Wie lange ist man nach einer Infektion immun? Diese Frage beschäftigt gerade viele. Denn es geht auch darum, ob man sich jetzt die vierte Impfung holen sollte.

Foto: imago images/imageBROKER/Michael Weber

Die Infektionszahlen steigen wieder einmal, und die Hoffnung auf den vielbeschworenen "Sommer wie damals" wurde schon längst begraben. Die Frage, die viele beschäftigt, ist viel eher: Wann wird es mich treffen? Vor allem jene, die sich noch gar nie infiziert haben, machen sich zum Start der Urlaubssaison darüber Gedanken.

Dazu kommt, dass sich mittlerweile nicht wenige Menschen bereits zum zweiten Mal – oder sogar zum dritten Mal – infiziert haben. Die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) veröffentlicht die Zahlen zu den Reinfektionen auf ihrer Homepage. Hier zeigt sich: Bis Ende 2021 waren Reinfektionen kein großes Thema, sie bewegten sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Doch mit Jänner 2022 und der Dominanz der Omikron-Varianten änderte sich das schlagartig. Bereits im Jänner lag der Anteil der Reinfektionen an den Gesamtinfektionszahlen bei 10,88 Prozent. Dieser steigerte sich laufend und erreichte im Mai einen Wert von 16,83 Prozent.

Nicht offiziell gemeldete Corona-Reinfektionen sind da naturgemäß nicht mitgerechnet – dabei haben wohl alle bereits von Familienmitgliedern oder Freunden gehört, die ihre Erkrankung nicht offiziell gemacht haben. Man kann also davon ausgehen, dass die Zahl der Mehrfachinfektionen höher ist, als die Zahlen der Ages das aufzeigen.

Mehrfachinfektionen kein Einzelfall

Ging man im ersten Jahr der Pandemie noch davon aus, dass diese nach einer Infektion für einen vorbei sei, hat sich schon bald gezeigt, dass das so nicht stimmt. Mittlerweile ist klar, dass weder eine Infektion noch eine abgeschlossene Grundimmunisierung mit drei Impfungen langfristig von Infektion schützt. Wohlgemerkt: vor Infektion. Denn der Schutz vor schwerer Erkrankung ist durch die Impfung sehr wohl gegeben, wie zahlreiche Studien zeigen.

Vielmehr wird immer klarer, dass man sich mit Corona, ähnlich wie mit Influenza, wohl immer wieder infizieren kann – auch wenn man derzeit noch weit davon entfernt ist, von einer saisonalen Erkrankung zu sprechen. Dafür ist die Immunität in der Bevölkerung noch nicht hoch genug. Auch mutiert vor allem die Omikron-Variante so schnell weiter, dass selbst nach einer Infektion damit nicht zwingend ein sicherer Schutz gegen andere Varianten besteht.

Vor dem Auftreten von Omikron waren Reinfektionen tatsächlich sehr selten, Impfung und Infektion verhinderten diese zu etwa 90 Prozent, wie eine Studie rund um Laith Abu-Raddad vom Weill Cornell Medical College in Katar zeigt. Nach dem Auftreten von Omikron verringerte sich der Schutz vor Reinfektion auf 50 Prozent, geht weiters aus der Studie hervor. Der Grund dafür ist, dass Omikron einen neuen Serotyp darstellt, der am Spike-Protein besonders viele Mutationen aufweist.

Wie lange ist die Infektion her?

Doch auch andere Faktoren erhöhen die Anfälligkeit für eine erneute Infektion. Der wichtigste darunter ist, wie lange die Erkrankung zurückliegt. Denn die Schleimhaut-Immunität bleibt nur für einen bestimmten Zeitraum bestehen. Die im Oktober 2021 im Journal "The Lancet" erschienene Studie eines Wissenschaftsteams der Yale School of Public Health schätzt, dass eine erneute Infektion mit Covid-19 bereits drei Monate nach Genesung möglich ist. Die Erkenntnisse basierten auf dem Genom der damals bekannten Virusvarianten und dem erwarteten Rückgang der Antikörper nach einer Infektion.

Die Omikron-Varianten haben den potenziell immunen Zeitraum deutlich verkürzt, da sich die einzelnen Varianten noch einmal massiv voneinander unterscheiden. Eine dänische, noch nicht Peer-reviewte Studie etwa zeigt, dass einige Menschen sich bereits 20 Tage nach einer Infektion mit der Omikron-Subvariante BA.1 mit der Variante BA.2 infiziert haben – denn deren Spike-Proteine unterscheiden sich noch einmal signifikant voneinander.

Das bedeutet, eine BA.1-Infektion schützt nicht sehr gut vor der aktuell vorherrschenden BA.5-Variante – weil sie schon zu lange her ist (in Österreich war BA.1 im Jänner und Februar 2022 vorherrschend) und weil das Spike-Protein deutlich verändert ist. Die BA.2-Variante, die ab März vorherrschend war und die die allerhöchsten täglichen Infektionszahlen auslöste (Höchststand war der 15. März mit 63.883 Neuinfektionen), ist der BA.5-Variante am Spike-Protein dagegen recht ähnlich. Außerdem ist die Infektion noch nicht so lange her, Antikörper sind noch in größerer Zahl vorhanden – hat man sich mit dieser Variante infiziert, kann man derzeit wohl noch etwas entspannter sein.

