Illustration: Fatih Aydogdu

In Küchen und rund um Obstkörbe nimmt man sie hauptsächlich als Plagegeister wahr. In der Forschung genießt die Frucht- oder Taufliege (Gattung Drosophila) jedoch gänzlich anderes Ansehen. Hier wird insbesondere die Art Drosophila melanogaster seit 1907 als gefragtes Versuchstier eingesetzt. Eine ganze Reihe von Eigenschaften macht die rund zwei Millimeter großen Fliegen für die Wissenschaft attraktiv: Zuerst einmal sind sie einfach und mit geringen Kosten zu halten. Dazu vermehren sie sich rasch und zahlreich: Unter optimalen Bedingungen legt ein Weibchen bis zu hundert Eier am Tag, die für ihre vollständige Entwicklung etwa zehn Tage brauchen.

Auch beherbergen die Zellen von Drosophila nur vier Chromosomenpaare, obwohl sie sehr viele Gene aufweisen, die auch beim Menschen vorkommen. Zum Vergleich: Mäuse, ebenfalls beliebte Labortiere, haben 40 und Menschen 46 Chromosomenpaare, was genetische Untersuchungen deutlich aufwendiger macht. Das Erbgut von Drosophila war im Jahr 2000 auch eines der ersten, die vollständig entschlüsselt wurden. Die meisten Forschenden verwenden die Fliegen für die Klärung sehr spezifischer Fragestellungen, etwa zur Genetik von Krankheiten.

Veränderte Umweltbedingungen

Christian Schlötterer vom Institut für Populationsgenetik der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmed) und seine Gruppe gehen einen anderen Weg: Seit rund zehn Jahren "spielen wir ein bisschen Natur und schauen, was passiert, wenn sich die Umwelt ändert", sagt der Forscher. Dafür verwendet das Team eine nahe Verwandte von Drosophila melanogaster, nämlich Drosophila simulans, und zwar Wildfänge aus Florida und deren Nachkommen. Diese bringen sie insofern in eine veränderte Umwelt, als sie sie unter anderem starker Hitze aussetzen.

Davor und danach untersuchen sie das Erbgut der Tiere und stellen Veränderungen fest. Dabei machten die Forscher vor wenigen Jahren eine Entdeckung, die sie selbst überraschte: Sie fanden in Drosophila simulans ein Stück DNA, das es bis vor kurzem in dieser Art nicht gegeben hatte: das sogenannte P-Element. Es gehört zu den Transposons, auch springende Gene genannt.

Springende Gene als Gefahr

Manche der Transposons stammen von Viren ab und verhalten sich auch ähnlich: Sie dringen in einen Organismus ein, bauen sich in dessen Erbgut ein und vervielfältigen sich. Dabei besetzen sie immer wieder andere Stellen der Wirts-DNA, "springen" also. Im Zuge dessen können sie im schlimmsten Fall funktionierende Gene schädigen: So kann das P-Element unter bestimmten Umständen zu sterilem Nachwuchs führen. Der Wirt reagiert darauf, indem er im Lauf der Zeit spezielle RNAs produziert, die dem Treiben der Transposons schließlich Einhalt gebieten, denn "wenn sie nicht mehr springen können, sind ihre Tage gezählt", erklärt Schlötterer.

Während sich das P-Element seit den 1950er-Jahren in Drosophila-melanogaster-Populationen auf der ganzen Welt verbreitet hat, galt Drosophila simulans bis vor kurzem als frei davon – bis Schlötterers Team das springende Gen in Exemplaren aus Südafrika und Florida fand. Das Team geht davon aus, dass die Übertragung von Drosophila melanogaster auf Drosophila simulans nur ein einziges Mal und eventuell durch Parasiten erfolgt ist. Dessen ungeachtet hat sich das P-Element in den letzten fünf Jahren bereits deutlich ausgebreitet, die Vetmed-Gruppe ist quasi live dabei.

Bei hohen Temperaturen funktionieren

"Wir haben hier die einzigartige Möglichkeit zu beobachten, wie Transposons überleben und wie sie reguliert werden", sagt Schlötterer. Übrigens sind springende Gene weder selten noch auf Drosophila beschränkt: Vielmehr machen sie rund 60 Prozent auch des menschlichen Genoms aus. Die Haltung der Fliegen bei hohen Temperaturen erbrachte eine weitere Erkenntnis: Männchen und Weibchen funktionieren jeweils ganz anders. Zwar wollen beide Geschlechter ein physiologisches Gleichgewicht halten beziehungsweise erzeugen, das ein klagloses Funktionieren der Körperfunktionen gewährleistet, doch wird diese sogenannte Homöostase bei Männchen und Weibchen auf unterschiedlichem Weg erreicht.

Wie Schlötterer am Beispiel der Signalübertragung zwischen den Zellen ausführt, verändert sich bei überhitzten Männchen die Dopaminproduktion, während bei Weibchen die Produktion des Neurotransmitters Octopamin angepasst wird. Tatsächlich ist fast jedes Gen bei Männchen und Weibchen unterschiedlich exprimiert, betont Schlötterer, und das, obwohl beide Geschlechter die gleichen Gene haben und diese noch dazu bei jeder Paarung neu gemischt werden. Unter diesen Umständen sollte man annehmen, dass die Anpassung an neue Verhältnisse sehr lang dauert, was sich jedoch nicht bestätigt hat.

Genetische Anpassung an Hitze

Innerhalb von rund hundert Generationen waren beide Geschlechter auf ihre ganz eigene Weise imstande, ihren Stoffwechsel auch bei erhöhten Temperaturen im Gleichgewicht zu halten. Möglich wird das Schlötterer zufolge durch eine schon seit langem bestehende Gen-Architektur: Manche Transkriptionsfaktoren, die die Aktivität anderer Gene regulieren, weisen geschlechtsspezifische Aktivität auf, und erst diese Hierarchie ermöglicht die verhältnismäßig rasche Adaption an neue Lebensumstände. Auch andere Faktoren ändern sich unter heißen Bedingungen, wie etwa der Fettstoffwechsel der Fliegen.

Das kann dazu führen, dass die Tiere anders riechen, was bei der Fortpflanzung zu mangelnder Begeisterung von Individuen führen kann, die nicht dieselbe Art von Anpassung durchlaufen haben. Auf diese Weise können Unvereinbarkeiten entstehen, die letztendlich sogar in der Entstehung neuer Arten gipfeln könnten. Das wäre dann schon wieder eine erstaunliche neue Erkenntnis mithilfe von Drosophila. (Susanne Strnadl, 15.7.2022)