Wer häufiger mit dem Zug oder mit dem Rad unterwegs ist, soll dafür Belohnungen erhalten, so die Idee der ÖkoToken.

Foto: Alpenverein / Simon Schöpf

Es klingt wie ein Spiel, hat aber reale Konsequenzen. Bürgerinnen und Bürger in Bologna, Italien, können bald täglich Punkte sammeln: wenn sie den Bus oder die Straßenbahn nehmen, anstatt ins Privatauto zu steigen, wenn sie den Müll richtig trennen, wenn sie mit Energie sparsam umgehen, die Verkehrsregeln einhalten oder ihre Gebühren pünktlich bezahlen. Wer viele Punkte sammelt, kann diese wieder für Öffi-Tickets oder für Konzert- und Theaterkarten einlösen.

"Smart Citizen Wallet" nennt die Stadt das Instrument, das ab Herbst eingeführt werden soll. Dafür benötigen Bürgerinnen und Bürger eine App, die Teilnahme sei jedoch vollkommen freiwillig, betont die Stadtregierung. Das Ziel: "City User", wie die Projektplaner die Bewohner der Stadt nennen, für ihr verantwortungsvolles Verhalten zu belohnen und gleichzeitig den Umwelt- und Klimaschutz voranzutreiben.

Auch in Bayern und Wien

Ähnliche Konzepte sind auch in anderen Ländern und Städten geplant. In Bayern plant die Regierung einen Öko-Token, der ähnlich funktionieren könnte wie die italienische Smart Citizen Wallet. Wer die dazugehörige App herunterlädt und nachweislich mit Bus oder Zug unterwegs ist, kann künftig Ökopunkte sammeln und darf bei einer bestimmten Punkteanzahl gratis zu einer Ausstellung oder zu einem Konzert, so die Idee.

Und auch in Wien wird mit dem sogenannten Kultur-Token experimentiert. Dabei misst laut Stadt Wien eine App mittels Motion-Tracking, welche Wege der Nutzer oder die Nutzerin zurücklegt und erkennt automatisch, ob man zu Fuß geht, mit dem Rad fährt oder öffentliche Verkehrsmittel benutzt. Die Token, die man dafür bekommt, lassen sich dann ebenfalls für kulturelle Veranstaltungen einlösen. In einer ersten Testphase konnten tausend Personen die App bereits nutzen. Corona-bedingt wurde der Test jedoch vorübergehend unterbrochen.

Schubser zum Klimaschutz

In der Fachwelt sind Maßnahmen dieser Art als Nudging bekannt, was übersetzt stupsen oder schubsen bedeutet. Die Idee: Menschen durch kleine Anreize zu klimafreundlichem Handeln zu bewegen. Darunter fällt etwa, klimafreundliche Lebensmittel im Supermarkt auf Augenhöhe zu platzieren, die Stromversorgung in Haushalten standardmäßig auf Erneuerbare einzustellen oder Menschen mit einer internen Währung wie etwa Token zu klimafreundlichem Verhalten zu bringen.

"Öko-Token sind eine durchaus nützliche Idee", sagt Tobias Brosch, Entscheidungspsychologe an der Universität Genf in der Schweiz, im Gespräch mit dem STANDARD. Denn klimafreundliches Verhalten werde immer noch häufig mit Verzicht assoziiert: Weniger Fliegen, weniger Fleisch essen, weniger Energie verbrauchen. Würden Menschen, denen es normalerweise schwerer fällt, sich klimafreundlich zu verhalten, Token als direkte kleine Belohnungen dafür erhalten, könne das eine zusätzliche Motivation sein. "Ich sehe dann womöglich auch, dass ich nicht der Einzige bin, der sich für das Klima einsetzt, und dass Klimaschutz gesellschaftlich erwünscht ist."

Vergleich mit China

Einige vehementen Kritikerinnen und Kritikern sehen das anders. Geht es nach ihnen, sollten Instrumente dieser Art lieber gleich gestoppt werden. Sie sehen in den Öko-Token bereits die Vorstufe für eine Orwell'sche Intervention des Staates, bei der bürgerliche Freiheiten eingeschränkt, Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und Daten ausgeforscht werden.

