Die Kriegstragödie in der Ukraine beherrschte zwei Tage das beschauliche Lugano im Süden der Schweiz: Wie soll das in weiten Teilen völlig zerstörte osteuropäische Land wiederaufgebaut werden? Wann können die Arbeiten beginnen? Wer soll das bezahlen?

Das offizielle Gruppenfoto zum Abschluss der Ukraine Recovery Conference URC.
Foto: MICHAEL BUHOLZER / KEYSTONE / AFP

Am Dienstag einigten sich Delegationen aus dutzenden Ländern und Hilfsorganisationen auf die Erklärung von Lugano: Sieben Prinzipien für den Wiederaufbau, von Kampf gegen Korruption, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie bis hin zu einer ökologischen Ausrichtung der Wirtschaft.

Die Neue Zürcher Zeitung beurteilte die erste internationale Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine dennoch nüchtern: "Sie ist ein wichtiger Mosaikstein, um dem Land und seiner Bevölkerung Hoffnung zu geben." Da hatte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen längst die Bedeutung der Konferenz relativiert. Die EU werde Ende des Sommers eine hochrangige Konferenz einberufen, teilte sie Montag mit. War Lugano also nur eine Art Warmlaufen für Wichtigeres?

Schäden spekulativ

Zudem tauchte immer wieder die Frage nach dem Zeitpunkt auf: Die Konferenz war vor Beginn des Krieges geplant worden, einst sollte es um Reformen gehen. Als einer der eifrigsten Kritiker des Treffens präsentierte sich der Präsident der Schweizerischen Volkspartei Marco Chiesa. Der Außenpolitiker bemängelte, dass am Ufer des Luganer Sees von Wiederaufbau gesprochen werde: "Doch der Krieg läuft noch." Die Konferenz sei "ein bisschen naiv".

Völlig unklar bleibt, wie lange Wladimir Putins Aggression anhält, wie viel Territorium er sich einverleibt und welche verheerten Gebiete unter Kiews Kontrolle bleiben werden. Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sind in den Regionen, aus denen die Russen wieder abgezogen sind, zehntausende Häuser zerstört. Wie viel wird noch zertrümmert?

750 Milliarden Dollar

Vor diesem blutigen Hintergrund erschienen viele Aussagen als reine Spekulation. Zum Beispiel die Schätzung des ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal, der die Kosten des Wiederaufbaus auf 750 Milliarden Dollar taxierte. Immerhin machte der Mann aus Kiew einen Vorschlag, von wem die Milliarden stammen sollen: Er will die eingefrorenen Gelder russischer Oligarchen für sein Land verwenden.

Auch der Chef des UN-Entwicklungsprogramms Achim Steiner machte sich Gedanken über die Finanzierung: "Es kann über Resolutionen der Vereinten Nationen ein Fonds etabliert werden", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Wie die Zukunft des geschundenen Landes konkret aussehen könnte, skizzierte das Ministerium für digitale Transformation der Ukraine. Es stellte eine "internationale Initiative für die schnelle Erholung und Entwicklung der Ukraine durch Innovation und Digitalisierung" vor: Digital4Freedom. Nach Angaben der Ukrainer wirken globale Tech-Unternehmen wie Microsoft, Apple und Google mit. Die Ukraine solle das "freieste und digitalste Land der Welt werden". (Jan Dirk Herbermann, 5.7.2022)