Nach gut zwei Jahren werfen wir Pandemiegeeichte nicht nur mit wissenschaftlichen Fachausdrücken und medizinischen Neuheiten um uns – jedes fünfjährige Kid hat heutzutage mRNA und Long Covid drauf –, wir haben auch neue Formulierungen gefunden. Wie genau sie sich verbreiten, wer damit anfängt und warum, bewusst oder unbewusst, ist nicht klar. Nur dass es passiert. Und das ist spannend.

Her mit der Impfung!
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Zum Beispiel: Heutzutage "holt" man sich eine Impfung. Soundso viel Prozent – nicht genügend jedenfalls – der über 65-Jährigen haben sich bereits "den vierten Stich geholt", heißt es sprachlich recht einmütig in den Medien.

Früher, da holte man sich doch höchstens einen Sonnenstich!? Da ging man zur Impfung und ließ sich impfen. Man wurde geimpft, und danach war man geimpft. Ein bisschen so wie bei der Taufe. Täufling und Impfling, danach getauft und geimpft. Amen.

Es darf angenommen werden, dass der sprachliche Kontrast zu den braven Bäh-Lämmern von früher genau so intendiert ist: Mit uns macht man nichts, wir lassen uns nichts! Wir gehen aus freien Stücken hin und holen uns das. Her mit der Impfung!

Schön wär’s. Sprachlich mag die Impfung, zumal nach dem Fall der verunglückten Impfpflicht, noch so sehr als Akt des freien Willens gefeiert werden. Für die Belakowitschs dieser Welt bleibt sie die Unterwerfung unter die Knechtschaft der bösen Mächte. Sprache formt vielleicht Bewusstsein, aber nicht das aller. (Gudrun Harrer, 6.7.2022)