Martin Polaschek – der Minister, mit dem viele gern mehr Kontakt hätten.

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Mit den Worten "Sich selber zu benoten funktioniert eigentlich nicht" wehrte Bildungsminister Martin Polaschek im letzten ZiB-2-Interview die Frage nach einer Schulnote für seine bisherige Arbeit ab und wollte sich ansonsten vor allem vieles "genau anschauen".

Nach dem ersten "Semester" als Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, als der Polaschek am 6. Dezember 2021 angelobt wurde, hat er – wie die Schülerinnen und Schüler in der ersten Volksschulklasse – noch Anspruch auf eine alternative Leistungsbeurteilung. DER STANDARD schaute sich die ministerielle Performance also genau an und sprach mit einem Dutzend Beteiligter im Bildungssystem. Wie hat sich "der Neue" geschlagen?

Kein einfacher "Stoff"

Nun, Vorzugszeugnis gibt es keines. Der Stoff war auch alles andere als einfach, hält Pflichtschullehrergewerkschaftschef Paul Kimberger dem Minister zugute: "Ein Thema jagte das andere: Corona, Lehrermangel, Ukraine." Bei seinem Amtsantritt erklärte Polaschek die Pandemiebekämpfung zur "obersten Priorität".

Von seinen Maßnahmen in Erinnerung geblieben ist vor allem der umstrittene 500-Euro-Corona-Bonus für Direktorinnen und Direktoren. "Wir haben ihn auf die Risiken der Einschränkung hingewiesen", sagt FCG-Vertreter Kimberger, der die Prämie für alle Lehrkräfte fordert und in Polascheks Pensenbuch einträgt: "Bei Antworten auf große Fragen gibt es noch Bedarf."

Brav auf ÖVP-Linie

Im Unibereich konnte der neue Ressortchef zwar gleich zu Jahresbeginn ein "Rekordbudget" für die Universitäten verkünden sowie unlängst eine Erhöhung der Studienbeihilfen, aber dass der frühere Rektor der Universität Graz bei der TU Linz brav die ÖVP-Linie vertritt, werfen ihm viele, die ihn vorher in anderer Funktion erlebt haben, als "180-Grad-Wendung" und parteipolitische Liebedienerei vor. Die Präsidentin der Universitätenkonferenz, TU-Wien-Rektorin Sabine Seidler, hofft, dass Polaschek von "außerordentlich zurückhaltend auf Power und Dynamik umschaltet, um das System zu unterstützen".

Aus Studierendensicht formuliert es ÖH-Vorsitzende Keya Baier (Gras) so: "Er macht selber sehr wenig und will vor allem der ÖVP nicht auf die Füße steigen. Wir warten auf Antworten." Sie erlebte den 56-Jährigen bis jetzt als "profil- und relativ farblos" und scheut sich nicht, Polaschek eine Note für das erste Halbjahr zu geben: "Fünfer. Er hat seine Aufgabe nicht erfüllt." Dabei hat ihn die ÖH als "Chance für den Hochschulbereich" begrüßt. Aus seiner Zeit in Graz hatte der Jurist, der als Rechtshistoriker viel zur Nachkriegsjustiz forschte, eine sehr gute studentische Nachrede, weil er bei den "Uni brennt"-Protesten auf Dialog setzte und Hörsaalräumungen vermied.

Abgeschirmt und abgeschottet

Diese gelebte und gelobte Dialogbereitschaft aus Polascheks voriger Funktion wird in Wien jedoch noch von vielen Stakeholdern im Bildungsbereich vermisst. Exemplarisch meint etwa der Generalsekretär der Fachhochschulkonferenz, Kurt Koleznik: "Wir wünschen uns mehr Dialog mit dem neuen Minister. Er wirkt etwas isoliert."

Sinngemäß fällt das in fast jedem Gespräch über Polascheks Amtsführung, nämlich dass er vom Kabinett recht robust abgeschirmt werde.

"Abschottung" wird nach innen wie außen beklagt. Man komme an den Minister "nicht wirklich heran", sagen hochrangige Beamte. Der Ministertrakt im Palais Starhemberg sei quasi eine No-go-Area. Das Obergeschoß, die Beletage eines der ältesten Barockpaläste Wiens, diente ehedem auch der Repräsentation. Hinter den Mauern des Prachtbaus, der schon 1871 das Ministerium für Kultus und Bildung beherbergte, "gab es sicher noch nie einen Minister, zu dem die Beamtenschaft so wenig Kontakt hatte", heißt es heute unter zugesicherter Anonymität.

