Millionen Menschen in Syrien sind von Hilfslieferungen abhängig. Diese drohen mit dem 10. Juli auszulaufen.

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Wien/Damaskus – Vier Millionen notleidende Frauen, Männer und Kinder im Nordwesten Syriens sind von humanitären Hilfslieferungen der Uno abhängig. Um die lebensnotwendigen Güter in das Bürgerkriegsland zu bringen, ist ein Hilfskorridor nötig. Dieser Weg könnte aber bald wegen einer auslaufenden Regelung geschlossen sein, warnte Amnesty International (AI) am Dienstag in einer Aussendung. Die Organisation forderte eine rasche offizielle Verlängerung des Hilfskorridors im Uno-Sicherheitsrat.

Aktuelle Regelung läuft am 10. Juli aus

Hintergrund ist eine seit 2014 bestehende Resolution, die es der Uno erlaubt, wichtige Hilfsgüter über Grenzübergänge auch in Teile des Landes zu bringen, die nicht von Syriens Regierung kontrolliert werden. Von den Gütern, die diese Punkte passieren, sind Millionen Menschen abhängig.

Die aktuelle Regelung für den Hilfskorridor läuft mit 10. Juli aus. Dies hätte laut AI verheerende Folgen für die syrische Bevölkerung. 2020 hatte ein russisches Veto im Sicherheitsrat zu einer drastischen Reduzierung der humanitären Grenzübergänge nach Syrien geführt. Seither gibt es nur noch einen solchen Korridor, der die Lieferung humanitärer Güter ohne Genehmigung durch Damaskus ermöglicht. Im Sommer 2021 stand der Korridor ebenfalls aufgrund von Einwänden aus Moskau kurz vor dem Aus und wurde in letzter Minute per Uno-Resolution verlängert. Zuvor hatte unter anderem die EU darauf gedrängt.

Besonders gefährlich wäre eine Einstellung der Hilfslieferungen für etwa 1,7 Millionen in Lagern lebende Binnenvertriebene, so AI. 58 Prozent davon seien Minderjährige und die Lebensbedingungen in den provisorisch aufgebauten Zelten ohnehin beklagenswert: "Die meisten von ihnen sind seit Jahren in Zelten untergebracht und haben kaum oder keinen Zugang zu fließendem Wasser und Sanitäreinrichtungen, was die Gefahr wasserbezogener Krankheiten birgt", hieß es in der Aussendung von AI.

Seit 2011 im Bürgerkrieg

Im März 2011 war es in Syrien im Zuge der arabischen Aufstände erstmals zu Demonstrationen gegen die Führung unter Machthaber Bashar al-Assad gekommen. Dessen Sicherheitskräfte gingen gegen die Proteste mit Gewalt vor. Daraus entwickelte sich ein Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung, der weiter andauert. Eine politische Lösung für den Konflikt zeichnet sich nicht ab. Die Gewalt ist in den vergangenen Jahren zwar zurückgegangen, dennoch kommt es immer wieder zu Luftangriffen, Beschuss und Kämpfen.

Viele Lagerbewohner würden ihre Zeit seit Jahren in absoluter Not fristen: "Mehr als die Hälfte aller Binnenvertriebenen in Nordwestsyrien lebt in einem von 1.414 Lagern, in der Regel in Einkammerzelten ohne solide Türen oder Schlösser, die keinen Schutz vor der extremen Kälte und Hitze bieten." Eine Rückkehr nach Hause sei für die Lagerbewohner angesichts der Menschenrechtsverletzungen syrischer Behörden in weiter Ferne. Auch zu Bränden käme es immer wieder.

Frauen besonders gefährdet

Ein weiteres Problem in den Lagern ist laut AI geschlechtsspezifische Gewalt an Frauen und Mädchen: "Dieses Risiko wird durch Überfüllung, mangelnde Privatsphäre, nicht eingezäunte Lager, nicht abschließbare Zelte und die Ausgrenzung von Frauen und Mädchen aus Entscheidungsprozessen noch verstärkt." So erhöhen beispielsweise die Art und Lage der primitiven sanitären Anlagen wie Latrinen oder Gemeinschaftsduschen die Gefahr von Gewalt.

"Seit die syrischen Behörden die Kontrolle über den Nordwesten des Landes verloren haben, haben sie den Strom und das Wasser abgestellt, Hilfslieferungen behindert und Lager, medizinische Einrichtungen und Schulen angegriffen", so AI. (APA, 5.7.2022)