Sophie Passmann (Mitte), Tim Oliver Schultz, Leonie Brill, Zeynep Bozbay und Antonije Stankovic in "Damaged Goods".

Foto: Prime Video

Drehbücher hat Sophie Passmann schon öfter bekommen, aber richtig gefallen hat ihr dieses: Der Podcast der gescheiterten Psychologiestudentin Nola bildet den Rahmen, in dem sich ihre Freunde, die Businessfrau Hennie, Künstlerin Tia, Aufreißer Mads und Flugbegleiter Hugo, am Millennial-Jungsein abarbeiten. Ab 11. Juli sind acht Folgen von "Damaged Goods" bei Prime Video abrufbar. Autor Jonas Beck zerlegt darin rasiermesserscharf und mit Sinn für schrägen Humor die Neurosen Jugendlicher beim Move ins Erwachsensein, etwas, das Passmann selbst quasi in ihrer DNA hat. Die Rolle der Nola ist Passmanns allererste Rolle in einer fiktionalen Produktion.

STANDARD: Ihre erste Filmrolle überhaupt. Warum schauspielern?

Passmann: Filmangebote gab es schon des Öfteren, meistens allerdings mit Figuren, die so ähnlich angelegt waren, wie ich es bin. Ich las die Drehbücher und dachte, ja, cool, aber so richtig klicken tut es mich nicht. Bei "Damaged Goods" habe ich alle acht Bücher auf einmal verschlungen, weil ich wahnsinnig intelligent fand, wie die Serie mit Diversität umgeht. Man hat den Büchern auch angemerkt, dass die Autoren Teil der Community sind, also wissen, worüber sie schreiben. Und ich fand meine Figur Nola interessant, weil sie mir Spielraum ließ. So konnte ich ihr selbst noch meine Farbe geben.

STANDARD: Fiel Ihnen das Spielen leicht?

Passmann: Es hilft, wenn man wie ich schon lange vor Kameras gestanden hat. Ich hatte mit 18 oder 19 meinen ersten Job im Fernsehen und habe mich von SWR und ZDF und ProSieben irgendwie durchgemogelt. Dadurch habe ich Erfahrung und weiß, wie eine Kamera funktioniert, wie Ausschnitte funktionieren, wie eine Bewegung Sinn ergibt. Das hat mir in den ersten Wochen viel Stress genommen, weil ich mich nur auf das Spiel konzentrieren musste – und das war Herausforderung genug. Die größte Herausforderung für mich war aber, die Situation des Drehens selbst zu verstehen. Dass man auf einmal mit 50 Menschen, die man noch nie im Leben getroffen hat, drei Monate die wahrscheinlich beruflich intensivste Zeit eines Jahres verbringt. Dass man unglaubliche Überstunden fabriziert, was außerhalb der Produktion niemand wissen darf. Dass man früh aufsteht und spät ins Bett kommt, nichts mehr zu tun hat mit der Außenwelt und dann noch eine Leistung abrufen soll. Eine völlig verrückte Parallelwelt.

STANDARD: Ist Nola die private Sophie Passmann?

Passmann: Überhaupt nicht. Wir sind uns vielleicht ähnlich, Nola hat einen ähnlichen Humor, weil ich ihr meinen Humor gegeben habe. Aber Nola ist eine erfundene Rolle.

STANDARD: Sie ist zumindest Podcasterin – wie Sie.

Passmann: Das ist eine Parallele, das stimmt, die einzige.

STANDARD: Würde Sie das stören, wenn man keinen Unterschied macht zwischen Ihrer Person und Nola?

Passmann: Es würde mich nicht aus Eitelkeitsgründen stören, weil ich in meinem Job mehr als genug wahrgenommen werde, ich würde sagen, mehr als eine 28-jährige Psyche eigentlich verkraften kann. Es nervt mich aber intellektuell. Es nervt mich ganz besonders in der Literatur. Die Vereinbarung von Literatur bedeutet ja, sich auf einen Text einzulassen. Diese Vereinbarung wird durch irgendeine Social-Media-Geilheit oder den simplen Spaß an Zuspitzung gebrochen, indem es sofort heißt: Das sind doch Sie in den Texten, oder? Nein! Warum soll das in dem Text ich sein? Können wir uns bitte darauf einigen, dass die über die Jahrhunderte entstandenen Regeln der Literaturwissenschaft vielleicht auch weiterhin gelten – auch wenn es keiner knallt? Ich wäre sehr dafür, diese Vereinbarung wieder zu akzeptieren, nämlich dass man sich auf die erzählte Welt einlässt und nicht davor und dahinter die vermeintlich handwerklichen Fehler sucht. Ich fände das einfach handwerklich anständiger.

