Die Hände zeigen das Wort Bildung – Gehörlose müssen dabei noch immer mit vielen Vorurteilen kämpfen.

Foto: Christine Miess

Monika Haider hat sich lange damit auseinandergesetzt, wie sie das von ihr gegründete Unternehmen weitergeben möchte.

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Nach 18 Jahren hat Monika Haider das von ihr gegründete Gehörlosenschulungszentrum Equalizent Anfang Juli an ihre Nachfolgerin Marietta Adlbrecht übergeben. Freude, aber auch Wehmut begleitete die Übergabe. Den Entschluss dazu fasste sie vor fünf Jahren. Rückblickend ist sie stolz, dass es Equalizent gelungen ist, neue Berufsmöglichkeiten für Gehörlose zu schaffen und Bildungsangebote in Gebärdensprache vorangetrieben zu haben.

STANDARD: 2004 haben Sie das Schulungs- und Beratungszentrum Equalizent gegründet. Was gab den Anstoß dazu?

Haider: Die Initialzündung für die Gründung von Equalizent kam aus einer eigenen Betroffenheit heraus. Während meines Studiums an der Sozialakademie begann ich am Gehörloseninstitut in Wien zu unterrichten. Dort war in den 1990er-Jahren die Gebärdensprache verboten, Lehrkräfte mussten die Gebärdensprache auch nicht können. Im Gegenteil: Schülerinnen und Schüler mussten im Unterricht auf ihren Händen sitzen, um ja keine Gebärden zu verwenden. Gebärdensprache war im pädagogischen Betrieb nicht als Kommunikationsmittel vorgesehen. Das hat dazu geführt, dass Gehörlose einen außergewöhnlich schlechten Bildungshintergrund haben. 2004 waren 70 Prozent der Gehörlosen in Hilfstätigkeiten, 30 Prozent hatten eine Ausbildung, die am Arbeitsmarkt vorbeigeschrammt ist. Dieser erschreckende Bildungshintergrund hat dazu geführt, dass ich mir als Pädagogin und später als Sozialmanagerin und auch Leiterin des Integrationsbüros gedacht habe, da muss man etwas tun. Als dann ein großes Schulungsunternehmen 2004 seine Gebärdensprachkurse auslagern wollte, hatte ich die Idee, diese Auslagerung zu übernehmen. Das war die Gründung von Equalizent.

STANDARD: Zwischen Ihrem ersten Kontakt mit Gehörlosen und der Gründung von Equalizent liegen knapp 15 Jahre. Wie war das Umfeld im Gründungsjahr?

Haider: Gehörlose galten zu diesem Zeitpunkt als äußerst schwierig, man hat ihre Mails und Texte nicht verstanden, weil sie in Glossen der Gebärdensprache geschrieben sind. Damit war der Inhalt für Hörende nicht klar, und Gehörlose wurden als bildungsunfähig eingestuft. Doch um Bildung aufzubauen, muss man in einer Sprache zu Hause sein. Bei Gehörlosen ist das die Gebärdensprache. Ich konnte von Beginn weg das Sozialministerium davon überzeugen, dass ein Schulungszentrum in Gebärdensprache notwendig ist. 2004 haben wir mit sieben gehörlosen Trainerinnen, die von mir in Pädagogik unterrichtet wurden, gestartet. Mir war klar, dass es gehörlose Role-Models braucht. Damals, am Gehörloseninstitut, war Lotte, die Putzfrau, die einzige Gehörlose. Mit ihr haben die Kinder im Garten kommuniziert, sie hat den Kindern gesagt, was sie machen dürfen und was nicht. Wenn ein hörender Lehrer das versucht hat, haben sich die Kinder einfach weggedreht und sind gegangen. Das war für mich so ein Aha-Erlebnis.

STANDARD: Der Umgang mit Minderheiten hat sich in den vergangenen 30 Jahren auch gewandelt ...

Haider: Ja, das Mindset gegenüber Minderheiten hat sich verändert. Damals mussten sich Minderheiten assimilieren, sich an die Mehrheitsgesellschaft anpassen. Das war genau der Grund, weshalb man gesagt hat: Niemand spricht Gebärdensprache, wenn Gehörlose in eine Gesellschaft integriert werden sollen, müssen sie sprechen lernen. Sie sind zwar gehörlos, haben aber ihre Sprechwerkzeuge. Gehörlose hatten zehn Stunden Logopädie, um dann die Worte halbwegs aussprechen zu können, man merkt aber immer, dass jemand gehörlos ist, die Stimme ist immer anders. Bis letztes Jahr mussten Pädagogen, die Gehörlose unterrichten, nicht unbedingt Gebärdensprache beherrschen. Mittlerweile gibt es auch an den Hochschulen viele Angebote in Gebärdensprache.

STANDARD: Wenn Sie heute zurückschauen auf 18 Jahre Equalizent, was waren Ihre Highlights, worauf sind Sie besonders stolz?

Haider: Wir haben die ersten Aufklärungsunterlagen in Gebärdensprache gemacht, damit haben wir auch Gebärden für bestimmte Begriffe entwickelt. Das ist das aktuellste Highlight. Um die Finanzierung aufzustellen, habe ich lange kämpfen müssen. Stolz bin ich auch auf die Ausstellung Hands Up – Erlebnis Stille in der Freyung in Wien. Dort kann man mit einem gehörlosen Guide vier Räume besuchen und selber sehr viel über seinen eigenen Körper, seine Mimik, seine Ausdrucksfähigkeit erfahren, aber auch, wie Gehörlose leben, wie sie Musik empfinden. Klassik beispielsweise spürt man gar nicht. Es ist sehr lustvoll, und in einer Stunde verliert man jegliche Berührungsangst im Umgang mit Gehörlosen. Wir haben in den vergangenen Jahren auch viele Berufe für Gehörlose geöffnet – von der Pflegeassistenz über Familienhilfe bis hin zur Elementarpädagogik. Da war viel Aufklärungsarbeit notwendig, es sind ja auch politische Schritte dafür erforderlich. Und natürlich bin ich auch stolz, dass wir das führende Kompetenzzentrum für Gehörlose in Europa sind und der größte Bildungsanbieter in Gebärdensprache.

STANDARD: Wie schwierig war die Übergabe?

Haider: Abgeben muss man auch können. Vor fünf Jahren hab ich mir überlegt, wie möchte ich, dass meine Firma erhalten bleibt? Und wie kann Equalizent von mir unabhängig werden, damit ich es auch übergeben kann? Diese Unabhängigkeit hab ich gesehen, indem ich das Wissen standardisiere und zusammentrage, digitalisiere und ein Social Franchise daraus mache – das gibt es so nicht. Dadurch ist auch eine Umstrukturierung passiert. Aus Equalizent Wien wird der Pilotbetrieb, und ich bin in der Zentrale darüber. Dort werden die Franchisenehmer gefunden und unterstützt. Somit ist es eine gute Übergabe, und ich kann trotzdem schauen, wie es läuft. Vor zwei Jahren hätte noch jeder gesagt: 'Ohne Monika Haider gibt es das Equalizent nicht.' Daran zu arbeiten, sich selbst rausnehmen zu können und das Ganze zu erhalten, das war die Leistung der vergangenen fünf Jahre. Es ist eine Mischung aus Wehmut und Freude, zu sehen, dass es auch ohne mich leben kann, aber eine gute Basis zum Loslassen. Jetzt freu ich mich, dass ich keinen 60-Stunden-Job mehr hab und mich ausschließlich auf das Social-Franchise-Projekt konzentrieren kann. (Gudrun Ostermann, 18.7.2022)