Den Bergrettungsteams bietet die Unglücksstelle ein schreckliches Bild, und sie haben Mühe, ihre Emotionen zurückzuhalten. "Auf einer Länge von mehr als tausend Metern haben wir Leichenteile inmitten eines Meeres aus Eisblöcken und Felsen gefunden", berichtete Gino Comelli vom Soccorso Alpino in den italienischen Dolomiten. Und Staatsanwalt Sandro Raimondi sprach von einem "unvorstellbaren Massaker".

Bergung und Hilfe aus der Luft wegen der Gefahr weiterer Lawinen.
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Die vorläufige Bilanz des schlimmsten Bergunglücks der vergangenen Jahrzehnte in Italien: mindestens sieben Tote, acht Verletzte und mehrere Vermisste – unter ihnen befand sich nach Angaben der APA zunächst auch ein Österreicher, der sich nicht direkt auf der fraglichen Route befunden habe. Am Montagnachmittag gab das Außenministerium aber Entwarnung: Der Mann sei wohlauf. Staatsanwalt Raimondi rechnet jedenfalls damit, dass sich die Zahl der Todesopfer noch mehr als verdoppeln wird: Die Wahrscheinlichkeit, Vermisste in den Geröll- und Eismassen noch lebend zu finden, sei "praktisch gleich null".

Wer in die Lawine geraten war, hatte kaum eine Chance: Die Eis- und Felsmassen brachen plötzlich los, donnerten mit rund 300 Stundenkilometern ins Tal und stoppten erst nach etwa 1500 Metern knapp oberhalb des Stausees am Fedaia-Pass.

300 Stundenkilometer

Das Trümmerfeld ist zehn bis 15 Meter hoch und stellt für die Bergretter gefährliches Terrain dar: Bei hohen Temperaturen können sich vom Gletscher jederzeit neue Eisblöcke lösen. Diese Séracs genannten Eistürme und Eiswände stellen eine tödliche Bedrohung dar.

Die Suche nach weiteren Toten und Vermissten erfolgt deswegen wo immer möglich aus der Luft, aus dem Hubschrauber und auch mit Drohnen und Infrarotkameras. Die Verletzten waren übrigens nicht direkt in die Lawine geraten, sondern waren von der Druckwelle weggeschleudert worden.

Das Unglück hatte sich am Sonntag um 13.45 Uhr unweit des höchsten Gipfels der Dolomiten, der 3343 Meter hohen Marmolata (italienisch: Marmolada), ereignet. Einige Hundert Meter oberhalb des nicht allzu schwierigen Weges zum Gipfel löste sich auf einer Front von etwa 200 Meter Länge, 80 Meter Breite und 60 Meter Höhe ein riesiger Eisblock vom Gletscher und riss mehrere Seilschaften mit sich in die Tiefe.

Auf Klimawandel zurückzuführen

"Wir hörten einen lauten, dumpfen Knall. Dann sahen wir, wie wenige Meter unter uns drei Bergsteiger von den Eis- und Felsmassen erfasst wurden", berichtete der Augenzeuge Mauro Baldessari. Seine Seilschaft habe nur aus Zufall überlebt: Man habe auf einen Kameraden warten müssen, der zurückgeblieben war. "Das war unsere Rettung: Ohne ihn lägen wir jetzt auch alle da unten begraben."

Der Berg wurde nach dem Unfall gesperrt, dutzende Bergsteiger und Wanderer, die sich noch in der Gipfelregion befanden, wurden mit Hubschraubern ins Tal geflogen.

"Es ist offensichtlich, dass der Abbruch auf den Klimawandel zurückzuführen ist", erklärte der Glaziologe Renato Colucci von der Universität Triest dem Corriere della Sera. Am Tag des Unglücks sei die Null-Grad-Grenze ("Null-Isotherme") bei 4400 Metern gelegen, auf der Punta Penia (3343 Meter) betrug die Temperatur sieben, am Tag zuvor sogar zehn Grad plus.

"Wird sich wiederholen"

Zwischen 2004 und 2015 verlor der Marmolata-Gletscher ein Drittel seines Volumens und mehr als ein Fünftel seiner Oberfläche. "Der Marmolata-Gletscher wird 2050 nicht mehr existieren, vielleicht verschwindet er auch schon früher", warnt Colucci. "Unglücke wie dieses werden sich wiederholen."

Ob dieses Mal doch Fahrlässigkeit seitens der Bergführer zu dem Unglück geführt haben könnte, wird zwar formell untersucht; doch bisher deutet nur wenig darauf hin. (Dominik Straub aus Rom, 4.7.2022)