STANDARD: Allgemein ist ein Trend zur Subjektivierung in Texten und Werken feststellbar. Die Ich-Form trendet. Gefällt Ihnen diese Entwicklung?

Passmann: Ich hoffe, das ist eine Zwischenphase auf dem Weg hin zu einem intellektuelleren Umgang mit Repräsentation und Diversity. Ich beobachte das aktuell im Journalismus und bin sehr erstaunt, dass es mittlerweile offenbar inhaltlich als gleichwertig betrachtet wird, wenn jemand eine Reportage schreibt und versucht zu sagen, was ist, um den "Spiegel"-Pathos rauszuholen, oder ob jemand ein Erlebnisprotokoll aufschreibt. Lassen Sie mich kurz die großen Geschütze ausfahren: Diese Protokolltexte wie "Ich als Transperson finde es verletzend, dass …" wären intellektuell vor zehn Jahren nicht veröffentlicht worden. Ich hoffe, dass wir irgendwann diese Repräsentationsthemen im Kern so ernst nehmen, dass wir sie journalistisch intellektuell beurteilen und betrachten wollen. Und niemals wieder an den Punkt kommen, dass die Textsorte "Ich habe Folgendes erlebt und daraus lassen sich folgende Schlüsse ziehen" als intellektuell und logisch in sich konsistentes Werk gilt. Dass es im Moment so ist, hat sicher auch mit dem Zeitgeist zu tun, in dem wir gerade leben, in dem Emotionen gleichwertig betrachtet werden mit Argumenten. Dieses "Ich fühle mich verletzt, deswegen war es verletzend" ist ein Zirkelschluss, der mittlerweile Instagram-Kalenderspruch-Wertigkeit hat und unwidersprochen im Raum stehen gelassen wird. Man kann nicht eine Personengruppe mit einer individuellen Geschichte repräsentieren, auch wenn das bei den Sachbüchern, die sich sehr gut verkaufen, immer wieder so impliziert wird. Gegenwärtig herrscht eine gewisse Angst davor, Ambivalenzen zu erzählen. Das resultiert aus der Angst, Verantwortung für eine gesamte Personengruppe übernehmen zu müssen. Zu sagen, die bisexuelle Nola spricht für alle bisexuelle Personen, ist natürlich Quatsch. Nola ist wie ihre Freunde in dieser Serie bekloppt, und im besten Fall sind diese bekloppten Personen divers.

STANDARD: In Serien ist Ambivalenz eher die Ausnahme. Wie es scheint, ist die klare, unmissverständliche Botschaft ganz wichtig. Werden hier schnelle Konsumbedürfnisse befriedigt?

Passmann: Schneller Konsum rutscht zu sehr in Kulturkritik ab, aber ich weiß, was Sie meinen. In der Buchbranche gibt es seit ein paar Jahren dieses Verkaufsargument, ein Buch, ein Roman sei "sehr wichtig". Seit wann sind denn Romane jetzt wichtig? Das ist nicht weit weg vom Versprechen der Erbaulichkeitsliteratur, wonach man ein Buch lesen muss, um ein besserer Mensch zu werden. Ich finde diesen pädagogischen Zugang in der Kunst wahnsinnig abstoßend. Wenn wir uns aus Angst vor der Dummheit des Lesers oder Zuschauers Ambivalenz verbieten, können wir den Laden gleich dichtmachen. Ich bin überzeugt davon, dass Leute viel mehr Ambivalenz ertragen, als wir in der linksliberalen medienschaffenden Bubble ihnen zugestehen. In "Damaged Goods" gibt es eine Szene, in der Hugo, schwuler Mann, in eine Schwulenbar geht. In die Bar dürfen nur Männer, Hugos beste Freundin Tia will da mit rein, und der Bouncer sagt, du nicht, weil du bist eine Frau. Sagt sie: Entschuldige, hast du gerade mein Gender assumed? Das ist ein Humor, der pädagogisch fragwürdig eingeordnet werden könnte, weil man sich über Gender-Assuming lustig macht. Ist das ein wichtiges Thema? Nein, wenn man Figuren sehen will, die alles immer richtig machen, sollte man ein Sachbuch lesen. Ich möchte diese Momente der Irritationen in Serien unbedingt weiter haben.

STANDARD: Gab es jemanden, den Sie vor sich hatten, als Sie Nola gespielt haben?