Das bestätigt auch Christoph Steininger, Virologe an der Med-Uni Wien: "Da wir wieder deutlich steigende Zahlen haben, ist die allgemeine Infektionsgefahr im Moment natürlich hoch. Maske tragen und Impfen reduziert dieses Risiko. Aber wer vor kurzem die Erkrankung durchgemacht hat, kann zumindest für eine Weile noch auf Immunität zählen. Die Infektion ist noch nicht so lange her, außerdem bieten durch eine BA-2-Infektion entstandene Antikörper auch recht guten Schutz gegen eine BA.5-Infektion, also die Variante, die aktuell vorherrscht."

Gibt es einen Risikorechner?

Man würde sich eine Art Risikorechner wünschen, um die eigene Immunität besser einzuschätzen. Den gibt es leider nicht, wie auch Steininger bedauert. Doch man kann sich einer Einschätzung annähern, sozusagen nach dem Ausschlussverfahren. So gibt es etwa Menschen, die anfälliger sind für eine Reinfektion als andere. Ältere Menschen und Immungeschwächte können nur wenige oder schlechtere Antikörper ausbilden, sie sind ganz klar stärker gefährdet.

Dem entspricht auch die aktuelle Empfehlung des Nationalen Impfgremiums (NIG), das allen über 65-Jährigen und allen mit Vorerkrankungen unabhängig vom Alter die vierte Impfung empfiehlt. Und zwar frühestens vier Monate nach dem dritten Stich, besser noch sollte man sechs Monate abwarten. "Für alle anderen fehlt derzeit noch die Datenlage, deshalb ist die Impfung auch noch nicht empfohlen", sagt Steininger. Wobei: "Wenn man sich vor dem anstehenden Urlaub besser schützen will, kann man sich davor den vierten Stich noch holen, vorausgesetzt, dass der Drittstich sechs Monate zurückliegt."

Wie steht es aber um die Immunität, wenn man sich mit Corona infiziert hat? Für Ungeimpfte ist klar, sie sollten sich die Impfung holen. Denn es braucht mehrere Kontakte mit dem Virus für eine breite Immunantwort, außerdem schützt die Impfung besser als die Infektion. Hat man sich nach zwei Impfungen infiziert, empfiehlt Steininger ebenfalls, sich die noch ausstehende dritte Impfung, die die Grundimmunisierung abschließt, zu holen: "Es macht sehr viel Sinn, sich die zu holen, vor allem, wenn die Infektion schon mehr als sechs Monate her ist. Das Immunsystem wird durch den dritten Stich noch einmal intensiv angeregt, und deutlich besser als durch einen vierten Stich."

Hat man sich erst nach der dritten Impfung angesteckt, sollte man, meint Steininger, "im Normalfall zumindest für einige Monate seine Ruhe haben. Die natürliche Immunität ist etwas breiter als die durch die Impfung, aber sie hält nicht so lange an."

Mildere Verläufe durch Mehrfachinfektionen?

Jene, die das Pech hatten, sich bereits ein zweites Mal zu infizieren, berichten, dass die zweite Infektion tendenziell milder verlaufen ist. Das bestätigt auch Virologe Steininger: "Eine Infektion wie auch die Impfung verhindern eine weitere Ansteckung zwar nicht, aber sie führen dazu, dass die Krankheit dann tendenziell schwächer und milder verläuft." Wobei die Parameter, was genau eine milde Infektion ist, schwer zu erheben sind, "in der Medizin entscheidet man nach harten Kriterien. Müssen Erkrankte ins Spital oder nicht, brauchen sie ein Intensivbett oder nicht." Und natürlich spielt auch die zirkulierende Virusvariante eine Rolle – und welche da wann vorherrschen wird, kann niemand voraussagen.

Dass Reinfektionen milder verlaufen, zeigt auch die oben erwähnte Studie aus Katar: Von mehr als 1.300 Reinfizierten musste keine einzige Person ins Krankenhaus eingeliefert werden. Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass es trotzdem zu Symptomen wie Fieber, Gliederschmerzen, Kopfweh, Geschmacksverlust oder auch Konzentrationsschwierigkeiten kommen kann.

Und natürlich bleibt immer noch das Risiko, an Long Covid zu erkranken. Hier ist das Wissen, wer gefährdet ist, noch immer nicht sehr groß. Einer der Risikofaktoren dürfte sein, wenn sich zu Beginn der Infektion sehr viel Virenmaterial im Körper befindet. Bei nachfolgenden Infektionen ist der Körper besser darauf vorbereitet, deshalb gehen einige Forschende davon aus, dass das Risiko nach der ersten Infektion am höchsten ist. Virologe Steininger ist da zurückhaltend: "Ich bin da skeptisch, weil jede natürliche Infektion ein deutlich höheres Risiko darstellt als eine Impfung. Es könnte auch sein, dass das Risiko mit jeder Infektion kumuliert und dadurch im Grunde größer wird." (Pia Kruckenhauser, 6.7.2022)