Politstrateginnen im Inner Circle

Das Ministerbüro, das Eva Gollubits, die Bundesschulsprecherin von 2000/01, straff leitet, wird von Insidern fast wie der "Situation Room", das abhörsichere Lagezentrum des Weißen Hauses, beschrieben. Zugang nur für den "Inner Circle".

Kabinettschefin Gollubits arbeitete vor ihrem letzten Job als Vizegeneraldirektorin der Pensionsversicherungsanstalt in den Kabinetten mehrerer ÖVP-Minister, zum Beispiel zeitgleich mit Kanzler Karl Nehammers Frau Katharina bei Wolfgang Sobotka im Innenressort, wo sie als karenziert geführt wird.

Die Ex-Sprecherin des durchsetzungsstarken Ex-Beamtengewerkschaftschefs Fritz Neugebauer ist in der ÖVP bestens vernetzt – mit einer starken Niederösterreich-Tangente. Dort war sie in der Bildungsdirektion tätig. Sie weiß, worauf es – aus Parteisicht – ankommt und wo es Stolperer zu vermeiden gilt. Entsprechend eng ist der Kordon um das Nicht-ÖVP-Mitglied Polaschek.

"Es ist ein allgemeines Phänomen, dass Minister, die politisch nicht so verankert sind, dann angewiesen sind auf erfahrene Politstrategen in den Kabinetten, die dann ein Regiment nach innen führen und dort umrühren", erzählt eine langgediente Spitzenbeamtin.

Sehnsucht nach Heinz Faßmann

Im Ministerium herrsche akute "Faßmann-Sehnsucht". Nach Vorgänger Heinz Faßmann sei das Haus "wieder streng hierarchisch und starrer geworden – so wie das politische System und die ÖVP anno 1960 und das Schulbild von vor 40 Jahren", erzählen Eingeweihte.

Den Eindruck teilt FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl, der wie SPÖ-Pendant Petra Vorderwinkler erst kommende Woche die erste Audienz beim Minister hat: "Faßmann war zugänglicher. Polaschek ist viel weniger präsent, er zeigt keine Initiative und vermittelt keine Perspektive. Es ist eine gewisse Leere da. Quasi warten auf Godot, dass endlich einer kommt, der initiativ ist und Pulver hat."

Ähnlich äußert sich Vorderwinkler. Sie will "nicht nur Ankündigungen. Bis jetzt ist nichts gekommen oder zu spät, etwa die versprochenen Entlastungen für Lehrer:innen und Schulleitungen." Auch Neos-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre urgiert: "Nach zwei Jahren Corona müssen wir endlich raus aus dem Krisenmodus. Beim Lehrermangel muss man jetzt Meter machen. Aber Polaschek läuft unter der Wahrnehmungsschwelle, hat keine Vision und führt nur die Old-Style-Politik der ÖVP aus."

Die ÖVP ganz alt im neuen Ministerkleid? Nachfrage bei ÖVP-Bildungssprecher Rudolf Taschner, der als Ex-Lehrender am Theresianum und an der TU Wien über sich sagt: "Ich gebe gern ,Sehr gut‘." Im konkreten Fall Polascheks "können wir zufrieden sein. Das hat er eigentlich sehr souverän hinter sich gebracht", meint er. Die kolportierten Kommunikationshürden zum Minister relativiert Taschner: "Das wird ihm immer nachgesagt, aber er ist extrem offen und spricht mit vielen."

Wie sieht die eigene Handschrift aus?

Was sagt der Koalitionspartner dazu, die Grünen? Bildungssprecherin Sibylle Hamann berichtet von einer "sehr freundlichen, stabilen Arbeitsbeziehung", Polaschek "kann zuhören und hat sich da reingetigert". Sie sei aber "gespannt, welche eigene Handschrift er entwickelt".

Wissenschaftssprecherin Eva Blimlinger kennt Polaschek als Ex-Rektorin der Akademie und ehemalige Uniko-Präsidentin schon lange und ruft den Minister, "wenn was dringend ist, einfach an". Ein Grund für einen solchen Anruf könnte der Teuerungsausgleich für die Hochschulen sein. Sie bräuchten in den nächsten zwei Jahren mindestens 500 Millionen Euro: "Da ist Martin Polaschek, aber vor allem der Finanzminister gefragt." Vielleicht hilft ja: Magnus Brunner ist ÖVPler. (Lisa Nimmervoll, 2.7.2022)