Steigende Außentemperaturen spiegeln sich im Kanzleitrakt des Wiener Landesgerichts in den offenen Bürotüren, was zumindest ein wenig Abkühlung bringen soll.

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Wien – "Ich habe meiner Ex-Frau niemals etwas getan", beteuert der 37-jährige Angeklagte, nennen wir ihn Herbert, vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Stefan Huber, als er sich nicht schuldig bekennt. Staatsanwalt Michael Schietz wirft dem unbescholtenen Wiener vor, er habe während der Ehe seine Gattin einmal vergewaltigt, mehrmals geschlechtlich genötigt und im Zuge der Trennung gefährlich bedroht.

Bereits im Februar saß der Arbeitslose erstmals vor einem Gericht, die damalige Vorsitzende Olivia-Nina Frigo ist aber mittlerweile zum Oberlandesgericht gewechselt, daher muss das Verfahren mit neuer Besetzung wiederholt werden. Frigo hat damals allerdings noch ein psychologisches Gutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, ob das mutmaßliche Opfer an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Eine Expertise, die später eine wichtige Rolle spielen wird.

Zehnjähriges Kind auf Straße geworfen

Herbert und seine Verteidigerin Carina Koplenig argumentieren, der Hintergrund der Anzeige sei ein langjähriger Streit um die Obsorge und Kontaktreglung der beiden gemeinsamen Kinder. Erst im vergangenen Juli wurde bezüglich des älteren Kindes eine Lösung vor Gericht gefunden. Zwei Wochen später, am 14. Juli, warf die Frau das damals zehnjährige Kind aus der Wohnung. Das Kind rief weinend den Angeklagten an, der es abholte. Einen Tag später, am 15. Juli, ging die Frau zur Polizei und zeigte sexuelle Übergriffe durch ihren Ex-Mann an.

Kennengelernt habe er die mehrere Jahre jüngere Frau bereits, als sie 16 und er über 20 Jahre alt war, erinnert Herbert sich. Er sei sofort in sie verliebt gewesen, 13 Jahre waren die beiden insgesamt zusammen. Am Wochenende nach ihrem 18. Geburtstag seien sie auch zum ersten Mal gemeinsam in einem Swingerklub gewesen, erzählt der Angeklagte. "Sie hat diesen Lebensstil angenommen", sagt Herbert, immer wieder habe man sich in Etablissements oder privat mit anderen getroffen. Es sei aber alles immer einvernehmlich gewesen, beteuert der Arbeitslose, bei Kontakten via Internet habe die Frau immer das letzte Wort gehabt.

"Mutter-Maria-Syndrom" gegenüber Schwangerer

Während der beiden Schwangerschaften habe er keinen Verkehr mehr gehabt. "Es war bei mir so eine Art 'Mutter-Maria-Syndrom'", versucht Herbert zu beschreiben. "Sobald die Schwangerschaft sichtbar wurde, wollte ich keinen Sex mit ihr mehr." Die Frau schon, er sei dabei gewesen, als sie hochschwanger mit Internetbekanntschaften geschlafen habe, denn eifersüchtig sei er nie gewesen. Ganz so einfach scheint der Lebensstil schlussendlich doch nicht gewesen zu sein: "Sie ist leider durch die Swingerszene in die Prostitution abgerutscht", das sei auch einer der streitauslösenden Trennungsgründe Ende 2018 gewesen.

Ein Konfliktpunkt sei auch die Erziehung gewesen. Während er den Kindern möglichst große Freiheiten geben wollte, hatte die Frau "sehr konservative Vorstellungen" und soll die Sprösslinge auch geschlagen haben. Sie selbst soll in der eigenen Kindheit als Tochter aus gutem Haus negative Erfahrungen gemacht haben. "Ich habe an sie appelliert, dass sie gerade dann keine Gewalt einsetzen darf", meint der Angeklagte.

Auch zur angeklagten gefährlichen Drohung bekennt er sich nicht schuldig. "Ich schick dir Hells Angels, die räumen dir die Bude aus und verkaufen alles", soll Herbert der Frau angesichts rund 20.000 Euro gemeinsamer Schulden gedroht haben. "Ich kenne keine Hells Angels!", hält der Angeklagte den Vorwurf für absurd. "Sie ist mit einem vollbärtigen Gangmitglied zusammen! Sie macht Dinge und wirft sie mir dann vor", sieht er ein Muster bei den Anschuldigungen.

Frau fordert 5.000 Euro Schmerzensgeld

Auf Antrag der Privatbeteiligtenvertreterin, die für die 29-Jährige 5.000 Euro Schmerzensgeld will, findet die Einvernahme der Frau unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Beratungszimmer statt. Aus dem Prozess im Februar weiß man nur, dass die Frau den Zeitpunkt der Anzeige damit erklärte, dass sie erst nach Abschluss der Scheidung und der Vereinbarung über das ältere Kind die Kraft hatte, ihre eigenen Interessen zu vertreten.

Nachdem das Publikum wieder zugelassen wird, fragt Vorsitzender Huber den Angeklagten, was er von der Aussage seiner Ex-Frau halte. "Sie lügt und hat sich ja offensichtlich widersprochen", sagt er. "Ich habe echt Mitleid mit ihr, es scheint ihr nicht gut zu gehen, aber das liegt nicht an mir", versichert er.

Dann erstattet die psychologische Sachverständige Tanja Guserl ihr Gutachten. Die Frau leide nicht an einer posttraumatischen Belastungsstörung, stellt sie klar. Bei den Treffen und auch bei der Aussage vor Gericht habe sie aber ein "sehr, sehr inhomogenes Aussageverhalten" an den Tag gelegt, "viele Punkte sprechen für Pseudoerinnerungen".

"Pseudoerinnerungen" und "Wahrnehmungsstörungen"

Die Expertin konstatiert auch eine "selektive Wahrnehmung mit teilweise Wahrnehmungsstörungen", ihrer Einschätzung nach weise die Frau jedenfalls eine deutliche Akzentuierung der Persönlichkeit auf, möglicherweise gehe das schon ins Pathologische. Sie lüge aber nicht, sondern glaube das, was sie sagt, selbst, auch wenn man sie darauf hinweist, dass es nicht stimmen könne. Autosuggestion spiele dabei eine Rolle.

Nach diesem Gutachten agiert Staatsanwalt Schietz dann hochprofessionell. "Die Staatsanwaltschaft ist der Objektivität verpflichtet", sagt er im Aufstehen. "Die Staatsanwaltschaft Wien zieht daher die Anklage zurück und beantragt einen Freispruch." Der Senat erfüllt ihm diesen Wunsch naturgemäß. "Vielen herzlichen Dank, danke schön!", stammelt Herbert noch, ehe Tränen der Erleichterung zu fließen beginnen. (Michael Möseneder, 1.7.2022)