In Teil eins dieses Gastblogs zeigt Stefan Rastl, wie sich der Status von Frauen bei Spezialeinheiten im Lauf der Geschichte gewandelt hat.

Als im vergangenen Jahr die Bilder der Evakuierung am Flughafen Kabul um die Welt gingen, stachen Bilder von Sgt. Nicole L. Gee heraus, wie sie ein afghanisches Baby in ihren Armen hielt und umsorgte. Sie postete eines dieser Bilder auf ihrer Instagram-Seite mit dem Begleittext: "I love my job."

Wenige Tage später wurde sie bei einem Bombenanschlag mit zwölf anderen US-Soldaten getötet. Gee war Soldatin des 24th Marine Expeditionary Unit, einer offensiven Einheit des United States Marine Corps, die an konventionellen amphibischen Einsätzen teilnimmt, aber auch an Spezialoperationen des US-Militärs.

Frauen an der Front

Das Recht, in Einheiten für den Fronteinsatz oder gar in militärische Spezialeinheiten aufgenommen zu werden sowie an vorderster Front zu kämpfen, musste von Frauen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hart erstritten werden. Wie in vielen anderen Berufsgruppen, wurden auch hier Frauen ausgeschlossen und diskriminiert.

Dies erfolgte, wie so oft, ungerechtfertigt, da Frauen bereits mehrfach und erfolgreich ihre Eignung unter Beweis gestellt hatten. Denn die Geschichte und Entstehung moderner Spezialeinheiten ist auch die Geschichte heldenhafter Frauen, die mit ihrer Ausdauer, Kühnheit und Opferbereitschaft erfolgreich an streng geheimen Spezialoperationen des Zweiten Weltkrieges teilnahmen, nur um im Anschluss von diesen ausgeschlossen und auf administrative Posten verbannt zu werden.

Geheimagentin Virginia Hall

Die große Not des von Hitler entfachten totalen Krieges, der mit seinen Geheimdiensten alle Bereiche der Gesellschaft durchdrang, brachte im Zweiten Weltkrieg die Verantwortlichen des britischen "Special Operations Executive" (SOE) als erste nachrichtendienstliche Spezialeinheit zum Umdenken. Der große Bedarf an Personal für subversive Einsätze in den besetzten Gebieten Europas, gepaart mit dem gleichzeitigen Mangel an geeigneten rein männlichen Agenten mit perfekten Sprachkenntnissen, führte zur Entscheidung, Frauen zu rekrutieren.1

Eine dieser Frauen, die als Agentin angeworben wurde, war die US-Amerikanerin Virginia Hall. Hall wurde 1906 in eine wohlhabende US-Familie geboren. Entgegen gleichaltriger Mädchen bevorzugte es Hall, Hosen mit Hemden zu tragen oder mit ihrem Vater auf die Jagd zu gehen.2 Dies führte im Jahr 1932 zu einem dramatischen Jagdunfall, bei dem sie das linke Bein unterhalb des Knies verlor und fortan eine Prothese tragen musste, welcher sie den Namen Cuthbert gab. Diese Beinprothese, die sie auffällig humpeln ließ, brachte ihr im späteren Einsatz als Agentin den Spitznamen "hinkende Dame" durch die Gestapo ein.3

Virgina Hall bei der Verleihung des Distinguished Service Cross im Jahr 1945.
Foto: Gemeinfrei

Eintritt in den Geheimdienst

Bis 1939 arbeitete Hall als US-Konsulatsangestellte, meldete sich jedoch 1940 als freiwillige Krankenwagenfahrerin in der französischen Armee. Nach dem Fall von Frankreich im Juni 1940 und ihrer Flucht nach Spanien kam es zur Kontaktaufnahme mit dem britischen Geheimdienst MI6, welcher sie an das SOE weitervermittelte. Es waren ihre persönlichen Erlebnisse der durch die Nazis begangenen Verbrechen in Frankreich, die in Hall den Entschluss weckten, gegen den Faschismus aktiv kämpfen zu wollen.

Neben ihren Fremdsprachen- und Ortskenntnissen waren insbesondere ihre Verschwiegenheit und Nervenstärke jene Attribute, die sie für den Einsatz hinter feindlichen Linien bestens qualifizierten. Hall musste sich beim SOE wegen ihrer Beinprothese einem rigorosen Training unterziehen und wurde schlussendlich 1941 als Agentin nach Frankreich eingeschleust.

Aufgrund der Beinprothese konnte sie nicht mit dem Fallschirm abspringen, sondern musste mit einem Boot über den Ärmelkanal transportiert werden. In Frankreich angekommen, rekrutierte sie Franzosen als Agenten, legte Verstecke an, übermittelte Nachrichten und erarbeitete sich den Respekt und das Vertrauen anderer Agenten des SOE. Nachdem einige ihrer Mitstreiter in Gefangenschaft gerieten, organisierte Hall deren Ausbruch und die anschließende Flucht nach England.