Passmann: Was das Spiel angeht, habe ich versucht, mich von Nadia aus "Russian Doll" inspirieren zu lassen, weil sie eine sehr androgyne Körperlichkeit hat, die ich für Nola interessant fand. Natasha Lyonne, die Darstellerin von Nadia, hat als Schauspielerin einen ganz besonderen Zugang, den ich extrem gut finde. Ich bin in meiner Physiognomie sehr weiblich, ich habe große Brüste und all diese Dinge. Eine solche Figur wird im deutschen Film sehr schnell eingeordnet, entweder sie trägt einen Hoodie und versteckt sich, oder sie wird sexbombig. Ich hatte den großen Drang, Nora eine geschlechtslose Coolness zu geben, eine Lässigkeit, die weder mit der Sexualität spielt noch sie negiert. Auf der inhaltlichen Ebene bin ich weiterhin sehr fasziniert von der Arbeit Lena Dunhams, die in "Girls" ihre Hannah noch viel näher an sich angelegt hat. Mich beeindruckt bis heute diese Schmerzfreiheit, mit der sie sich selbst erbarmungslos in Grund und Boden spielt, und wie sie erträgt, dass Leute annehmen, sie sei wie Hannah aus "Girls". Das war für mich während der Dreharbeiten eine ständige Inspiration – nicht in Eitelkeit zu verfallen, sondern sich für die Rolle aufzuopfern. Das war mein Ziel, und diese beiden Frauen haben mir dabei geholfen.

STANDARD: Comedy hat in Deutschland im Moment einen ganz guten Lauf.

Passmann: Ja.

STANDARD: Woran liegt das? Weil die Zeiten nicht mehr so lustig sind, werden jetzt plötzlich Deutsche lustig?

Passmann: Und weil die Österreicher nicht mehr so lustig sind, oder wie?

STANDARD: Ja, wahrscheinlich.

Passmann: Ich glaube, wir haben hier endlich Leute, die Geld in die Hand nehmen und produzieren. Es gibt derzeit viele Streamer, die um eine Monopolmacht kämpfen, das kommt den Filmschaffenden zugute. "Damaged Goods" läuft auf Prime Video, und es ist wirklich nicht so, dass ich mein Herz an Prime Video verloren hätte, aber wenn man sich anschaut, was die in diesem Jahr und im nächsten Jahr an Eigenproduktionen auf den Markt bringen, steckt da eine immense Menge Geld. Das sorgt dafür, dass eine Infrastruktur aus jungen Leuten entsteht, die sich ausprobieren und womöglich sogar davon leben können.

STANDARD: Wie gehen Sie mit Kritiken um? Was wäre, wenn es für "Damaged Goods" nicht so tolle Kritiken gäbe?

Passmann: Ich kenne im deutschsprachigen Raum ungefähr zwei Serienkritiker, deren Urteil mich tatsächlich anfassen würde, weil ich sie für kompetent halte. Darüber hinaus kann gerne jeder schreiben, was er möchte. Es gibt Produkte und Situationen, wo ich genauer auf Kritik schaue, weil ich mir selbst nicht sicher bin, wie ich das finde. Aber hinter dieser Serie stehe ich, weil sie sehr genau weiß, was sie sein will, und zwar etwas, das nicht genuin in den deutschsprachigen Serienmarkt passt. Das wird deswegen natürlich dazu führen, dass Leute sagen, die ist zu laut, die ist zu nervig. Aber irgendjemand muss halt damit anfangen, nicht US-amerikanische Serien zu imitieren, sondern einfach etwas zu erzählen, das vielleicht in seiner Dösigkeit und Ironie auch nach München passt. Ich habe bereits so ziemlich alles Gemeine über mich gelesen, was man an Gemeinheiten lesen kann, und halte mich da ehrlich gesagt an den großen Benjamin von Stuckrad-Barre, der sagt, ich habe keine Angst vor Kritik, weil alles Gemeine, was man über mich sagen kann, habe ich über mich selbst schon gesagt.

STANDARD: Wer sind die zwei großen Kritiker?

Passmann: Ich nenne keine Namen.

STANDARD: Inwiefern war beim Dreh #MeToo am Filmset ein Thema?

Passmann: Wir sind mit Sicherheit nicht repräsentativ für den deutschen Filmmarkt, weil wir wirklich auf absoluter Augenhöhe waren und beim Drehen so etwas wie Angstfreiheit herrschte. In der Serie geht es viel um Sex, weshalb wir uns rein inhaltlich mit dem Thema praktisch ständig auseinandersetzten. Das ist mit Sicherheit anders als bei einem "Tatort", ohne dass ich wüsste, wie es da ist.

STANDARD: Wo sehen Sie Nola in zehn Jahren?

Passmann: Ich glaube, Nola ist viel weniger außergewöhnlich, als sie sich selber sieht. Vielleicht ist sie Mutter dreier Kinder und erinnert sich öfter daran, wie crazy sie früher war.

STANDARD: Was kommt als Nächstes?

Passmann: Einmal drei Wochen schlafen und danach ein neues Buch. (Doris Priesching, 7.7.2022)