In Bayern fühlt sich die AfD-Landtagsfraktion durch die geplanten Öko-Token etwa an Chinas Sozialkreditsystem erinnert. Der Öko-Token sei ein "staatliches System zur Verhaltenskontrolle", hieß es vor wenigen Wochen seitens der Fraktion. Und auch in Österreich warnte die FPÖ vor wenigen Wochen vor dem Sozialkreditsystem aus Bologna, das sich in Österreich bereits in Form der Kultur-Token zeige. Dies sei "der bis dato größte Eingriff der Globalisten in die Lebensweise der Bürger". Die chinesische Methode der totalen Kontrolle schwappe endgültig nach Europa. Und: "Wann kommt die Bestrafung für die 'Abweichler'?"

Ganz fair ist der Vergleich allerdings nicht. Denn das chinesische Sozialkreditsystem sitzt im Vergleich zu den geplanten europäischen Öko-Token auf einer gänzlich anderen Basis. Dort fließen seit 2014 in einigen Testregionen Daten aus Videoüberwachungsaufnahmen, GPS-Daten, Sprachaufnahmen, Chatverläufen und amtlichen Daten in einer zentralen Stelle zusammen, wo sie von einem staatlichen programmierten Algorithmus ausgewertet werden. Wer sich ordnungsgemäß und wohlwollend verhält, erhält Pluspunkte und leichteren Zugang zu Krediten und Visa. Wer zu viele Minuspunkte anhäuft, hat Sanktionen in Form von Steuererhöhungen und Reisebeschränkungen zu befürchten.

Teilnahme freiwillig

Sowohl bei der Smart Citizen Wallet in Bologna als auch den Öko-Token in Bayern und den Kultur-Token in Wien soll die Teilnehme jedoch freiwillig sein, betonen die Behörden. Man sei davon überzeugt, dass auch so viele Leute daran teilnehmen werden. Sanktionen wie in China soll es keine geben, stattdessen soll nur klimafreundliches Verhalten belohnt werden. Daten sollen nicht zentral gespeichert werden, und es soll auch kein Token-Register geben. Stattdessen werde beispielsweise die Information, welcher Nutzer wo eine Strecke mit dem Zug oder zu Fuß zurückgelegt hat, nur lokal auf dem Smartphone gespeichert.

Bei der Übertragung einzelner Daten und der Generierung von Tickets könnte wiederum die Blockchain-Technologie zum Einsatz kommen, bei der die Daten der Nutzerinnen und Nutzer dezentral gespeichert werden. Nutzerinnen und Nutzer können zudem jederzeit die App deinstallieren und haben ein Recht auf Löschung ihrer Daten, heißt es von der Stadt Wien.

"Ich sehe in den Öko-Token keine Einschränkung der Freiheit", sagt Brosch. Die Teilnahme sei immerhin freiwillig, und es gebe keine Sanktionen bei Nichtteilnahme. Die Kritik einiger rechter Parteien betrachte er eher als reaktionär. Das einzige Risiko, das es bei den Öko-Token geben könnte, sei, dass die intrinsische Motivation, etwas für den Klimaschutz zu tun, leiden könnte, wenn man sich sein eigenes Verhalten dann dadurch erklärt, dass man es "nur" für die Belohnungen tut. Da die Belohnungen aber allesamt eher symbolisch sind, halte sich dieses Risiko in Grenzen.

Ausgestaltung noch unklar

Ungeachtet dessen warnen vor allem in Italien einige Datenschützerinnen und Datenschützer vor den Risiken der Smart Citizen Wallet. Bewegungsdaten von Bürgerinnen und Bürger könnten etwa von Hackern eingesehen werden, warnt die Datenschutzvereinigung Federprivacy.

Ohnehin steht derzeit noch nicht genau fest, wie die Token in Italien, Bayern und Wien künftig genau ausgestaltet sein werden. In Bayern werde das Vorhaben derzeit noch geprüft. Wann genau der Öko-Token verfügbar ist, sei derzeit noch unklar, heißt es auf Anfrage des STANDARD aus dem Bayrischen Staatsministerium für Digitales. Erst wenn die Öko-Token tatsächlich verfügbar seien, werde sich zeigen, wie wirkungsvoll und beliebt diese tatsächlich seien, sagt Brosch. (Jakob Pallinger, 11.7.2022)