In den rund 40 Monaten der Kanzlerschaften von Sebastian Kurz erlebte das Land eine Regierung, die entweder mit großem Getöse ehrgeizige Reformvorhaben präsentierte oder mit Entschlossenheit Krisen meisterte. Die Regierung von Karl Nehammer hingegen wirkt angesichts der vielen Herausforderungen oft unentschlossen und ratlos. Sie wird dafür in den Medien gescholten und rutscht in den Umfragen ab. Dennoch ist der heutige Stil der Politik dem früheren klar vorzuziehen.

Denn rückblickend zeigt sich, dass Kurz und sein Team zwar Message-Control perfekt beherrschten, aber mit schwachem Personal eine miserable Politik betrieben. Zahlreiche türkis-blaue Gesetzesprojekte wurden von nationalen oder europäischen Höchstgerichten aufgehoben und nun auch die hochgepriesene Fusion der Krankenkassen in einem Rechnungshof-Rohbericht völlig zerrissen: Statt einer Milliarde Euro Ersparnis brachte der Umbau 250 Millionen Euro an Mehrkosten.

In der Corona-Krise übertünchten die zackigen Auftritte der türkis-grünen Ministerriegen ein Pandemiemanagement, das sicher nicht besser und wahrscheinlich schlechter war als das der meisten anderen EU-Staaten.

Besser unentschlossen als unausgegoren

Man kann sich ausmalen, mit welchen schlagzeilenträchtigen, aber unausgegorenen Ankündigungen Kurz und Co auf aktuelle Probleme wie Inflation oder Gasnotstand reagieren würden. Türkis-Grün unter Nehammer lässt das Land hingegen spüren, dass es keine Patentlösungen besitzt. Das liegt weniger an mangelnder Kompetenz als an der Natur der Probleme.

Wenn die Kosten importierter Energie in die Höhe schießen und die Inflation antreiben, dann kann eine Regierung wenig tun, um die Preise wieder zu senken und die Massenkaufkraft zu erhalten. Das ist auch nicht ihre Aufgabe.

Einfache Lösungen gibt es nicht

Es gibt auch keine kurzfristige Lösung für den Fall, dass Russland den Gashahn zudreht; das von Energieministerin Leonore Gewessler zu fordern ist realitätsfern. Es stimmt, dass ihr grüner Ministerkollege Robert Habeck sich rhetorisch besser verkauft. Aber auch die deutsche Regierung ist hilflos, obwohl dort dank günstigerer Geografie und geringerer Abhängigkeit mehr Optionen existieren als im Binnenland Österreich.

Die Regierung gibt sich zuweilen etwas ratlos, doch das ist gut so.
Foto: APA/TOBIAS STEINMAURER

An der Corona-Front gibt es wegen der hochansteckenden Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5 keine Strategie, um neue Infektionswellen zu verhindern, ohne wieder massiv in den Alltag und das Wirtschaftsleben einzugreifen. Gesundheitsminister Johannes Rauch gibt sich in Interviews recht ratlos, aber das sind andere Gesundheitsminister auch. Dafür hat er bei der Pflegereform deutlich mehr weitergebracht als seine Vorgänger.

Und wenn Arbeitsminister Martin Kocher die Reform des Arbeitslosengeldes nach monatelangem Feilen verschiebt, weil er noch keine Einigung mit den Grünen erzielt hat, dann ist das noch lange kein Scheitern. Es ist jedenfalls besser als eine inhaltsleere Punktuation, wie sie unter Kurz üblich war.

Nun wäre es noch zu wünschen, dass Innenminister Gerhard Karner einmal einräumt, dass Österreich wenig gegen den Anstieg von Asylanträgen machen kann, wenn sich weiter südlich wieder mehr Menschen in Bewegung setzen.

Ja, das Land braucht große Reformwürfe, die diese Regierung genauso wenig liefert wie die letzten. Aber der Verzicht auf Scheinlösungen ist ein Schritt in die richtige Richtung. (Eric Frey, 3.7.2022)