Alles Teamarbeit, alles von Hand: Das Wohnprojekt im indischen Sunderpur ist aus einer BASEhabitat-Initiative entstanden.

Foto: Kurt Hörbst

Ebenso wie das 200 Jahre alte Hägi Wendls in Vorarlberg, das mit Lehm, Holz und Stroh zu einer experimentellen Kombination aus Wohnhaus und Kulturzentrum umgebaut wird.

Foto: Kurt Hörbst

Meterstab, Schraubenzieher, Zange, Sonnenmilch, Heftpflaster, Medikamente. Ein oranger Hartschalenkoffer, der offensichtlich schon viel erlebt hat. Pass, Impfpass, T-Shirts, Zahnbürste, Flachmann. Alles, was man für eine Fernreise braucht, und nicht mehr.

So beginnt die Ausstellung des Vorarlberger Architekturinstituts vai, die derzeit an der Kunstuniversität Linz zu sehen ist und die sich dem 2004 von Architekt Roland Gnaiger gegründeten Projekt BASEhabitat widmet. Hier schließt sich ein Kreis zwischen West- und Ostösterreich, denn der Vorarlberger Gnaiger hatte den gleichnamigen Lehrgang während seiner Professur in Linz initiiert. Ziel dieses Lehrgangs war und ist es, Studierende vor Ort mit der Bevölkerung planen und auch tatsächlich bauen zu lassen. Vor Ort, das heißt: Indien, Thailand, Südafrika, Ecuador.

Kontinent in der Schublade

24 Projekte sind schon als bunte Punkte auf der Weltkarte verzeichnet, acht davon werden in der Ausstellung vorgestellt. Acht hölzerne Werkzeugkisten, in deren Schubladen sich ein Kontinent eröffnet. Ein Wohnprojekt im Lepradorf Sunderpur an der indisch-nepalesischen Grenze aus Lehmziegeln, gebrannten Ziegeln und Bambus, das sich leicht mit lokalen Baustoffen nachbauen lässt. Eine Grundschule auf dem Ithuba-Campus südlich von Johannesburg. Feldforschung über Bambusbauten in Ecuador.

"Es geht darum, junge Leute in Berührung zu bringen mit den Dingen, die sie planen", erklärt Sigi Atteneder, dessen weitgereistes T-Shirt die Ausstellung ziert und der, vor 15 Jahren selbst BASEhabitat-Student, heute als Nachfolger des 2019 emeritierten Roland Gnaiger das BASEhabitat-Studio professoral leitet. "Es geht nicht um Entwicklungshilfe und erst recht nicht um Stararchitektur, sondern darum, zu lernen, dass es auch andere Bauwelten gibt."

Teilhabe vor Ort

Mehr als ein Projekt wurde dabei von den Studierenden selbst initiiert, andere kamen durch Kontakte mit NGOs zustande. Allen gemeinsam ist, dass sich die Arbeit im Laufe der Zeit professionalisiert hat und man nicht mehr versucht, alles selbst zu machen. Neben einer Summer-School gibt es inzwischen auch ein Master- und Postgraduate-Studium, weil viele explizit "BASEhabitat studieren" wollten.

Denn einer der vier Grundsätze von BASEhabitat ist Teilhabe und Kooperation vor Ort – denn entschieden wird auf der Baustelle. "Die soziale Komponente ist sehr wichtig, dazu gehören auch Genderfragen. Es macht einen großen Unterschied, wenn Frauen auf der Baustelle sind und das Geld nach Hause bringen." Dies war die Erkenntnis, die die bayerische Architektin Anna Heringer – langjährige Dozentin bei BASEhabitat und so etwas wie das Gesicht des Social Turn in der Architektur – bei ihrer Pionierarbeit in Bangladesch erlebte.

Kluge Kühe, dumme Büffel

Genderaspekte der Tierwelt gehörten ebenfalls dazu: Denn zum Stampfen von Lehm sind Kühe nicht geeignet, weil sie intelligent sind und in ihre eigene Hufstapfen treten. Nur männliche Wasserbüffel sind stupide genug, mühsam quer durch den Gatsch zu treten.

