Die beiden kirchlichen Oberhäupter, der serbische Patriarch Porfirije (Perić) und Erzbischof Stefan (Veljanovski) von Ohrid und Makedonien, beim gemeinsamen Versöhnungsgottesdienst in Skopje Ende Mai.

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Als der Metropolit mit dem Rauschebart 2010 an der makedonisch-serbischen Grenze verhaftet wurde, steuerte der Kirchenkonflikt auf einen neuen Höhepunkt zu. Bischof Jovan, der Mann mit dem bürgerlichen Namen Zoran Vraniškovski, wurde wegen Missbrauchs von Geldern angezeigt. Von 2012 bis 2015 saß er sogar hinter Gittern.

Denn Vraniškovski hatte sich den Weisungen der mazedonisch-orthodoxen Kirche (MOK) widersetzt und folgte stattdessen jenen der serbisch-orthodoxen Kirche (SOK). Letztere hatte 2003 den umstrittenen Priester im Nachbarstaat Mazedonien sogar zum Metropoliten des Erzbistums von Ohrid ernannt. Die mazedonischen Behörden beschuldigten daraufhin Bischof Jovan, "ethnischen und religiösen Hass" zu verbreiten. Er hatte Broschüren verteilt und seine Wohnung in Bitola zur Kirche erklärt, die unter die Jurisdiktion der serbischen Kirche falle.

Doch nun, nach 55 Jahren Schisma, herrscht zwischen SOK und MOK plötzlich wieder Friede und Eintracht. Die Aussöhnung kam relativ überraschend, war aber doch lange vorbereitet.

1967 hatte die MOK einseitig die Autokephalie und ihre Unabhängigkeit von der SOK verkündete. Damit wurde sie als schismatische religiöse Organisation eingestuft. Auch das Ökumenische Patriarchat konnte trotz zahlreicher Vermittlungsversuche ein halbes Jahrhundert lang keine Einigung erzielen.

"Mazedonisch" ausgeschlossen

Doch am 9. Mai dieses Jahres verkündete die Heilige Synode des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, dass sie nach Bitten der MOK und staatlicher Vertreter aus Nordmazedonien "die Hierarchie, den Klerus und Laien unter Erzbischof Stefan dieser Kirche in eucharistischer Gemeinschaft willkommen heißt". Damit sei die "Wunde des Schismas" geheilt.

Die Kirche werde unter der Bezeichnung "Erzbistum von Ohrid" anerkannt, doch der Begriff "mazedonisch" und alle anderen Abwandlungen von "Mazedonien" werden ausgeschlossen, wie der Schweizer Theologe und Chefredakteur der Zeitschrift "Religion & Gesellschaft in Ost und West", Stefan Kube erklärt.

Wenige Tage danach lenkte auch die SOK ein und erklärte, die liturgische und kanonische Gemeinschaft mit der MOK aufzunehmen, da die "Gründe für die Unterbrechung der Kommuniongemeinschaft aufgrund der einseitigen Proklamation der Autokephalie 1967" beseitigt worden seien. Offiziell wiederhergestellt wurde die eucharistische Gemeinschaft am 19. Mai mit einem gemeinsamen Gottesdienst in der Sveti-Sava-Kathedrale in Belgrad. Auch in Skopje fand ein gemeinsamer Versöhnungsgottesdienst statt.

Vermittler Zoran Zaev

Was war geschehen? 2020 hatte sich der damalige mazedonische Premier Zoran Zaev, der auch den Namensstreit mit Griechenland erfolgreich beendet hatte, an den Ökumenischen Patriarchen und bat ihn um Hilfe und um Verleihung der Autokephalie an die MOK. Er besuchte Patriarch Bartholomaios auch in Istanbul. Bartholomaios bat wiederum seine Vermittlung an und lud Vertreter von SOK und MOK zu Gesprächen ein. Das erhöhte den Druck auf die SOK.

Entscheidend war wohl auch, dass das Ökumenische Patriarchat in Istanbul bereits zuvor im ukrainischen Kirchenkonflikt eingegriffen hatte. 2019 hatte das Patriarchat schließlich – sehr zum Missfallen des Moskauer Patriarchats – der Orthodoxen Kirche der Ukraine die Autokephalie verliehen.

Putins Drohungen

Der russische Präsident Wladimir Putin drohte damals dem ökumenischen Patriarchat, diese Veränderungen könnten blutig enden. Als er im Februar den Krieg gegen die Ukraine begann, erwähnte er explizit die angebliche Verfolgung der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine. Auch die SOK hat die Autokephalie der Ukrainischen Kirche nicht 2019 nicht anerkannt, weil sie einen Präzedenzfall für die mazedonische Kirche fürchtete.

Der mazedonische Kirchenexperte Marjan Nikolovski denkt, dass "die Ukraine nun aber in gewisser Weise die Entscheidung der SOK beeinflusst hat, die MOK anzuerkennen". Denn der Krieg gegen die Ukraine habe die Kluft zum Moskauer Patriarchat in der orthodoxen Welt vergrößert. Der Konflikt zwischen dem Moskauer Patriarchat und dem Phanar, dem Amtssitz des Ökumenischen Patriarchen in Istanbul, werde sicher weitergehen. Bartholomäus habe nun aber auch bei der Frage der MOK gezeigt, dass er eine Führungspersönlichkeit sei.

