Ein Schweineleben spielt sich bis auf wenige Ausnahmen auf Beton ab. Die Regierung verspricht nach langem Ringen, das zu ändern.

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Wien – Für Stefan Lindinger beginnt die Zeit des Rechnens. Der Oberösterreicher mästet mehr als 500 Schweine. 2013 hat er einen neuen Stall gebaut – mit Vollspaltenböden. Sie sorgen für kühle trockene Liegeflächen, sagt er. Stroh auf dem Boden sähe zwar wunderschön aus. Steigt die Temperatur, werde es den Tieren darauf aber schlicht zu heiß, und sie setzten sich in den Kot. "Es ist leichter, Ställe zu heizen, als zu kühlen."

Ob er seine Investitionen in den Wind schreiben kann, wird sich in den nächsten Jahren weisen. Fix ist, dass Vollspaltenböden in Österreich ein Ablaufdatum haben: Ende 2039 ist Schluss damit. Darauf haben sich VP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) gestern, Freitag, geeinigt. Dem Verbot zuvor ging wachsende Kritik an der konventionellen Schweinehaltung, die von immer neuen von Tierschützern aufgedeckten Skandalen hinter Stalltüren flankiert wurde.

Frage des Preises

Ob Lindinger den Großteil seiner Landwirtschaft aufgibt oder den geforderten Umbau finanziell stemmt, hängt von den Details der künftigen Standards ab. "Wenn sich der Austausch der Böden um einige Zentimeter nicht ausgeht, dann kann ich die gesamte Gebäudehülle abschreiben." Die entscheidende Frage aber sei, ob sich Konsumenten höheres Tierwohl mehr kosten ließen – oder billiger Fleischimport zunehme.

Lindinger ist skeptisch. "Ziehen die Lebensmittelpreise an, geht die Nachfrage an Bio und Tierwohl zurück." Er befürchtet, dass Österreich bei Schweinernem aufgrund teurer Auflagen in der Tierhaltung auf einen Selbstversorgungsgrad von mageren 30 Prozent zusteuert.

"Wende und Erfolg"

Was vielen Bauern schwer auf den Magen schlägt, nennt Minister Rauch eine echte Wende und einen großen Erfolg für den Tierschutz. Totschnig spricht von behutsamer Weiterentwicklung, um österreichische Produktionsketten nicht zu gefährden.

Betonböden, ohne eingestreutes Stroh und von Spalten durchzogen, sorgen seit Jahren für harte Kontroversen. Es ist in Europa die vorherrschende Tierhaltung, die auch in Österreich für 95 Prozent der Mastschweine gilt, garantiert sie Mästern doch weniger Arbeit und höhere Effizienz. Das tägliche Ausmisten entfällt, weil Kot und Urin durch Rillen in den Güllekanal fließen. In Boxen von 15 Quadratmetern lassen sich 20 Schweine verstauen. Der Preis, den diese dafür zahlen, ist hoch. Sie führen ein Leben über ihren Exkrementen, deren Dämpfe ihre Lungen entzünden. Geschwollene Gelenke, abgebissene Schwänze und Ohren sind Symptom eines Systems, das für natürliche Bedürfnisse der Schweine keinen Spielraum vorsieht.

"Wermutstropfen"

Tierschützer nennen das geplante Ende der Vollspaltenböden einen großen Schritt hin zu weniger Tierleid, der der ÖVP abgerungen wurde. "Die Branche steht mit dem Rücken zur Wand", zieht Eva Rosenberg, Direktorin von Vier Pfoten, Bilanz. Entweder sie konkurriere weiter mit Billigfleisch auf dem Weltmarkt – oder sie gehe mit höheren Tierschutzstandards in die Vorlage. Rosenberg ist überzeugt davon, dass der Markt und die Bevölkerung diese finanziell mittragen. Wie sie sieht aber auch der Verein gegen Tierfabriken viele Wermutstropfen.

Diese liegen vor allem in den langen Übergangsfristen. Zudem sind Vollspaltenböden nur für Schweine ein Auslaufmodell. Etliche 100.000 Mastrinder werden weiter darauf gehalten. Nicht gesetzlich geregelt wurde ein Ausstieg aus dem betäubungslosen Kastrieren der Ferkel.

Was neue Ställe bis 2039 betrifft, hält das dänische Modell mit befestigten Liegeflächen als Zwischenlösung her. Ein Mehrwert für die Tiere sei hier mit freiem Auge nicht zu erkennen, meint Rosenberg.

Eine Arbeitsgruppe hat nun bis 2028 Zeit, konkrete Stallsysteme zu entwickeln. Sie soll die Kosten der Umstellung, die Folgen für Umwelt und Klima eruieren.

Dass Bilder verwahrloster Masttiere Geschichte sind, bezweifelt Rosenberg. "Ich kann das Wort Einzelfall nicht mehr hören. Es geht hier um Systemversagen." Experten regen Frühwarnsysteme in der Tierkörperverwertung an, die bei starken Verletzungen Alarm schlagen. (Verena Kainrath, 2.7.2022)