Der Erfolg von BASEhabitat ist auch Zeichen eines Denkwandels in der Architektur. Jahrzehntelang galt das Bauen auf der Südhalbkugel im Studium als anthropologisches Nischeninteresse liebenswerter, aber versponnener Exoten, während sich die "richtigen" Architekten am heiligen Kanon der westlichen Welt von Corbusier bis Mies abarbeiteten.

Heute wird das Bauen mit Lehm und Bambus nicht mehr belächelt. Lehm hat auch in Mitteleuropa eine lange Tradition und wurde insbesondere vom Vorarlberger Pionier Martin Rauch wiederentdeckt. Zum anderen wird heute, wo das globale Materialkarussell ins Stocken gerät und sich die Preisspiralen immer wilder drehen, vielen klar, dass man ein Haus auch anders bauen kann als mit tausenden Komponenten, die aus 78 Ländern herbeigeschafft werden. Traditionelle Bauweisen und -materialien dagegen sind perfekt auf Mikroklima, kurze Transportwege und leichte Reparierbarkeit hin optimiert. Und trotz vieler Vorurteile – auch in den BASEhabitat-Ländern – müssen sie auch nicht ärmlich aussehen.

Teuerungsresistenter Baustoff

"Der Lehmbau hat sich inzwischen in Europa professionalisiert, beispielsweise mit Vorfertigungssystemen", erklärt der vai-Ausstellungskurator und ehemalige BASEhabitat-Studiomanager Clemens Quirin. "Der Vorteil ist, dass der Baustoff auch bei steigenden Gas- und Strompreisen nicht teurer wird, weil sehr wenig Energie für seine Herstellung aufgewendet werden muss. Und aus der Erde einer Baugrube kann man gut zehn Häuser bauen!" Kein Wunder, dass sich schon mehrere Interessenten außerhalb des Hochschulbetriebs bei BASEhabitat gemeldet haben, um das angesammelte Wissen zu nutzen – bis hin zum Häuslbauer.

Überhaupt ist die Erkenntnis aus 18 Jahren BASEhabitat, dass Wissenstransfer keine Einbahnstraße ist. Die Studierenden kommen mit handfestem Wissen und Selbstvertrauen zurück, und auch in Österreich wurden Projekte realisiert, wie der schmucke Holzpavillon im Botanischen Garten Linz und der Umbau eines 200 Jahre alten Hauses in Vorarlberg. Mehrere Generationen von Studierenden, die durch die Schule BASEhabitat gegangen sind, haben ihr Berufsleben gestartet, manche sind Lehmbauspezialisten, andere gründeten klassische Architekturbüros.

Auch Sandra Gnigler und Gunar Wilhelm vom Linzer Büro mia2, die die speziell oberösterreichische Kultur des Machens verfeinern und ins Städtische transferieren, wurden von BASEhabitat angeregt, von ihnen stammt auch die Gestaltung der Ausstellung. "Unsere ersten Jahre im Büro waren stark vom Tüfteln und Anpacken geprägt," erinnert sich Sandra Gnigler. "Seitdem hat sich die Überzeugung gefestigt, dass wir unseren Lebensraum hochwertiger und nachhaltiger gestalten können, wenn wir vermehrt natürliche und schön alternde Materialien einsetzten und einfache, bewährte Konstruktionen wählen. Insofern war es uns eine Freude, die Ausstellungsarchitektur für diese Jubiläumsausstellung übernehmen zu dürfen."

Lernen von woanders

So schaut die Ausstellung gleichzeitig stolz zurück auf angesammeltes Wissen und blickt nach vorn, in eine Ära global zugespitzter Krisen, in denen die Fähigkeit zur Improvisation ebenso an Wichtigkeit gewinnt wie das Wissen um regionale und klimaschonende Bautechniken. "Wir sehen es auch nicht als Aufgabe der Universität, den heutigen Markt zu bedienen, sondern in die Zukunft zu denken und Nachhaltigkeit umzusetzen", so die Kunstuni-Rektorin Brigitte Hütter. Die Werkzeugkiste ist gepackt. Ein Survival-Kit für die gebaute Umwelt. (Maik Novotny, 3.7.2022)