Ein ausgetrockneter Nebenarm des Neusiedler Sees. Das Bild stammt von Ende Juni.

APA / Nina Kornberger

Neusiedl am See – Im Schlamm stecken gebliebene Fähren und Schilder mit der Aufschrift "niedriger Wasserstand", die die Badegäste davon abhalten sollen, hineinzuspringen: Der Neusiedler See ist derzeit seicht wie schon lange nicht. Mit 115,09 Metern über Adria liegt der Wasserstand nur noch vier Zentimeter über dem historisch tiefsten Wert vom September 2003 – seit Aufzeichnungsbeginn 1965 –, sagte Christian Sailer vom Hauptreferat Wasserwirtschaft des Landes Burgenland im Gespräch mit der APA.

Hitze und Wind setzen dem See zu. Die Verdunstung lässt den Wasserstand, wie im Sommer üblich, sinken – die tiefsten Werte werden in der Regel im Herbst verzeichnet. Heuer wirke sich das besonders aus, weil man schon mit einem niedrigen Pegel ins Jahr gestartet sei, erläuterte Sailer. Im Vorjahr war der Wasserstand Anfang Juli 20 Zentimeter höher, im langjährigen Mittel sogar 42 Zentimeter. Auf den bisher höchsten Stand im Jahr 1996 fehlen ganze 75 Zentimeter – und auch das bisherige Minimum Anfang Juli aus dem Jahr 2005 lag 14 Zentimeter höher.

Schon im März war der Neusiedler See ausgesprochen seicht.
Foto: Guido Gluschitsch

Gefahr von Schilfbränden steigt

Bei starkem Wind kommt stellenweise sogar der schlammige Boden zum Vorschein, wie am vergangenen Wochenende in Breitenbrunn, berichtete Sailer. Mit der Trockenheit steige die Gefahr von Schilfbränden. Sinkt das Wasser weiter, stehen als Erstes die Schilfgürtel im Trockenen. Sie bestehen dann eigenständig weiter, laufen aber Gefahr, bei Blitzeinschlägen oder Unachtsamkeiten von Menschen Feuer zu fangen, das sich mangels Wasser stärker verbreiten kann, meinte Sailer.

Bei Breitenbrunn standen am Wochenende rund drei Hektar Schilfgürtel in Flammen.
Foto: APA/Stefan Schwirkschlies

Noch keine Probleme mit Badesaison

Für die Badesaison sieht der Leiter der Taskforce Neusiedler See-Seewinkel, die sich auch mit einer möglichen Wasserzufuhr aus der ungarischen Moson-Donau beschäftigt, derzeit noch keine Probleme. Aber: "Die Wege, um tief im Wasser zu stehen, werden immer weiter", betonte er. Außerdem müsse man darauf achten, dass es nicht zu Verkeimungen komme. Momentan sei das noch nicht akut, aber "mitdenken muss man alles zurzeit", so Sailer.

Niederschläge könnten Entspannung bringen, dafür müsse man aber abwarten, wie sich die Witterung entwickle. "Es schaut nicht so aus, als ob es noch ein feuchtes Jahr wird", sagte Sailer. Überraschungen gebe es aber immer wieder.

Hinsichtlich einer Zuleitung aus Ungarn läuft weiterhin die Planung. Landesrat Heinrich Dorner (SPÖ) hat dazu vergangene Woche angekündigt, dass demnächst politische Gespräche mit dem Nachbarland stattfinden sollen.

Ein ausgetrockneter Nebenarm des Neusiedler Sees.
APA / Nina Kornberger

"Müssen Wasser in Region halten"

Im Seewinkel fehlt das Wasser – auch und insbesondere den Landwirten. Gerald Kern, in dessen Betrieb in St. Andrä am Zicksee neben "heimischem" Gemüse auch Ingwer wächst, ist als Sprecher der Interessengemeinschaft IG Bewässerung Bezirk Neusiedl am See an der Suche nach Lösungen beteiligt: "Wir müssen das Wasser in der Region halten", betonte er. Die geplante Zuleitung aus der Moson-Donau sei eine Chance.

