Es liegt schon wieder etwas in der Luft. Kaum ein Gespräch am Rande des U-Ausschusses, kaum ein Plausch mit den bestens vernetzten politischen Köpfen des Landes kommt derzeit ohne die Frage aus, ob man zufällig mehr wisse – über dieses angeblich nächste große Ding, das in den Ermittlungsakten schlummere.

Worum es da geht? Darüber gibt es derzeit nur Spekulationen. Die Gerüchte entspringen aber offenbar dem sogenannten Konsultationsverfahren zwischen U-Ausschuss und Justiz. Denn die Justiz muss dem parlamentarischen Untersuchungsgremium regelmäßig Ermittlungsakten liefern – und begründen, wenn sie gewisse Dokumente noch nicht übermittelt.

Vizekanzler Werner Kogler und Kanzler Karl Nehammer können kein Interesse an Wahlen haben – zumindest in der Theorie.
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Und dort soll vor einigen Wochen die Rede von einem bislang unbekannten Strafakt gewesen sein, den die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft keinesfalls freigeben könne. Sogar eine grobe Inhaltsangabe würde die laufenden Ermittlungen gefährden, hieß es angeblich – und so nahmen die Spekulationen ihren Lauf.

Nervosität

Im vergangenen Sommer war die Situation nicht unähnlich. Da hielt die stellvertretende ÖVP-Generalsekretärin Gabriela Schwarz, die nun Volksanwältin wurde, sogar eine Pressekonferenz zu den Gerüchten über Ermittlungen ab: "Es ist nichts mehr da", richtete sie der Justiz damals aus. Die wenig später erfolgten Hausdurchsuchungen in ÖVP-Zentrale, Finanzministerium, Kanzleramt und anderen Örtlichkeiten führten dennoch zum Ende der türkisen Ära von Sebastian Kurz. Könnte dieses Jahr die nächste Bombe hochgehen?

Aktuell weiß das niemand. Aber allein dass etwas drohen könnte, löst politisch Nervosität aus. Denn die Koalition steht auf wackligen Beinen. "Möglicherweise hat es stabilere Regierungen gegeben", bekannte selbst Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) kürzlich in einem Krone-Interview. Auch wenn er anfügte: "Die haben nur weniger zusammengebracht." ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner betont im Gespräch mit dem STANDARD: "Die Menschen haben es satt, dass sich die Politik mit sich selbst beschäftigt. Neuwahlen kann niemand wollen."

Zumindest auf die Regierungsparteien gemünzt stimmt das gewiss. In Umfragen ist die ÖVP tief abgestürzt, auch die Grünen liegen deutlich unter ihrem Ergebnis bei der Nationalratswahl 2019. Es gibt für beide gerade nichts zu gewinnen. Doch selbst grüne Strategen hört man inzwischen sagen: Natürlich könnte durch verschiedene Umstände eine Dynamik ausgelöst werden, die eine weitere Regierungszusammenarbeit unmöglich macht.

Koalitionäre Drohszenarien

Das erste Drohszenario wären neue Ermittlungen oder Entwicklungen gegen die ÖVP, die Kanzler Karl Nehammer gefährlich werden. Einen weiteren Kanzlerwechsel, heißt es fast einhellig vonseiten der Grünen, würde die Koalition wohl kaum überleben. Zweitens fürchtet der kleine Koalitionspartner die Auswirkungen der Landtagswahl in Tirol Ende September.

In einer kürzlich veröffentlichten Imad-Umfrage liegt die ÖVP dort derzeit bei rund 30 Prozent – das wären um 14 Prozentpunkte weniger als 2018. Niemand wisse, welche Kurzschlussreaktionen das – vor allem in anderen Bundesländern, in denen Wahlen anstehen – auslösen könne, lautet die grüne Sorge. "Die ÖVP könnte jederzeit implodieren, hat man das Gefühl", sagt ein Grüner.

Und Abgeordnete der Opposition erzählen: Im Parlament seien zusehends Animositäten zwischen den Koalitionspartnern spürbar. Das beobachte man in einzelnen Ausschüssen ebenso wie im medienwirksamen U-Ausschuss. "Die Stimmung ist wie am Ende der großen Koalition", beschreibt es ein Roter.

"Achse Sigi-Gust"

Zuletzt wütete das Tiroler ÖVP-Urgestein Franz Hörl im Tourismusausschuss, dass die Grünen nichts weiterbrächten. Im Verkehrsausschuss schwärmte ein Schwarzer von einem Vorschlag der Opposition. Beschworen wird innerkoalitionär hingegen die funktionierende "Achse Sigi-Gust" – also die Zusammenarbeit der Klubobleute Sigrid Maurer und August Wöginger, die noch wichtiger wurde, seit das Machtzentrum der ÖVP nicht mehr klar im Kanzleramt liegt.

Die SPÖ hat gerade einen Neuwahlantrag eingebracht. Der wird aber nicht einmal von den Neos unterstützt, geschweige denn von den Regierungsparteien. Die Bevölkerung scheint in der Frage gespalten zu sein: In jüngeren Umfragen war zumeist die Hälfte der Befragten dafür, die anderen Hälfte dagegen, dass vorzeitig gewählt wird. (Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 2.7.2022)