Wien – An sechs Wochenenden wurde zwischen Jänner und Juni diskutiert, nun hat der Klimarat der Bürgerinnen und Bürger seine Ergebnisse präsentiert. Die Liste der Empfehlungen, die seit Montagvormittag online verfügbar ist, hat es durchaus in sich. Bindend sind die Empfehlungen natürlich nicht, die Regierung hat jedoch angekündigt, bis Herbst zu der Liste Stellung zu nehmen.

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Der Katalog mit insgesamt 93 Maßnahmen wird am Montag der Regierung und dem Parlamentspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) übergeben. "So ein Klimarat soll nicht Politik oder politische Institutionen ersetzen", sagte Georg Tappeiner aus dem Organisationsteam auf einer Pressekonferenz am Montag, "das Instrument kann der Politik aber helfen, zu Lösungen zu kommen."

Am Montag stellten einige Bürgerinnen und Bürger des Klimarats ihre Ergebnisse vor.
Foto: APA/TOBIAS STEINMAURER

Neben Vorschlägen in einzelnen Lebensbereichen haben die 88 Bürgerinnen und Bürger, die die Gesellschaft möglichst repräsentativ widerspiegeln sollen, allgemeine Empfehlungen ausgearbeitet: Dazu zählt etwa, dass die Regierung ein Grundrecht auf Klimaschutz einführen möge, damit Einzelpersonen den Staat klagen können, wenn dieser zu laschen Klimaschutz betreibt. Darüber hinaus sollen grenzüberschreitende Allianzen für Klimaschutz gebildet, der Arbeitsmarkt für die Krise adaptiert und eine Bewusstseinsbildung für unbequeme Maßnahmen geschaffen werden.

Höherer CO2-Preis

Konkreter wird es in den einzelnen Handlungsfeldern – wie im Bereich Energie. Die Klimaräte schlagen vor, Subventionen für fossile Energie schrittweise binnen fünf Jahren abzuschaffen. Den bisherigen Preispfad für die CO2-Bepreisung halten sie für nicht angemessen: Bis 2025 soll der Preis je Tonne CO2 auf 120 Euro steigen, bis 2030 auf 240 Euro. Die Hälfte der Einnahmen soll für den Klimabonus herangezogen, die andere Hälfte für Klimaschutzmaßnahmen verwendet werden – etwa den Öffi-Ausbau oder den Gasausstieg in Privathaushalten. Türkis-Grün hat sich bis 2025 auf einen Anstieg auf 55 Euro geeinigt. Die Bürgerinnen schlagen zudem eine Umstellung der Tarifgestaltung für Energieversorger vor: Der Preis pro Energieeinheit soll bei Mehrverbrauch verteuert und bei geringem Verbrauch verbilligt werden.

Das Gremium hat sich seit Jänner an insgesamt sechs Wochenenden getroffen.
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Im Bereich Konsum und Produktion schlägt das Gremium vor, die Vernichtung von Neuwaren im Onlinehandel zu verbieten. Darüber hinaus soll die Reparierbarkeit von Produkten verpflichtend gemacht werden. Insgesamt sollen klimaschädliche Produkte möglichst in den Hintergrund rücken – und deren Bewerbung stark eingeschränkt und bei besonders schädlichen Produkten gar verboten werden, heißt es in dem Dokument. Wer klimafreundliche Projekte plant, soll belohnt werden, lautet ein weiterer Vorschlag, etwa mit günstigeren Kreditbedingungen.

Vernichtungsverbot für Lebensmittel

Die geplante Lenkungswirkung ist auch im Kapitel zu Ernährung und Landnutzung herauszulesen: Das Gremium empfiehlt, Lebensmittel auf Basis von Umweltfolgen zu besteuern. Klimafreundliche Produkte sollen so attraktiver werden. Die Bürger sprechen sich zudem für ein Vernichtungsverbot für Lebensmittel aus. Die Produkte sollen an Sozialmärkte weitergegeben werden oder – falls sie nicht mehr genießbar sind – in Biogasanlagen landen. Mengenrabatte, die aus Sicht des Gremiums zur Lebensmittelverschwendung verleiten, sollen verboten werden.