Günstige Geopolitik

Die SOK habe in all den Jahren des Schismas nichts daran ändern können, dass die MOK gewachsen sei und unter den orthodoxen Kirchen immer mehr als eigenständig erkennbar wurde. "Die SOK wusste, wie dieser Prozess enden würde, und schloss sich ihm im letzten Moment an", so Nikolovski. Die geopolitischen Umstände seien günstig, und der serbische Präsident Aleksandar Vučić habe zudem die SOK aufgefordert, ein konstruktiver Partner des serbischen Staates zu sein.

Tatsächlich hat Vučić mittlerweile enormen Einfluss auf die SOK. Auf politischer Ebene unterhält Serbien zudem über Vučićs umstrittene Wirtschaftsinitiative "Open Balkans" mit Nordmazedonien seit ein, zwei Jahren ein enge Kooperation. Zaev war in dieser Hinsicht Vučić entgegengekommen.

Baustelle Montenegro

Vor ein paar Wochen, am 5. Juni, überreichte schließlich das Oberhaupt der SOK, Patriarch Porfirije, in der Belgrader Sveti-Sava-Kathedrale dem Erzbischof Stefan aus Nordmazedonien den Tomos – ein Dekret – zur Autokephalie. Zudem überlässt die SOK der MOK alle Kirchen und Klöster sowie ihr ganzes bewegliches und unbewegliches Vermögen in Nordmazedonien zur Nutzung. Porfirije betonte aber, dass die Bedingungen und Kontexte in Nordmazedonien "absolut anders im Verhältnis zu anderen Gebieten" seien, in denen "unsere Kirche existiert und lebt". Damit meinte er wohl den Nachbarstaat Montenegro, in der die SOK eine andere eigene montenegrinische orthodoxe Kirche nicht anerkennt.

Vertreter der montenegrinischen Orthodoxie hoffen trotzdem, dass die Entscheidung der SOK gegenüber der MOK auch für sie beispielgebend werden könnte. Der montenegrinische Präsident Milo Djukanović besuchte bereits den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus in Istanbul. Nach orthodoxer Kirchentradition, die auf das Byzantinische Reich zurückgeht, soll es in einem Staat eigentlich nur eine Kirche geben. Kirche und Staat sollen dabei in einer Symphonie, also in einer harmonischen Beziehung zusammenarbeiten.

Russische gegen Serbische Orthodoxie

Nach der Auflösung der Sowjetunion und Jugoslawiens Anfang der 1990er-Jahre versuchten allerdings die Russische Orthodoxie und die Serbische Orthodoxie in allen Nachfolgestaaten die dominante orthodoxe Kraft zu bleiben. So ist bis heute nicht nur in Montenegro, sondern auch in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo die SOK vorherrschend. Damit geht ein großer politischer Einfluss einher. Im Vorjahr führte der Wunsch, sich vom serbischen Einfluss freizumachen, und die Machtdemonstration der serbischen Orthodoxie in Montenegro sogar zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

In Mazedonien wurde die SOK bereits in jugoslawischer Zeit als Instrument der Serbisierung angesehen. Die orthodoxe Kirche stand in dem Gebiet des heutigen Staates Nordmazedonien ab 1019 unter byzantinischer, bulgarischer, serbischer und osmanischer Herrschaft. Das Erzbistum von Ohrid wurde 1767 auf Ersuchen des Ökumenischen Patriarchen Samuel durch Sultan Mustafa III. aufgehoben. Ab damals kam es zu Machtkämpfen, vor allem zwischen bulgarischen und serbischen Interessen.

Geschichte mit Symbolen

Zunächst Teil des Bulgarischen Exarcharts, wurde ein Teil Mazedoniens im Ersten Weltkrieg Teil von Serbien. Die bulgarischen Priester wurden in der Folge ausgewiesen und durch Serben ersetzt. Im Zweiten Weltkrieg kam das Gebiet wieder unter die Kontrolle Bulgariens, und serbische Bischöfe und Priester wurden ausgewiesen.

Unter dem Einfluss von Tito bekam die MOK 1959 als Teil der SOK zumindest Autonomie. Doch sieben Jahre später kam es dann zum Bruch mit Folgen: Während des Schismas durfte der mazedonische Metropolit die weiße Kopfbedeckung mit dem leuchtenden Kreuz namens Epanokalimmavko nur tragen, wenn der Patriarch nicht anwesend war.

Ein kurzes Schisma

Der Heilige Naum hätte den Zwist wohl nicht für möglich gehalten. Gerade in Nordmazedonien ist die Langfristigkeit sichtbar, mit der die Orthodoxie hier wirkt. Der Heilige Naum, der als Schüler von Kyrill und Method aus Mähren nach Ohrid kam und dort an der Wende zum 10. Jahrhundert die altkirchenslawische Sprache entwickelte, baute Kirchen und Klöster und machte Ohrid zu einem spirituellen und kulturellen Zentrum.

Begraben in einer der schönsten Kirchen auf dem Balkan, die seinen Namen trägt, über dem Ohrid-See gelegen, pilgern auch Muslime zu ihm. Viele Besucher legen ihr Ohr an seinen Sarkophag, und manche meinen sogar, seinen Herzschlag zu vernehmen, obwohl er vor mehr als 1.100 Jahren verstorben ist. 55 Jahre Schisma sind angesichts dessen wirklich nur eine kleine Episode. (Adelheid Wölfl, 4.7.2022)