Noch kommt Gas aus Russland. Auch das Ziel, die Speicher bis Herbst zu 80 Prozent zu füllen, scheint noch in Griffweite.

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Wien – Vor dem Hintergrund zuletzt gesunkener Gas-Speicherraten hat am Vormittag das Krisengremium der Regierung zur aktuellen Situation getagt. Danach bleibt Österreich zwar vorerst weiter in der Frühwarnstufe, Großverbrauchern wird jedoch angeordnet, soweit wie möglich auf alternative Energieträger – vor allem Erdöl – umzurüsten. Außerdem appelliert die Regierung an die Bevölkerung, sich auf die kommende Heizsaison vorzubereiten und beim Einsparen von Strom und Gas mitzuhelfen.

Eine entsprechende Verordnung zur Energielenkung werde in Begutachtung geschickt, sagte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Gleichzeitig betonte die Ministerin, dass die Situation mit Blick auf die Gasversorgung weiter unsicher sei. Die Frühwarnstufe – Teil des dreistufigen Gas-Notfallplans – bleibe zwar vorerst aufrecht, mit der angekündigten Wartung der Pipeline Nord Stream 1 ab 11. Juli stehe jedoch das nächste kritische Ereignis unmittelbar bevor.

Sicherheitsrat am Abend

Am Abend wird der Nationale Sicherheitsrat zum Thema Gasversorgung zusammentreffen. Die FPÖ hatte dessen Einberufung beantragt.

Vorige Woche hat es kurz so ausgesehen, als ob die Regierung zeitnah die zweite Stufe des Notfallplans Gas in Kraft setzen würde. Einige Tage lang ist nämlich der Füllstand der heimischen Gasspeicher deutlich langsamer gestiegen als in den Wochen davor. Am Freitag beispielsweise zeigten offizielle Daten der Speicherbetreiber eine Befüllung der unterirdischen Kavernen um weniger als 100 Gigawattstunden (GWh) statt vorher üblich mehr als 300 GWh – gut zwei Drittel weniger pro Tag. Das hat sich seit Samstag wieder gedreht.

Augen auf Mitte Juli gerichtet

Die Augen richten sich nun vor allem auf Montag, 11. Juli, beziehungsweise Donnerstag, 21. Juli. In diesem Zeitraum wird die für die Gasversorgung insbesondere von Deutschland wichtige Leitungsverbindung durch die Ostsee, Nord Stream 1, für Wartungsarbeiten stillgelegt. Die Unterbrechung ist schon vor Kriegsausbruch in der Ukraine vom russischen Leitungsbetreiber Gazprom kommuniziert worden und an und für sich nichts Außergewöhnliches. Jedes Jahr wird die Leitung im Sommer, wenn aufgrund der warmen Jahreszeit die Gasnachfrage üblicherweise am niedrigsten ist, wieder in Schuss gebracht. Heuer ist alles etwas anders.

Mitte Juni hat Gazprom die Gaslieferungen über Nord Stream 1 um 60 Prozent verringert und dies mit einer Turbine in einer Verdichterstation argumentiert, die nach ihrer Wartung in Kanada aufgrund der Sanktionen dort festhänge. Experten, aber auch Politiker wie Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) halten dies für ein vorgeschobenes Argument und halten es für sehr wahrscheinlich, dass Russland nach Ende der Wartungsarbeiten den Gashahn zulässt. Davon wäre dann auch Österreich, nicht so stark wie Deutschland, aber doch auch, betroffen. Der Großteil des von der OMV über Langfristverträge mit Gazprom bezogenen Gases kommt zwar über das ukrainische Pipelinenetz und die Slowakei nach Österreich, ein kleinerer Teil aber auch über die Ostseepipeline und Tschechien.

Weitreichende Vollmacht

Sollte Nord Stream 1 ab dem 21. Juli tatsächlich leer bleiben und Russland auch keine zusätzlichen Gasmengen über die Ukraine beziehungsweise Belarus und Polen in den Westen schicken, wäre auch Alarm in Österreich. Mit der Alarmstufe, der zweiten von drei im Gasnotfallplan, ginge eine verstärkte Informationspflicht der großen Gasverbraucher in der Industrie einher. In der letzten, der Notfallstufe, schließlich käme es zur Energielenkung mit weitgehenden Vollmachten für die Energieministerin beziehungsweise die Regulierungsbehörde E-Control als operativem Arm des Ministeriums. Dann könnten Betreiber von Gasspeichern in Österreich beziehungsweise Händler, die Gas dort gegen Gebühr zwischengelagert haben, angewiesen werden, Gas nur mehr an Kunden in Österreich zu liefern.

In der Vorwoche hatten Händler verstärkt Gas nach Italien verkauft, auch aus Speichern in Österreich, wie sich anhand von Transportdaten nachvollziehen lässt. Offensichtlich wurden in Italien aufgrund des akuten Wassermangels verstärkt Gaskraftwerke zur Stromproduktion eingesetzt, und offensichtlich waren Abnehmer in Italien bereit, sehr viel für das Gas zu zahlen, andernfalls wäre es eingespeichert geblieben oder an einen anderen Abnehmer gegangen.

80 Prozent Füllstand möglich

Bereits vorigen Samstag wurde wieder in etwa so viel Gas eingespeichert wie vor dem Abfall, mehr als 300 GWh pro Tag. Laut aktuellen Daten ist die Einspeicherleistung inzwischen auf über 400 GWh gestiegen. Aktuell liegt der Füllstand bei 46 Prozent. Geht es in dieser Geschwindigkeit weiter, scheint das Ziel von 80 Prozent bis Herbst erreichbar. Insgesamt kann in Österreich maximal Gas für 95,5 Terawattstunden (TWh) eingespeichert werden. Eine Terawattstunde sind 1.000 GWh beziehungsweise eine Milliarde Kilowattstunden. (Günther Strobl, 5.7.2022)