Aktuell gibt es in Wien 56 Schulärzte, im Jahr 2012 waren es noch 71.

Foto: CHROMORANGE / Weingartner

Der schulärztliche Dienst ist als erste Anlaufstelle für die gesundheitlichen Probleme von Kindern und Jugendlichen gedacht – und dabei selbst angeschlagen. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Warnungen vor einem Schulärztinnen- und Schulärztemangel laut. Aktuelle Daten aus Wien zeigen nun, wie angespannt die Situation ist.

So ist die Zahl der Schulärztinnen und Schulärzte an den Pflichtschulen binnen zehn Jahren um ein Fünftel zurückgegangen. Oder, in absoluten Werten ausgedrückt: Waren im Jahr 2012 noch 71 Medizinerinnen und Mediziner an Wiener Pflichtschulen tätig, sind es derzeit nur noch 56. Diese Daten stammen aus der Beantwortung einer Anfrage des ÖVP-Rathausklubs an Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ), die dem STANDARD vorliegt.

An Wiener Pflichtschulen gibt es demnach 460 schulmedizinische Stellen – wobei ein Arzt oder eine Ärztin mehrere davon besetzen kann. Nur 372 dieser Stellen sind laut Anfragebeantwortung besetzt, 88 – also 20 Prozent – nicht. Im Detail sind 31 Neue Mittelschulen, 45 Volksschulen zehn Sonderpädagogische Zentren und drei Bildungscampus ohne Schulärztin oder Schularzt.

Die angespannte Personalsituation führe dazu, dass im Bereich der öffentlichen Pflichtschulen eine Schulärztin im Schnitt satte 1.325 Schulkinder betreut, rechnet das Gesundheitsressort vor.

Wenige geeignete Bewerberinnen und Bewerber

Verantwortlich für den Mangel sei die österreichweite Pensionierungswelle in der Ärzteschaft und eine "gleichzeitig zu geringe Zahl geeigneter Bewerberinnen und Bewerber", heißt es weiter. Für Schulen ohne eigenen Mediziner stelle der städtische Gesundheitsdienst "externe Angebote" zur Verfügung, wird betont. Weitere derartige Angebote seinen geplant, um sicherzustellen, dass durch anstehende Pensionierungen "keine empfindlichen Leistungsdefizite" zu verzeichnen seien. Dabei handle es sich allen voran um die Möglichkeit, in den städtischen Impfzentren Impfungen zu bekommen, sagt ein Sprecher Hackers.

Eine ähnliche Anfrage mit ähnlichem Ergebnis stellte im Jahr 2019 übrigens auch die damalige Oppositionspartei Neos. Parteichef Christoph Wiederkehr sah eine "klare Unterversorgung". Wien müsse die Zahl "dringend" aufstocken, forderte er.

In seiner jetzigen Funktion als Bildungsstadtrat überlässt er allerdings dem Gesundheitsstadtrat das Feld. Die ÖVP-Anfrage ging auch an Wiederkehr, dieser ließ allerdings nur knapp wissen, dass er sich Hackers Beantwortung anschieße.

Auf Nachfrage heißt es vonseiten der Neos, dass das Bildungsressort in Kooperation mit dem Gesundheitsressort das Thema Schulgesundheit unterstütze. Ein "gutes niederschwelliges schulisches Gesundheitsversorgungssystem der Zukunft" sehe man in der Kombination von Schulärztinnen und der Schulgesundheitspflege. Dabei würden sogenannte School Nurses zusätzlich eine psychosoziale Betreuung übernehmen.

ÖVP fordert mehr Unterstützung und Adipositas-Schwerpunkt

Für die Stadttürkisen ist die derzeitige Situation an den Schulen jedenfalls "fahrlässig". Die pandemiebedingte Gesundheitskrise habe gezeigt, wie wichtig eine professionelle medizinische Betreuung in den Schulen vor Ort sei, sagt Harald Zierfuß, ÖVP-Bildungssprecher im Wiener Gemeinderat. "Bei einer derartigen Unterversorgung können Kinder und Jugendliche nicht ordentlich betreut werden. Hier braucht es rasch ein umfassendes Maßnahmenpaket, um jedes Kind optimal und ganzheitlich zu versorgen."

Konkret fordert die ÖVP bessere Räumlichkeiten, Unterstützung durch School Nurses und weniger Bürokratie, um die ärztliche Tätigkeit an Schulen attraktiver zu machen. Das Ziel: Jede Stelle müsse auch besetzt sein, die durchschnittliche Schülerzahl pro Schularzt müsse massiv reduziert werden.

Ingrid Korosec, Gesundheitssprecherin im türkisen Rathausklub, hat auch genaue Vorstellungen darüber, worauf sich der schulärztliche Dienst in der dadurch gewonnenen Zeit konzentrieren solle. "Jedes dritte zehn- bis zwölfjährige Kind hat durch die Pandemie zugenommen. Schon vor der Pandemie waren 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig", sagt sie. Daher gelte es, einen Übergewichts- und Adipositas-Schwerpunkt bei schulärztlichen Untersuchungen zu setzen.

Rot-Pink plant Evaluierung

Das Gesundheitsressort versucht, den Personalmangel mit Rekrutierungsmaßnahmen in den Griff zu bekommen. Man schreibe ständig Stellen aus, heißt es aus dem Hacker-Büro. Zwei der 56 aktuell beschäftigten Schulärzte habe man erst heuer eingestellt.

Die rot-pinke Stadtregierung hat sich laut Koalitionsprogramm vorgenommen, den schulärztlichen Dienst einem Review zu unterziehen – und zwar auf Basis der Erfahrungen während Corona. "Auf dieser Grundlage ist eine Weiterentwicklung und allfällige inhaltliche und organisatorische Stärkung umzusetzen", heißt es. Geplanter Start: "Nach Ende der derzeitigen Pandemie." (Stefanie Rachbauer, 6.7.2022)