In der Trockenheit mache sich der Klimawandel bemerkbar, sagte Kern. Die Hitzetage würden mehr, die Winter milder und die Niederschläge extremer. Auf lange Trockenperioden würden oft Starkregenereignisse folgen. Der Bewässerungsaufwand steige mit Hitze und Trockenheit, um die Ernte absichern zu können. Dafür werde auf das Grundwasser zurückgegriffen, erläuterte der Sprecher der IG Bewässerung, der die Landwirte des Bezirks bei Verhandlungen zur vom Land Burgenland geplanten Wasserzuleitung in den Seewinkel und den Neusiedler See aus der ungarischen Moson-Donau vertritt.

Kern steht diesem Projekt grundsätzlich positiv gegenüber und plädiert dafür, dass Entwässerungsgräben künftig auch zur Bewässerung genutzt werden dürfen. Diese könnten dann das Wasser zurückstauen und in der Region halten beziehungsweise über die Zuleitung aus Ungarn gefüllt werden, wenn sie gerade trocken sind. Das Wasser würde reguliert so lange wie möglich im Seewinkel bleiben, langsam ins Grundwasser sickern und den Pegel stabil halten: "Das Wasser bleibt da, der Grundwasserkörper kann sich leichter erholen, und es ist natürlich auch ein Biotop", betonte der Landwirt. Gleichzeitig könne das Wasser abfließen, wenn es zu viel werde.

Die Trockenheit im Seewinkel hält an.
APA / Nina Kornberger

Häuser stehen auf ehemaligem Sumpfgebiet

Ursprünglich seien die Gräben entstanden, um Wasser aus der Region zu bringen. In den 1950er- und 1960er-Jahren sei nämlich "alles Wasser gewesen. Da hat jeder versucht, es wegzubringen", meinte Kern. Heute sei das Gegenteil der Fall. Auf ehemaligem Sumpfgebiet würden mittlerweile Häuser stehen. Der Grundwasserspiegel müsse deshalb durch die Gräben reguliert werden, denn steigt das Wasser, "schwimmt in Apetlon oder Illmitz die halbe Ortschaft".

Maßnahmen, die die Landwirte selbst treffen können, sind laut Kern Wassersparen und der Anbau von Kulturen, die an die Bedingungen angepasst sind. Derzeit gebe es im Seewinkel etwa viele Kürbisse, weil diese keine Beregnung brauchen. Kern selbst baut auch Frühkartoffeln an, die schon zu Beginn des Sommers geerntet werden – "weil wir genau wissen, wir können die über den Sommer nicht gescheit beregnen", sagte er. Beregnet werde nur, wenn es notwendig sei. Ganz ohne komme man in der Landwirtschaft aber nicht aus. "Ohne Beregnung hast du keinen Ertrag, und ohne Ertrag kannst du zusperren", betonte Kern.

Von der Politik fühlt sich der Landwirt im Stich gelassen, in der Corona-Krise und bei den Schwierigkeiten aufgrund des Ukraine-Kriegs. Auch gegen eine mögliche Mitschuld der Landwirtschaft am Austrocknen des Neusiedler Sees durch die Entnahme von Grundwasser wehrt sich Kern. 1864 sei der See für mehrere Jahre trocken gewesen. "Was war da schuld? Die Landwirtschaft sicher nicht, weil beregnet ist nicht worden, und der Klimawandel wird es auch nicht gewesen sein. Also was war es dann? Geregnet hat es nicht, ganz einfach", so Kern.

Problematisch seien vor allem die durch den Klimawandel verstärkten Schwankungen bei der Witterung, die zu längeren Trockenperioden und Starkregenereignissen führen. Das gefährde die Planungssicherheit, sagte der Landwirt. Im September bestelle er Saatgut für das nächste Jahr: "Jetzt muss ich um 40.000 Euro Kartoffelsaatgut bestellen, und dann kann ich vielleicht nächstes Jahr nicht beregnen. Das ist ein Wahnsinn."

Blick auf den ausgetrockneten Oberen Stinkersee bei Illmitz.
Foto: APA / Nina Kornberger

Winzer Umathum plädiert für Aufforstung

Mittendrin im trockenen Seewinkel, in Frauenkirchen, stehen die Weingärten von Winzer Josef Umathum. Es sind die Fehler vergangener Jahrzehnte, die sich jetzt auswirken, sagt er. Um ihnen entgegenzutreten, plädiert der Winzer für eine Aufforstung und eine Bewirtschaftung im Einklang mit der Natur, denn: "Der Boden ist das Wichtigste. Das ist unser größtes Kapital", betonte er.

