Blick in den Gerichtssaal.

Foto: AFP/DENIS CHARLET

Douai –30 Jahre lang verbreitete eine Serie von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen in Nordfrankreich und Belgien Schrecken und stellte Ermittler vor ein Rätsel. Im Prozess ist der Angeklagte nun zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht im französischen Douai sprach den Beschuldigten am Freitag für 54 Taten schuldig, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte. Die Anklage hatte ihm Attacken auf 56 Mädchen und Frauen vorgeworfen. Der Mann hatte davon 40 Taten gestanden.

Angriffe im Morgengrauen

Die Taten liefen dabei stets nach dem gleichen Schema ab und ereigneten sich allesamt in einem Radius von nur 30 Kilometern im Tal der Sambre im französisch-belgischen Grenzgebiet. Im Morgengrauen im Herbst oder Winter wurden die Opfer von hinten angegriffen, mit einem Seil oder dem Arm gewürgt, bedroht und vergewaltigt. "Sie haben mich leblos zurückgelassen, halb entkleidet, bei kalten Temperaturen. Ich dachte, ich sterbe", schleuderte eine Frau, die mit 15 Jahren Opfer wurde, dem Angeklagten im Prozess entgegen.

Gezielt soll der mittlerweile 61-jährige Mann für seine Gräueltaten in die Nähe von Schulen und Krankenhäusern gefahren sein, weil Frauen dort früh zur Arbeit gingen. Obwohl die Ermittler bei der Vergewaltigungsserie zwischen 1988 und 2018 gleiche Spermaspuren fanden, gelang es ihnen lange nicht, den Täter zu identifizieren. Opfer, die ihren Peiniger gesehen hatten, beschrieben ein gewöhnliches Aussehen. In den 1990er-Jahren veröffentlichten französische Behörden Fahndungsbilder, doch die Suche nach dem "durchschnittlichen Mann" blieb erfolglos und der sogenannte Vergewaltiger der Sambre unentdeckt.

2018 aufgeflogen

Erst 2018 flog der mutmaßliche Täter nach einem sexuellen Angriff auf ein Mädchen in Belgien auf. Überwachungsvideos nahe dem Tatort filmten sein Nummernschild, und französische Ermittler stellten fest, dass der Nutzer des Wagens den Fahndungsbildern ähnelte. Im Wagen fanden die Ermittler Messer und Seil. Eine DNA-Probe bestätigte, dass es sich um den so lange Gesuchten handelte. Er hatte zuvor über Jahrzehnte ein scheinbar gewöhnliches Leben gelebt – er hatte eine Familie, arbeitete bei einem Maschinenbauer und engagierte sich in einem Fußballverein.

Ergründen der Psyche

Im Prozess versuchte das Gericht in Douai über drei Wochen zu ergründen, wie es zu den Taten kam. Der Angeklagte sprach von einem gewissen "Trieb", deutete an, dass er selbst von seinem Vater missbraucht worden sein könnte, und sagte, dass er schon als Jugendlicher gewusst habe, dass etwas in seinem Verhältnis zu Frauen nicht stimme.

Psychologen zufolge ging es dem Mann um Zwang und Gewalt, ein hypersexueller Täter sei er nicht. Er, der sich ausgebeutet gefühlt habe, habe bei seinen Übergriffen ein Gefühl von Allmacht gehabt und sich auch den Behörden, die ihn lange nicht aufspüren konnten, überlegen gefühlt.

Dass der mutmaßliche Serienvergewaltiger so lange unbeschwert mit seinen Taten leben konnte, liegt den Gutachtern zufolge daran, dass er die Wirklichkeit verweigert habe und nur ein geringes Schuldgefühl habe. Schon kurz nach seinen Angriffen habe er seine Taten wieder verdrängt. Es könne daher sein, dass der Mann sich an einige Übergriffe wirklich nicht mehr erinnere.

Der Beschuldigte gab 40 Taten zu. 16 Angriffe, für die er sich vor Gericht verantworten muss, habe er aber nicht begangen. "Egal, was passiert, die maximale Strafe, die ihm droht, ist zu niedrig", hieß es im Schlussplädoyer der Anklage mit Blick auf die enorm hohe Zahl der schweren Übergriffe. (APA, 1.7.2022)