Beim Sonntagstraining merkte man nicht viel von der Anspannung vor dem großen Spiel am Mittwoch. Abwehrspielerin Carina Wenninger ist nach ihrer Erkrankung wieder fit.

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Mr. Lincoln genießt es. Aber so richtig. Kurz bevor ÖFB-Teamspielerin Lisa Makas den kurzen Fußmarsch zum Trainingsplatz antritt, widmet sie sich in der Einfahrt vor der Lobby noch einmal dem schwarz-weiß-gestreiften Kater, der irgendwie zum Inventar des Pennyhill Park Hotels zu gehören scheint. Der Weg ist nicht weit. Makas könnte auch zur Shooting-Range abbiegen oder sich anschauen, wie ein Helikopter auf dem Landeplatz landet. Glaubt man den ÖFB-Spielerinnen oder jemandem aus dem Betreuerstab oder Teamchefin Irene Fuhrmann, ist das Urteil zum Teamquartier im Südwesten Londons vor allem: "Perfekt."

Das Pennyhill Park Hotel liegt zwischen Bagshot und Camberley. Das kann man sich merken, muss man aber nicht unbedingt. In rund einer Autostunde ist man am Picadilly Circus in London. Nach Broadmoor, zur bekanntesten englischen Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, sind es 13 Minuten. Thomas Hayne Cutbush, der verdächtigt wurde, als Jack the Ripper mindestens fünf Frauen umgebracht zu haben, saß hier ein. Das sollte man sich merken.

Das Pennyhill Park Hotel liegt zwischen Bagshot und Camberley. Sonst logiert hier die englische Rugby-Nationalmannschaft.
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Normalerweise trainiert im Pennyhill Park Hotel die englische Rugby-Nationalmannschaft, das gesamte Gebiet umfasst 50 Hektar, es gibt einen Naturrasenplatz und eine überdachte Kunstrasenhalle. Vor der Halle surrt und piepst eine Überwachungskamera, die die Trainings für die Videoanalyse aufnimmt. Die Bedingungen sind ideal. "Das ist vielleicht ein kleiner Wettbewerbsvorteil für uns, den andere Teams nicht haben. Den wollen wir auch nützen", sagte Teamkapitänin Viktoria Schnaderbeck im Vorfeld.

Suche nach dem Glück

Dabei war die Suche nach einem Quartier zur Fußballeuropameisterschaft für den ÖFB keine leichte. Die Uefa gibt im Vorfeld Empfehlungen, gepasst hat davon aber nichts. Neben dem Wohlfühlen sind vor allem die Distanzen ausschlaggebend. Der Trainingsplatz muss per pedes erreichbar sein, die Wege sollen nicht zu viel vom Tagesplan einnehmen. "Da wäre es eine zusätzliche Belastung gewesen, auch noch zu den Trainings fahren zu müssen. Deshalb bin ich dankbar, dass wir im Trainingsalltag fünf Minuten zu Fuß zum Platz haben und dadurch auch leichter individuelle Geschichten erledigen können", sagte Trainerin Fuhrmann. "Es ist ein Gesamtpaket, das uns begeistert", ergänzte Teammanagerin Isabel Hochstöger.

Bei der Euro der Männer 2021 logierte im Pennyhill Park das englische Nationalteam. Und die werden’s wissen. Am Mittwoch geht es für die Österreicherinnen los: Im bereits ausverkauften Old Trafford in Manchester (21 Uhr live, ORF 1) bestreitet man das Eröffnungsspiel gegen England. Die Engländerinnen sind klar zu favorisieren, sind Gastgeber und Weltranglisten-Achte. Glaubt man dem Tenor auf der Insel, wäre alles andere als ein hoher Sieg eine Enttäuschung.

ÖFB-Torfrau Manuela Zinsberger dürfte gegen England viel zu tun bekommen.
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Österreichs Teamkickerinnen haben freilich etwas dagegen. Die Engländerinnen kennt man jedenfalls, in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland musste man sich im Herbst in Sunderland 0:1 geschlagen geben. Aber schon damals zeigte Österreich vor allem in den Anfangsminuten in beiden Halbzeiten, dass man mithalten kann, vielleicht sogar für eine Überraschung gut sein möchte. Neben England trifft man in Gruppe A noch auf Nordirland (11. Juli in Southampton) und Norwegen (15. Juli in Brighton). Die zwei Gruppenbesten steigen ins Viertelfinale auf.

Turnier der Fragezeichen

Hinter dem Einsatz von Kapitänin Schnaderbeck steht auch drei Tage vor Anpfiff ein Fragezeichen. Die steirische Abwehrspielerin absolvierte ein Individualprogramm, trainierte aber teilweise schon mit dem Team. Die zweite gesetzte Innenverteidigerin Carina Wenninger hat ihre Erkrankung überstanden und trainierte voll mit. Sollte Schnaderbeck nicht rechtzeitig fit werden, stehen mit Celina Degen und Marina Georgieva zwei junge Ersatzkandidatinnen bereit. Gerade die 21-jährige Degen zeigte beim 1:0-Testsieg vergangenen Sonntag gegen Belgien eine auffallend starke und abgeklärte Leistung.

Sicher nicht mit dabei ist vorerst Lisa Kolb. Die 21-jährige Oberösterreicherin wurde wie Physiotherapeut Reinhard Wögerbauer kurz vor Abflug positiv auf das Coronavirus getestet. Beide haben milde Symptome, konnten aber nicht mit nach England fliegen. Obwohl man bereits nachnominieren könnte, zeigt sich Teamchefin Fuhrmann noch abwartend: "In den nächsten Tagen werden wir dann die notwendigen Entscheidungen treffen." Die müssen gut überlegt sein, kann doch eine einmal aus dem Kader gestrichene Spielerin nicht später wieder zum Team stoßen.

Überhaupt ist von der Pandemie in England nicht viel zu spüren, nur die wenigsten Menschen tragen Maske. Für das ÖFB-Team ist es eine Reise ins Ungewisse: "Die Corona-Situation bleibt weiter angespannt, insofern, dass wir einfach Passagier sind. Wir versuchen zwar bestmöglich, das Risiko zu minimieren, haben es aber einfach nicht in der Hand", sagte Fuhrmann. (Andreas Hagenauer aus Camberley, 4.7.2022)