Was im Seewinkel fehlt, ist der Regen, sagte Umathum: "Die meisten Menschen nehmen das nicht so wahr, weil es regnet zwei, drei Liter. Aber richtig tiefgreifender Regen, der für die Landwirtschaft und die Pflanzen wirkt, das sind um die 25 bis 30 Liter." In den vergangenen acht Jahren fehle in Summe ein ganzer Jahresniederschlag im Vergleich zu früher, das seien 500 Liter pro Quadratmeter.

Wind wird nicht mehr von Hecken gebremst

Der Klimawandel mache sich damit ebenso bemerkbar wie "die Fehler der letzten 50, 60 Jahre". Damals habe man in der Region möglichst viel anbauen wollen: "Da hat man jedes Eck irgendwie urbar gemacht, also die Sümpfe trockengelegt." Sträucher, Bäume, Hecken und Windschutzgürtel mussten – auch für Bauplätze – weichen. Was bleibe, sei mehr Wind, der nicht mehr von Hecken gebremst werde, über den Boden fege und diesen austrockne. Umathum ist deshalb für eine Aufforstung.

APA / Nina Kornberger

Er verfolgt das Ziel, im Einklang mit der Natur zu arbeiten. Wichtig sei, dass der Boden viel CO2 und Wasser speichern kann. Wird er zu oft bearbeitet, wird er leicht verblasen, verschlammt bei Regen und kann "das Wasser nicht mehr aufnehmen und keine Energie speichern, die so wichtig wäre für die nächste Hitze- und Trockenperiode", so der Winzer. Mit Humus und Kompost fördert er die Biodiversität. Zwischen den Weinreben lässt er andere Pflanzen wachsen. Sie beschatten und kühlen den Boden, verhindern Verdunstung und sorgen dafür, dass Regenwasser aufgesaugt wird.

Umathum sucht für seine Weingärten mit einer Rebselektion jene Sorten aus, die sich am besten an die klimatischen Bedingungen angepasst haben. Reben aus alten Weingärten hätten zahlreiche Informationen gespeichert und ihre Genetik verändert. Von diesen sucht sich der Winzer 100 aus, die für fünf bis sieben Jahre beobachtet und anschließend auf 30 reduziert werden, die dann im Labor untersucht werden. Übrig bleiben laut Umathum etwa zehn gesunde Pflanzen, mit denen man weiterarbeiten kann.

Alte Rebsorte wächst wieder

Auf diese Weise ist der Winzer auch auf die Rebsorte Lindenblättriger gestoßen, die eigentlich längst in Vergessenheit geraten war, für die derzeitige Witterung aber gut geeignet ist. Sie wurde laut Umathum vor über 100 Jahren in der Region angebaut – bis es ihr zu kalt und sie nicht mehr reif wurde. Heute ist es wärmer, und seit 2008 wächst sie wieder bei Umathum im Seewinkel. Ebenfalls im Weingut zu finden sind neue Sorten, die aus der Kreuzung bekannter mit besonders resistenten Sorten entstehen.

Umathum gegen Wasserzuleitung

Einer Anhebung des Wasserstands im Seewinkel durch eine Zuleitung, wie sie auch zum Neusiedler See geplant ist, kann Umathum nicht viel abgewinnen. Auf Flächen, die früher Sumpf waren, würden heute Häuser stehen. Diese würde man damit unter Wasser setzen. Sollte der See tatsächlich austrocknen, wäre das aus Sicht des Winzers "fatal". Salzstürme wären die Folge – "ich glaube, dass das Leben dann hier nicht mehr angenehm wäre und Weinbau auch kaum möglich wäre", sagte er. Bis dahin werde es aber wohl noch länger dauern.

Mit der Klimakrise werde auf Weinbau und Landwirtschaft wohl noch einiges zukommen, meinte Umathum. Derzeit gebe es wenig Anlass, optimistisch zu sein. Er ist es aber trotzdem: "Es gibt Wassermangel, es gibt Hagel, es gibt Frost, es gibt Schädlinge, du müsstest auf der Stelle den Betrieb aufgeben, verkaufen und das Weite suchen. Als Landwirt muss man zwangsläufig Optimist sein." (APA, red, 5.7.2022)