Das Essen ist mindestens so gut wie die Stimmung: Gina Brandlmayr zeigt im Hanslmann, wie schön Sommerfrische sein kann.
Foto: Majken Corti

Der Attersee lässt sich, auch wegen der vielen Oligarchen, Drucksortenverwalter und anderen Besitz- und Sympathieträger an seinen voll privatisierten Ufern, als Sinnbild dessen lesen, was Österreich im Kern ausmacht. Viel Dirndlmode gibt’s auch, schöne Natur sowieso, mit Ordnungsliebe zugebaut. Dieser Tage leuchtet der See, wie jedes Jahr im Juli, auch noch in unpolitischem Türkis.

Und mitten in diesem Schmuckkästchen der Republik steht in Steinbach ein Haus ganz eigener Art. Die Frühstückspension Hanslmann wurde in den späten 1960ern in lupenreinem Alpinbarock gebaut, und ziemlich genau wie damals schaut sie – außen – heute noch aus: die Zimmer mit Balkon, Säulchen hier, Erker da, vorne ein Obstgarten, eine Blumenwiese mit Hendln, Hängematte und Fußballtor, dahinter der See, die Berge, der Himmel ganz blau.

Gina Brandlmayrs Eltern haben die Frühstückspension gebaut, damals gab es hier sogar eine Wintersaison, Gina und ihr Bruder sangen den Gästen in Engelskostümen Lieder vor. Seit bald zehn Jahren betreibt sie das Haus selbst, der Charme ist damit ein radikal anderer geworden. Weiterführen kam ihr zuerst undenkbar vor. Also ging Brandlmayr nach New York, dann nach Paris – wo sie im längst weltberühmten, damals aber ganz frischen Chateaubriand von Kochmagier Iñaki Aizpitarte die Küche unsicher machte –, dann nach Bangalore, weil eine Freundin aus allerbester indischer Familie sie für zwei Jahre mit nach Hause entführte.

Diese Weltläufigkeit bereichert das Haus auf vielfältige Weise. Seit kurzem können das auch Tagesgäste erleben, in Wahrheit will man hier aber eh mehr Zeit haben. Wegen der berückend familiären, geradezu privaten Atmosphäre, mit der die Gäste, die Hauskinder, der Service miteinander umgehen. Wegen der zeitgenössischen Kunst, der Bücher und der selten schönen Stoffe im Haus, wegen des Aperitivo im Garten, samt arg köstlichen, indischen und natürlich selbstgemachten Snacks und Knabbereien. Nicht zu vergessen das Frühstück am nächsten Tag, mit extra gutem Porridge (macht auch strikte Brei-Agnostiker zu lustvoll seufzenden Papplern), mit Kaskaden an Gemüse von roh bis gegrillt bis eingemacht, die auf prachtvollen Platten an die Tische getragen werden. Tagesfrisch gerührte Erdbeermarmelade zum selbstgebackenen Weißbrot ist ziemlich sicher die beste, die man je kosten durfte. Essen ist Entdecken, hier erlebt man das auf besonders großzügige Weise: genießen, was es gibt, vieles davon zum ersten Mal, alles außerordentlich.

See ist Welt

Saibling, souverän wie nie auf den Punkt gebraten.
Foto: Majken Corti

Beim Nachtmahl, das auch für Externe buchbar ist, gilt das erst recht. Es wird im Garten oder auf der Terrasse serviert und ist ein Erlebnis singulärer Art. Fast immer gibt es einen Fisch im Ganzen, an diesem Abend Saibling, souverän wie nie auf den Punkt (rosa Gräte!) gebraten, dazu eine Batterie an Condiments: grandiose Korianderzwiebelsalsa, bissige Dijonaise, sauerfruchtiges Marillenchutney, herrlich milder Gurkensalat, Heurige zum Auftunken der ganzen Gemeinheiten. Löffelweich saftiges Schwein in süßwürziger Kruste stand als "chinesisches Bratl" auf der Tafel, dazu ein Berg gezupfte Kräuter, eingelegte Radieschen, knackigstes Frühkraut, trocken gerösteter Sesam mit Knoblauch und einer Idee Süße, kühles, kaum süßes Quittengelee, wieder die Gurken. Urgut, urviel, aber noch nicht alles: Ganz unten in dem großen, tiefen Teller badet gebratener Dinkel im dunkel würzigen Saftl. Das ist Essen zum drin Versinken: so bekömmlich, so frisch, so unmittelbar.

Vegetarisch gibt es auch, einen griechischen Eintopf aus ganz echt gartenfrischen Gemüsen, achtsam, liebevoll zusammengefügt. Die Plätze sind begehrt, die Zimmer noch mehr. Es lohnt sich, beharrlich zu sein. Wenn es Topfenknödel gibt, muss man stark sein. Knusprige Wolken dieser Art gab es noch nie zu kosten, die hauen einem leicht einmal das Hirn raus. (Severin Corti, RONDO, 7.7.2022)

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