Nancy Sinatra und Lee Hazlewood. Ihr erstes Duettalbum machte sie zu Ikonen der Sixties. Das gibt es nun erstmals neu aufgelegt.

Foto: Ron Joy

Lee Hazlewood behauptete, er hasse das Album. Das war ziemlich kokett. Immerhin gestand er in einem Interview mit dem STANDARD, Tränen vergossen zu haben, als Elvis Presley eines seiner Lieder aufgenommen hatte. Nicht wegen der Schönheit des Ergebnisses, nein. Er weinte vor Freude, weil er an das viele Geld dachte, das ihm das einbringen würde. Warum sollte er also ein Hitalbum hassen? Hazlewoods Begründung: "Plötzlich wusste jeder, wie ich aussehe!" Bis dahin werkte er erfolgreich als Produzent im Hintergrund. Doch das änderte sich 1968 schlagartig.

Damals erschien Nancy & Lee. Ein Duettalbum des Songwriters und Sängers Lee Hazlewood (1929–2007) mit der Sängerin Nancy Sinatra. Es ging durchs Dach. Mehr noch. Es erwies sich nicht als kurzfristiges Bäuerchen in den Charts, das Album gilt als eines der epochemachenden Werke der späten 1960er-Jahre. Das Konzept des Albums und seine Wirkung sind als Echo bis heute vernehmbar, selbst das Cover-Artwork wurde oft kopiert.

Mysteriöses Werk

Um sicherzustellen, dass dieses Echo nicht schwächer wird, wurde Nancy & Lee nun erstmals seit damals neu aufgelegt. Das US-amerikanische Wiederveröffentlichungslabel Light in the Attic ist seit Jahren damit beschäftigt, den oft nur schwer erhältlichen Hazlewood-Katalog neu zugänglich zu machen, ebenso jenen der heute 82-jährigen Nancy Sinatra. Diese Zusammenarbeit der beiden gilt als ein Höhepunkt in beiden Karrieren.

Nancy & Lee ist ein mysteriöses Album. Eine Mischung aus Mainstream und Gegenkultur, aus Laszivität und Unschuld, aus Humor und gebrochenem Herzen. Lounge trifft auf Country, mit Herzblut geflutete Balladen auf höheren Unfug. Sie, die blonde Schöne, er, der mit der Zuhälterbremse an der Oberlippe. Glockenheller Gesang hier, Kellerbariton da, Andeutungen überall.

caloo9bu

Begonnen hatte das alles drei Jahre zuvor. Damals dümpelte die Karriere der Tochter des Giganten Frank Sinatra vor sich hin. Irgendwann wollte der Papa nicht länger zuschauen und griff ein. Er engagierte Hazlewood, um seiner Tochter endlich Hits zu schreiben. Hazlewood war seit den 1950ern im Geschäft und hatte Duane Eddys Karriere dermaßen erfolgreich auf Schiene gebracht, dass er sich mit Anfang 30 eigentlich zur Ruhe gesetzt hatte. Doch das hielt er nicht lange aus.

Babydoll und It-Girl

Der kleine Mann mit dem großen Bart – er hieß ja Barton Lee Hazlewood – besaß ein Gespür für abseitige Storys, die er zu ebensolchen Songs verarbeitete. Einer davon war These Boots Are Made For Walkin’ – ursprünglich verfasst aus der Perspektive eines gekränkten Mannes. Doch Nancy bestand darauf, es aus der Perspektive einer Frau zu singen. Es wurde 1966 ein Welthit, dem weitere Evergreens wie Sugartown oder How Does That Grab You Darling? folgten. Der Erfolg machte Nancy und Lee unzertrennlich – rein geschäftlich, wie beide stets betont haben. So kam es schließlich zum Duettalbum.

Light In The Attic Records

Die Paarung wurde als "The Beauty and the Beast" gehandelt – der Fantasie standen die Türen weit offen, zweideutige Texte und das zwischen Babydoll und selbstbewusstem It-Girl wechselnde Image Sinatras machten jede Menge Angebote, immerhin klopfte gerade die sexuelle Revolution an die Tür. Some Velvet Morning ist so betrachtet das verruchteste Lied auf der Platte, ein anspielungsreiches Bonsai-Epos, durchzogen von einer siechen Psychedelic, die den Song am Ende wie in Trance dastehen lässt.

Dutzende Acts haben ihn bis heute gecovert: Primal Scream mit Supermodel Kate Moss. Die Wüstenrocker Thin White Rope, der Jazzgitarrist Gabor Szabo, Lydia Lunch, die eine Crack-House-Version mit Rowland S. Howard eingespielt hat, oder Vanilla Fudge, die den Song auf sieben Minuten dehnen und zerorgeln.

Auf dem Schrottplatz

Die Generation Post-Punk absorbierte das Werk. Das Lied Sand wurde von den Einstürzenden Neubauten auf dem Schrottplatz zerlegt. Alexis Kapranos von Franz Ferdinand umschwärmt Clara Luciani für eine Version von Summer Wine – dessen sich auch Lana Del Rey angenommen hat. The Jesus and Mary Chain waren gelehrige Schüler und so weiter, und so fort.

The Ed Sullivan Show

Neben den bekannten Hits bietet das Werk auch ein paar Weirdos wie das zweckpessimistische I’ve Been Down so Long (It Looks Like Up to Me) oder das Beziehungsdrama Jackson: ein in Richtung Pop gebeugter Country-Song, der nie besser interpretiert wurde. Verantwortlich dafür ist die Balance aus Lakonie und die Zärtlichkeit, mit der die beiden vortragen. Das beförderte nicht nur eine besondere Dramatik, es zeitigte eine originäre Eleganz, an die nichts heranreicht und die dem Zahn der Zeit widersteht.

Gold und goldenes Vinyl

Dafür sorgten ein paar der besten Studiomusiker ihrer Zeit, etwa die Wrecking Crew in Los Angeles, die manche der Songs eingespielt haben. Was diese Crew angriff, wurde fast immer zu Gold.

In goldenem Vinyl kommt nun auch eine Version der Wiederveröffentlichungen daher, samt zweier nicht dringend notwendiger Bonustracks aus den Sessions damals. Zudem auf CD, Achtspur- und Musikkassette.

Noch zweimal legte die Paarung nach. Again war 1971 ein wenig ambitionierter Abklatsch, das 2004 erschienene III. kann man überhaupt vergessen. Nancy & Lee aber, das strahlt ungebrochen. (Karl Fluch, 2.7.2022)