Auch im Bereich Wohnen haben die Bürgerinnen und Bürger einige Maßnahmen formuliert: Eine Sofortoffensive soll die Sanierung aller Bestandsbauten "schnell und unbürokratisch" ermöglichen. Insgesamt sollen Sanierungen stärker gefördert werden als Neubauten, um den Bodenfraß einzudämmen. Damit nicht mehr so viel Fläche versiegelt wird, soll die Raumordnungskompetenz zudem auf Landesebene verlagert werden. Weitere große Punkte in dem Kapitel sind eine Leerstandsabgabe und -meldepflicht ab 2024 sowie die verpflichtende Installation von PV-Anlagen auf Groß- und Gemeinschaftsanlagen.

Tempo 90 auf Schnellstraßen

Besonders viel Diskussion hat es laut den Teilnehmern im Bereich Mobilität gegeben. Dort schlägt das Gremium ein Neuzulassungsverbot von Verbrennern ab 2027 vor und eine Ökologisierung der Pendlerpauschale. Besonders viele Einwände gab es bei der Diskussion um das Tempolimit: Hier einigten sich die Bürgerinnen auf eine Reduktion auf 90km/h auf Landstraßen, nicht aber auf eine Temporeduktion auf Autobahnen. Nicht zu Freude aller Teilnehmer, wie im Kapitel zu den Einwänden zu lesen ist: Einige Bürger hätten sich 100 bzw. 110 km/h auf Autobahnen und 30 km/h im gesamten Stadtgebiet gewünscht. Darüber hinaus fordern die Bürger eine "klimaneutrale Mobilitätsgarantie": Innerhalb von 15 Minuten Gehzeit soll landesweit rund um die Uhr ein Mobilitätsangebot zur Verfügung stehen.

"Die Vorschläge sind sicherlich kontroversiell und geben Anlass zu Diskussionen", sagte Walter Hutterer, einer der am Montag anwesenden Bürger. Würden nur 30 bis 40 Prozent der Empfehlungen auch umgesetzt werden, könnten die Klimaziele aus Sicht des Niederösterreichers erreicht werden. Er habe Ausreden, dass "die anderen" etwas tun sollen, satt, und bittet die Politik, endlich zu handeln: "Wir doktern seit 50 Jahren herum, es wird viel geredet und wenig umgesetzt."

Georg Kaser ist einer der Leiter des wissenschaftlichen Beirats.
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Die Klimaziele zu erreichen sei Aufgabe der Entscheidungsträger, warf der Klimaforscher Georg Kaser ein. Er leitete gemeinsam mit der Umweltökonomin Birgit Bednar-Friedl den wissenschaftlichen Beirat, der den Prozess begleitete. In deren Stellungnahme heißt es: "Die Tiefe, Breite und Sorgfalt des Diskussionsprozesses und der Entscheidungsfindung legitimiert das Ergebnis des Klimarats."

Es sei nicht Sinn der Sache gewesen, dass die Bürger einen Katalog abliefern, der von Ministerien abgearbeitet wird, sagte Kaser – auch wenn er die Umsetzung der Maßnahmen empfehle. "Die Arbeit des Klimarats hat einen viel größeren Wert", sagte der Glaziologe: Bürger würden Verantwortung übernehmen und der Politik zeigen, dass sie bereit sind, viel weiter zu gehen, als es ihnen so manch Entscheidungsträger zumuten würde.

Rückmeldung im Herbst

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) nahmen die Empfehlungen am Montag für die Regierung entgegen und bedankten sich für das Engagement der Bürger. "Ich freue mich schon seit Jänner auf diesen Tag", sagte Gewessler. Die Regierung will die Empfehlungen über den Sommer sichten und im Herbst Rückmeldung zu jedem Punkt geben, versprach die Ministerin. Das zivilgesellschaftliche Engagement sei "nicht selbstverständlich", ergänzte Kocher. Innerhalb der Koalition werde man nun die Vorschläge sichten und diskutieren, welche umsetzbar sind und welche nicht, sagte der Minister – letzten Endes entscheide das Parlament. (Nora Laufer, 4.7.2022)