Halls Aktivitäten erzürnten die Gestapo so sehr, dass die Anzahl an Agenten stark erhöht wurde und der als "Schlächter von Lyon" bekannte Klaus Barbie die Ergreifung von Hall zu einem seiner Hauptziele erklärte. Barbie, der Gestapo-Chef von Lyon, ließ Steckbriefe drucken und setzte ein Kopfgeld aus, was den großen Erfolg sowie die Furcht der Nazis vor dieser Frau widerspiegelte.4

Im Dienste Amerikas

Als der Druck zu groß wurde, war Hall gezwungen, zu flüchten. Zurück in England, wollte Hall wieder in den Einsatz nach Frankreich, dies wurde aber vom SOE kategorisch abgelehnt, da sie als kompromittiert galt. Hall wandte sich deshalb an das neu gegründete "Office of Strategic Services" (OSS), dem amerikanischen Pendant zum SOE und direktem Vorläufer der CIA. Das OSS und seine Einsatzteams sowie Einsatzgruppen, die immer in Militäruniform operierten, bilden auch einen Vorläufer der heutigen Spezialeinheiten des US-Militärs. Das OSS nahm sie im Rang eines second lieutenant in den Dienst auf und führte sie unter dem Decknamen Diane.5

Hall gehörte damit zu jener amerikanischen Elite an Agenten und militärischen Spezialkräften, die bis heute unter der Bezeichnung "Tip of the Spear" bekannt sind. Diese Speerspitze wurde auch zu der Insignie des OSS und existiert in leicht abgewandelter Form bis heute als Emblem des United States Special Operations Command, der Teilstreitkräfte übergreifenden Kommandoeinrichtung sämtlicher US-amerikanischer Spezialeinheiten.

Im Auftrag des OSS wurde Hall wieder nach Frankreich entsandt, wo sie unter anderem Agentennetzwerke aufbaute, Landezonen für Abwürfe von Material und Personen etablierte, Überfälle auf deutsche Einheiten organisierte und den Aufbau von Einheiten des französisches Widerstand organisierte.

Nachdem Hall ihre Ziele in Frankreich erfüllt hatte, sollte sie gegen Kriegsende nach Österreich entsandt werden, wo sie bereits viele Jahre zuvor in Wien als Studentin gewesen war. In Österreich sollte sie den Aufbau von Widerstandsgruppen gegen den Nationalsozialismus leiten. Da die Alliierten jedoch schneller vorrückten, kam es nicht mehr zu diesem Einsatz und sie kehrte nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches nach Frankreich zurück.6

Ehrung, Würdigung und Diskriminierung

Hall versinnbildlichte das Idealbild einer Geheimagentin, die im amerikanischen Sprachgebrauch bis heute als "quiet professionals" bezeichnet werden. Als einzige Zivilistin wurde Hall mit dem Distinguished Service Cross ausgezeichnet, der zweithöchsten Auszeichnung der US-Amerikanischen Armee, die nur für außerordentlichen Heldenmut im Kampfeinsatz vergeben wird. Aufgrund ihrer Bescheidenheit und dem Wunsch, weiterhin als Agentin zu arbeiten, verzichtete Hall nach dem Krieg – entgegen dem Willen von US-Präsident Harry S. Truman – auf öffentliche Ehrungen.

Sie wurde als Ehrenmitglied im Order of the British Empire aufgenommen und mit dem französischen Croix de Guerre ausgezeichnet.7 1947 nahm sie in der neugegründeten CIA eine Stelle an, wo sich die meist männlichen Bürokraten ohne Kampferfahrung an ihr stießen und sie sicherlich auch aufgrund von Neid diskriminierten. Da die Notwendigkeit für Frauen im Fronteinsatz nicht mehr im selben Ausmaß wie im Zweiten Weltkrieg gegeben war, wurde Hall ein Schreibtischjob zugewiesen. Im Alter von 60 Jahren wurde sie regelkonform von der CIA pensioniert und verstarb im Jahr 1982.

Frauen in den unterschiedlichsten Positionen

Die Frauen des OSS kämpften im Zweiten Weltkrieg aber nicht nur direkt an der Front, sie erfüllten auch weitere wichtige Aufgaben, wie Analyse und Auswertung von Materialien. Sie entwickelten Befragungsmethoden für Emigranten in den USA, wie beispielsweise Emmy Crisler Rado, die so wertvolle Informationen für den Kriegseinsatz gewann.8

Auch die österreichische Kunsthistorikerin Eva Benesch, die aufgrund ihrer jüdischen Abstammung fliehen musste, unterstützte die vielseitigen Projekte des OSS als Informantin. Sie half gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem späteren Albertina-Direktor Otto Benesch, bei der Erstellung von Listen europäischer Kunstschätze, um diese vor der Zerstörung zu bewahren, und unterstützte Projekte zur Redemokratisierung Österreichs. Die erstellten Listen von Kunstschätzen waren von höchster Qualität und halfen den sogenannten Monuments Men bei der Rettung des geistig-kulturellen Erbes Europas.9 (Stefan Rastl, 5.7.2022)