden zufolge müssen aber auch andere Faktoren eine Rolle spielen. Denn: Die Ungleichheit bei den Einkommen stieg vor allem ab den 1980er-Jahren, die Unterschiede in der Lebenserwartung zeigten sich aber bereits vor den 1940er-Jahren.

Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter vermuten einen Mix an Ursachen hinter dem Phänomen. Dazu gehört etwa die Verfügbarkeit besserer Therapien für Erkrankungen, die eher Menschen im politischen Geschäft treffen – insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Als Beispiel führen die Forschenden an, dass sowohl US-Präsident Franklin Roosevelt als auch der britische Premierminister Winston Churchill an Bluthochdruck litten. Beide starben schließlich an einem Schlaganfall. Seit jedoch in den 1960er-Jahren blutdrucksenkende Medikamente großflächig verfügbar wurden, ist das Risiko, an Kreislauferkrankungen zu sterben, deutlich gesunken.

Wer heute ein politisches Amt bekleidet, ist permanente (mediale) Aufmerksamkeit gewohnt – und sucht diese vielfach auch. Das Verhalten muss dann den sozialen Normen der Zeit entsprechen.
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Imagepflege

Ausschlaggebend könnte daneben auch ein neuer Politstil sein, der sich seit einigen Jahren immer stärker etabliert. Öffentliche Auftritte und Imagepflege werden dabei für das Ansehen von Politikerinnen und Politikern zusehends wichtiger. Neue Kampagnenmethoden – inklusive Fernsehübertragungen und der Präsenz auf Social-Media-Kanälen – könnten auch die Art der Personen verändern, die sich für eine politische Laufbahn entscheiden.

Es ist auch möglich, dass sich dies auf die Lebenserwartung dieser Gruppe auswirkt. Da die nun vorgelegte Studie Länder mit hohem Einkommen in den Fokus nimmt, sei bei Vergleichen jedoch Vorsicht geboten. So können die Ergebnisse wohl nicht auf Staaten mit mittlerem oder niedrigem Einkommen umgelegt werden, mahnen die Forschenden. (mare, 1.7.2022)