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Bitte einen Gang raufschalten: Wer ordentlich ins Schwitzen kommt, hat nach dem Training weniger Hunger – eine wichtige Erkenntnis für Abnehmwillige.

Foto: Getty Images/Jun

Die Beziehung zwischen Fitness und Ernährung ist eine spezielle. Natürlich wissen wir alle, dass wir Sport machen sollen, damit wir gesund und beweglich bleiben. Und trotzdem raffen sich manche nur deshalb dazu auf, weil sie damit ihr Gewicht im Griff behalten wollen. Dass das so nicht funktioniert, weiß man schon lange. Wer mit Sport abnehmen möchte, muss gleichzeitig auch die Kalorienaufnahme reduzieren – sonst funktioniert es einfach nicht. Im schlimmsten Fall nimmt man sogar zu, weil man das Gefühl hat, jetzt "darf" man ja ungehemmt zugreifen.

Tatsächlich bestimmen viele Parameter, wie sich Sport auf das Gewicht auswirkt. Geschlecht, Genetik, Stoffwechselrate, Körpermasse, die aktuelle Fitness, Ernährung und sogar der Zeitpunkt des Trainings spielen eine Rolle. So deuten etwa einige Studien – aber nicht alle – darauf hin, dass morgendliches Schwitzen mehr Fett verbrennen könnte als die gleiche Anstrengung am Abend.

Ein Phänomen fällt aber fast allen sportlich aktiven Menschen auf: Manchmal ist man danach so hungrig, dass man gefühlt drei Portionen verdrücken könnte – und Nachspeise noch dazu. An anderen Tagen wiederum hat man nach dem Training wenig bis gar keinen Hunger. Beobachtet man dieses Phänomen, fällt einem womöglich auf, dass man paradoxerweise vor allem nach einem anstrengendem Workout eher nicht hungrig ist. Warum das so ist, war bisher ein Rätsel. Nun scheint eine Studie, die vor kurzem im Fachmagazin "Nature" veröffentlicht wurde, das Geheimnis zu lüften.

Mäuse auf winzigen Laufbändern

Ein einziges Molekül soll dafür verantwortlich sein, meint das internationale Autorenteam der Studie, das Forschende der Stanford University in Kalifornien, des Baylor College of Medicine in Houston, der Universität Kopenhagen und weiterer Institutionen vereint. Dieses Molekül, das nach dem Training produziert wird und den Hunger dämpft, kommt in der Blutbahn von Mäusen, Rennpferden und Menschen vor. Prinzipiell wird es beim Training immer erzeugt, aber: Nach anstrengenden Einheiten ist seine Konzentration viel höher als nach lockerem Training. Es könnte also ein Schlüssel dafür sein, wie man seinen Kalorienkonsum nach dem Sport steuert.

Natürlich sind mehrere Substanzen an der Entstehung unseres Hungergefühls beteiligt. Unter anderem sind die Hormone Ghrelin und Leptin dafür verantwortlich, ob wir mehr oder weniger essen wollen. Ihre Konzentration hängt vom Bewegungsausmaß ab, aber auch Ernährungs- und Schlafgewohnheiten beeinflussen sie. Das Hungerausmaß nach dem Training konnte mit diesen bekannten Parametern aber nie geklärt werden. Deshalb kam die Frage nach einer übungsspezifischen Hungerreaktion auf.

Mit neu entwickelten Techniken begann man nach Molekülen zu suchen, die sich nach dem Training in größer Zahl in der Blutbahn befinden. Man setzte dafür Mäuse auf winzige Laufbänder, auf denen sie mit zunehmender Geschwindigkeit laufen mussten, bis sie erschöpft waren. Davor und danach nahm man ihnen Blut ab und verglich die Werte tausender Moleküle.

Ein Molekül, das bereits in anderen Studien festgestellt worden war, aber dessen Rolle nicht bekannt war, stach dabei hervor. Es handelt sich um eine Mischung aus Laktat und der Aminosäure Phenylalanin, die offensichtlich als Reaktion auf den durch das Training hohen Laktatspiegel gebildet wird. Die Forschenden nannten das Molekül Lac-Phe.

30 Prozent weniger Futter

Um ihre Annahme zu überprüfen, dass mehr Lac-Phe weniger hungrig macht – man wusste bereits, dass die es erzeugenden Zellen im Blut mit der Energieaufnahme und der Körpermasse im Zusammenhang stehen –, gab man fettleibigen Mäusen, die normalerweise mit Begeisterung fraßen, eine Form von Lac-Phe. Die erstaunliche Erkenntnis: Sie fraßen völlig freiwillig um etwa 30 Prozent weniger Trockenfutter – sie waren einfach nicht so hungrig.

Als Nächstes züchteten die Forschenden Mäuse, die wenig oder gar kein Lac-Phe produzierten, und schickten sie mehrere Wochen lang fünfmal pro Woche auf die Laufbänder. Danach bekamen sie jeweils so viel fettreiches Trockenfutter, wie sie wollten. Normalerweise nehmen laufende Mäuse selbst bei unbegrenzter Fressmöglichkeit nicht zu. Aber die Mäuse ohne Lac-Phe fraßen ohne Hemmung und steigerten ihr Gewicht um rund 25 Prozent mehr als die Kontrollgruppe. Das Molekül dürfte also der Schlüssel für die Gewichtszunahme sein.

Schließlich wurden noch weitere Spezies auf ihre Lac-Phe-Konzentration geprüft. So fand man das Molekül in der Blutbahn von Rennpferden nach einem harten Lauf in viel höherer Konzentration. Schließlich testete man acht gesunde junge Männer darauf. Sie mussten sich dreimal bewegen: einmal 90 Minuten in gemächlichem Tempo Radfahren, einmal Gewichtheben und einmal mehrere 30-Sekunden-Sprints auf einem stationären Fahrrad. Die Sprints brachten die höchste Konzentration, danach folgte das Krafttraining. Auch das gemütliche Radeln steigerte das Lac-Phe, aber im geringsten Ausmaß. Es zeigte sich ganz klar: Je intensiver die Übung war, desto mehr von dem Molekül entstand.

Am besten alles geben

Geht man davon aus, dass der Lac-Phe-Prozess beim Menschen genau so funktioniert wie bei Mäusen, kann man aus der Entdeckung wichtige Schlüsse ziehen, meint Jonathan Z. Long, Pathologe an der Stanford University und leitender Autor der Studie: "Will man große Essensmengen nach dem Training vermeiden, muss man womöglich die Intensität erhöhen." Intuitiv und evolutionär sei dieser Prozess nachvollziehbar: "Wenn man vor einem Säbelzahntiger oder einer anderen Bedrohung flüchtet, drosselt das autonome Nervensystem die Verdauung und alle anderen unnötigen Prozesse."

Will man also mit Sport sein Gewicht beeinflussen, sollte man bei der Intensität wohl einen Gang höher schalten – auch wenn man noch nicht genau weiß, wie anstrengend das Training konkret sein muss und wie lange die Wirkung des Moleküls anhält. Die männlichen Probanden waren außerdem jung und gesund. Wie es bei höhergewichtigen Menschen aussieht, die womöglich auch Vorerkrankungen haben, kann man noch nicht sagen. Es kann jedoch nicht schaden, ein paar Mal bis zur nächsten Straßenecke zu sprinten beim nächsten Lauf. Denn eines zeigen die Daten klar, sagt Studienautor Long: "Die Trainingsintensität ist für die Appetitkontrolle relevant." (Pia Kruckenhauser, 2.7.2022)