
Der Taillenumfang der Kaiserin Elisabeth ist legendär: Nur 51 Zentimeter soll er betragen haben, intensivem Korsettschnüren sei Dank. Zusammen mit ihrem Fitnessdrang und der ellenlangen Haarpracht zeichnet sich ein Körperbild, das womöglich pathologische Ausmaße annahm. Wie kein anderes Kleidungsstück wird das Korsett, das teils synonym als Korsage oder Mieder bezeichnet wird, heute als Symbol für ein Leben, das von Zwängen geprägt ist, verstanden. Aktuelles Beispiel: Der Film "Corsage" über "Sisi".
Das dahintersteckende Schönheitsbild orientierte sich an einem "Spiel von konkav und konvex in der Silhouette, das als besonders ästhetisch wahrgenommen wurde", sagt Mode- und Kunsthistorikerin Silke Geppert von der Universität Mozarteum Salzburg. "Ein solches Empfinden dürfte dazu beigetragen haben, dass sich in unserer Kultur die Verschnürung der Taille entwickelt hat."

Auch in der Männermode legte sich die Kleidung ab dem 13. Jahrhundert immer stärker an die Körperform an: "Als das Wams aufkam, quasi eine Vorform der heutigen Weste, formte es die Körpersilhouette ähnlich nach wie damalige Mieder."
Stützende Funktion
Dabei sei es nicht in erster Linie um Zweckmäßigkeit gegangen, sondern um eine Kunstform am menschlichen Körper, die zunächst vor allem der Adel praktizierte. "Durch ein Mieder oder ein Korsett wird eine körperlich aufrechte Haltung erzeugt, die als elegant und graziös galt, aber auch als sittlich und als Teil einer besonderen Erziehung", sagt Geppert. Doch auch ohne die wertvollen Materialien betuchter Klassen zur Verfügung zu haben, lehnte sich die bürgerliche und bäuerliche Kleidung zumindest mit einfacheren Miedern an die taillenbetonte Silhouette an – bis die industrielle Revolution Korsetts für eine größere Kundschaft erschwinglich machte.

Betrachtet man das Kleidungsstück nur als frauenfeindliches Folterwerkzeug, ist das zu kurz gegriffen. In jüngerer Vergangenheit mehren sich Stimmen von Historikerinnen, denen der schlechte Ruf des Korsetts ein Dorn im Auge ist. Sie betonen, dass nur ein Bruchteil der Frauen sich extrem eng schnürte – ein Trend, der in die Lebenszeit der Kaiserin Elisabeth fiel. Auch gesundheitliche Folgen des Korsetttragens dürften weit weniger verheerend gewesen sein als vielfach erzählt. "Es gibt durchaus positive Aspekte des Mieders, etwa die stützende Funktion", sagt Geppert. "Gerade für Frauen mit mehr Busenvolumen war das sicher auch schmerzbefreiend. Zudem kann eine Etikette vielen Menschen auch eine gewisse Sicherheit geben."
Natürlichkeit überwinden
Während der Hochzeit der eng geschnürten Enthusiastinnen – Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts – wurde in Medien besonders hitzig über Vor- und Nachteile von Korsetts diskutiert. Immerhin gibt es auch einige Zeugnisse von Frauen, die sich über die temporäre Erleichterung während der Empire-Zeit freuten. Damals, als Napoleon Bonaparte in Frankreich Kaiser war, lehnte sich die Mode an die Antike an. Die schmale Taille wich luftiger geschnittenen Kleidern, unter denen allerdings auch von vielen Mieder geschnürt wurden.

Manche Frauen hielten sich nicht an die Maximen der Mode und trugen beispielsweise Hosen. "Dabei handelte es sich aber vor allem um englische Exzentrikerinnen, die sich in ihrer Liebe zur Natur und zu natürlichen Formen von Korsetts verabschiedet haben", sagt die Historikerin. Sie wandten sich ab vom Ideal des "weiblichen Kunstkörpers, der seine Natürlichkeit vermeintlich überwindet" und das die "böse" Natur in einem zivilisatorischen Prozess zügeln wollte.
Das Privileg, auch in Sachen Kleidungsstil einen eigenen Weg einzuschlagen, war meist wohlhabenderen Frauen vorbehalten. Die breite Öffentlichkeit hatte dafür vor allem Spott übrig. Hervorgetan hat sich auch die US-amerikanische Frauenrechtlerin Amelia Bloomer, die sich gegen das Mieder aussprach und einen ganz eigenen Kleidungsstil mit mehr Bewegungsfreiheit propagierte. Dazu gehörte ein Rock, der nur knielang war und unter dem sie eine weite Hose trug. Die breite Öffentlichkeit spottete über den ungewöhnlichen Stil, der Großteil der Frauen blieb noch jahrzehntelang bei der schmal geschnürten Taille.

Abschied von der Enge
Die Mode der Flappergirls in den 1920er-Jahren trug dazu bei, sich vom modischen Imperativ zur schmalen Taille zu distanzieren und damit teilweise auch vom Mieder. "Es hat lange gedauert, bis die meisten Frauen vom Korsett Abschied nehmen konnten", sagt Geppert. Das Präsentieren des weiblichen Körpers in dieser Form sei eng mit Weiblichkeitsvorstellungen verbunden. "Das wäre so ähnlich, als würden Männer aus dem europäischen Kulturkreis heute die Hose aufgeben" – und implizit ihre Männlichkeit.
Der Wandel der Kleidernormen spiegelt Veränderungen im Selbst- und Fremdbild der Mehrheit wider. Auch das viele Daheimbleiben während der Covid-19-Pandemie dürfte dazu beigetragen haben, dass manche Frauen gar nicht erst zum Tragen unbequemer BHs in der Öffentlichkeit zurückkehren wollen. Auch dann nicht, wenn unangenehme Blicke auf erahnbare Brustwarzen unter ihren T-Shirts vermitteln, dass dies viel Aufmerksamkeit erregt und von manchen nicht gern gesehen wird. Andere Personen freuen sich nach den gelockerten Schutzmaßnahmen, wieder ausgehen zu können und sich dafür schick zu machen – formende Unterwäsche und High Heels inklusive. "Bis heute stellt sich die Frage: Was tue ich mir an, um eine bestimmte Kleidung zu tragen?" (Julia Sica, 2.7.2022)