Eine Neuentdeckung mit Rekordausmaßen.
Foto: RBG Kew

Auch in der Botanik weniger gut Bewanderte kennen Seerosen, manche sogar aus dem eigenen Gartenteich. Neben der bekannten Weißen Seerose (Nymphaea alba) findet man in Europa freilich nur eine Handvoll anderer Arten in freier Natur. Denn die Seerosengewächse sind eigentlich eine wärmeliebende Tropenfamilien. Mehr als 50 Arten kennt die Wissenschaft, und die Königin unter ihnen ist in Südamerika zu finden.

Folgerichtig wurde die Riesenseerose Mitte des 19. Jahrhunderts Victoria getauft, zu Ehren der frischgekrönten britischen Königin. Mit Victoria amazonica und Victoria cruziana wurden damals zwei Arten beschrieben – doch nun verkündeten britische Wissenschafter eine botanische Sensation: Seit 177 Jahren völlig unerkannt, beherbergte das Herbarium der Londoner Royal Botanic Gardens, Kew eine dritte Riesenseerosenart, die man bisher fälschlicherweise für Victoria amazonica gehalten hatte.

Die Blüten der königlichen Seerose erreichen einen Durchmesser von fast 40 Zentimetern.
Foto: RBG Kew/ Lucy Smith

Wettrennen um die erste Blüte

Entdeckt wurde die Gattung Victoria vermutlich 1831 vom Leipziger Eduard Poeppig im brasilianischen Sumpfgebiet Pantanal. In Europa bekanntgemacht haben sie jedoch die Engländer, die sich untereinander einen regelrechten Wettbewerb lieferten, wer die empfindliche Tropenpflanze als Erstes zum Blühen bringen würde.

Gewonnen haben schließlich der sechste Lord von Devonshire William Cavendish, ein bekannter Amateurbotaniker, und sein Obergärtner John Paxton. Die beiden schafften es, dass ein Victoria-Exemplar am 8. November 1849 eine Blüte öffnete. Kurz darauf eroberte die Riesenseerose die Botanischen Gärten im restlichen Europa. Auch im "Victoriabecken" vor dem Tropenhaus des Botanischen Gartens der Universität Wien ist sie zu bewundern.

Victoria boliviana in ihrem natürlichen Lebensraum in Bolivien.
Foto: RBG Kew

Die größte der drei Riesinnen

Die Entdeckung der neuen Victoria-Spezies wird von den Kew Gardens als "botanisches Weltwunder" gefeiert. Ihre schwimmenden Blätter erreichen Durchmesser von mehr als drei Metern, was sie zur größten Seerosenart der Welt macht, beeindruckender noch als ihre beiden nahen Verwandten. Victoria boliviana kommt natürlicherweise nur in einem kleinen Areal im Amazonasflusssystem in Bolivien vor. "Seit ich im Jahr 2006 zum ersten Mal ein Foto dieser Pflanze online gesehen habe, war ich davon überzeugt, dass es eine neue Spezies ist", sagte Carlos Magdalena, der für Kew Gardens im Bereich Gartenbau forscht.

Den endgültigen Beweis, der nun im Fachjournal "Frontiers in Plant Science" veröffentlicht wurde, brachten nun eingehende physiologische und genetische Untersuchungen mit Proben aus Bolivien und den Kew Gardens. Die Arbeit mit Victoria wird den Botanikerinnen und Botanikern auch in nächster Zeit nicht ausgehen, denn keine der drei Arten sei wirklich gut untersucht, wie Alex Monro von den Kew Gardens auf BBC News meint.

Carlos Magdalena und "seine" neuentdeckte Victoria-Art in den Londoner Royal Botanic Gardens, Kew.
Foto: RBG Kew

Noch viel zu forschen

"Wir wissen immer noch nicht, wie viele Populationen es gibt und wie sehr sie sich in ihrer Größe unterscheiden. Wir verstehen ihr Bestäubungsbiologie nicht wirklich gut, und wir wissen nicht viel über ihre Ausbreitung", so der Biologe. "Es gibt also noch viele Unbekannte. Und ich denke, weil sie so riesig sind – so offensichtlich – haben die Leute nicht wirklich daran gedacht, sie so detailliert zu studieren." (tberg, red, 5.7.2022)