US-Jazzpianist Bill Evans (re.) versöhnte Zugänglichkeit mit Tiefsinn auf sehr individuelle Art und Weise.

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Der düstere Innovator erinnert sich an den fragilen Kollegen: "Bill hatte dieses leise Feuer, das ich am Klavier liebte. Die Art und Weise, wie er sich dem Instrument näherte, der spezielle Sound, den Bill herauszauberte: Es war, als wären die Noten aus Kristall", schwärmte Miles Davis. Gemeint war Bill Evans. Ende der 1950er hatte der Pianist mit dem Trompeter zusammengearbeitet und Geschichtsträchtiges mitgestaltet.

Auf der legendären Aufnahme Kind of Blue findet sich auch das Stück Blue in Green, das in seiner abstrakten, schwebenden Poesie zweifellos Bill Evans als komponierenden Urheber vermuten lässt, auch wenn die rätselhafte Komposition zu einem Klassiker wurde, den Miles sich selbst zuordnete. Evans beanspruchte bei Blue in Green später tatsächlich die Autorenschaft für sich; hätte Tantiemen gebracht. Längst war er allerdings mit seiner lyrischen Stilistik zum stilprägenden Jazzpianisten geworden.

Nicht nur cool

Wer sich nun You Must Believe in Spring, die wiederveröffentlichte letzte Studioaufnahme des US-Pianisten von 1977, gönnt, wird jene in Blue in Green gebündelte Sanftheit jedenfalls leicht in Evans Improvisationen erkennen. Man hört auch: Evans introspektiver Stil war nicht wirklich Cool Jazz im Sinne einer "unterkühlt" intellektuellen Auffassung von Improvisation, wie sie beim Pianisten Lennie Tristano ihnen Höhepunkt erlebt hatte. "Es nervt mich, wenn Leute versuchen, Jazz als intellektuelles Theorem zu analysieren. Ist es aber nicht. Es ist Gefühl", sind diesbezüglich markante Evans-Sätze, die allerdings nicht zu falschen Schlüssen verleiten sollten.

Immer im Trio

Evans war ein wacher Intellekt im romantischen Schwebezustand auf der Suche nach der essenziellen Spontanaussage. Hier, im Trio (seiner bevorzugten Besetzung) mit Bassist Eddie Gomez und Schlagzeuger Eliot Zigmund, hat seine Zugänglichkeit nichts Plattes oder Indifferentes, wie es bei routinierten Barpianisten vorkommen mag.

Evans wirkt wie der subtile Instrumentalist, dessen harmonisches Verständnis ihn zum Verwandten der Impressionisten Claude Debussy und Maurice Ravel macht. Evans Melodik, mit ihrer strahlenden Klarheit und Linearität, zeigt wiederum Nähe zu Vater Bach, den er als klassisch ausgebildeter Pianist tief "inhaliert" hatte.

Auch in Stücken wie B Minor Waltz (For Ellaine) ist Evans der gleichsam fühlende Intellekt, der sich keine Belanglosigkeiten erlaubt, vielmehr Substanz in der Emotion sucht. Seinen Stil, der sich nach und nach herausgebildet hat, kann als musikalisches Spiegelbild einer schüchternen Person gelten. Die Mitmusiker nannten Evans "das Phantom". Außerhalb der musikalischen Kommunikation habe es ja wenig Austausch gegeben, hieß es. Außer man musste bei Tourneen auf verspätete Flieger warten.

Großer Einfluss

Der 1929 in Plainfield, New Jersey, geborene Evans (er hatte einen walisisch-russischen Hintergrund) faszinierte nicht nur Pianisten. Sein Einfluss schimmert auch bei Keith Jarrett, Michel Petrucciani, Fred Hersh oder Star Brad Mehldau durch. Der stilprägende Gitarrist Jim Hall oder Vibrafonist Gary Burton klingen wie Stilbrüder, und sogar die Klassik fing Feuer: Bei der Aufnahme Conversations with Bill Evans spielt der französische Pianist Jean-Yves Thibaudet Transkriptionen von Evans-Soli, als wären es klassische Stücke. Und tatsächlich konnten sie als solche bestehen, wobei Evans auch ein großer Komponist von Miniaturen war.

Selbst Starpianist Igor Levit war dieser Meinung: Er spielt schon mal Bill Evans Peace Piece, eine sehr bekannte spontane Meditation, die schließlich zur Komposition wurde. Auf der Aufnahme You Must Believe in Spring, die erst 1981, fünf Monate nach dem Tod von Evans, veröffentlicht wurde, ist das Stück nicht vertreten. Die elegische Friedfertigkeit findet sich aber auch in Kompositionen wie We Will Meet Again, die Evans seinem Bruder Harry gewidmet hat, der Suizid beging.

Das "Wie" zählt

Erstaunlich: Evans’ Solo ist heiter, die Finger tänzeln durch die Harmonielandschaft, und die Schwermut scheint zu lächeln. Rätselhaft schön klingt das, der Verlustschmerz wirkt versteckt hinter diesem Spiel, das seine Tiefgründigkeit so geheimnisvoll leicht einherschweben lassen konnte. "Jazz ist kein Was, es ist ein Wie", sagte Bill Evans einmal. Stimmt. Das "Was" waren ihm die immer gleichen Songs; das "Wie" war das Wesentliche – Evans’ Individualität. (Ljubiša Tošic, 6.7.2022)