
Das Ministerium setzt verstärkt auf Quereinsteiger. Unklar bleibt, wie man das Lehramtsstudium attraktivieren will.
Es gab Jahre, da war der Ferienstart, der am Freitag in den westlichen Bundesländern ansteht, schon sorgenfreier. Was Österreichs Schulen im Herbst erwartet, ist auf mehreren Ebenen vor allem eins: unklar. Etwa erfahren Schulleitungen erst am 28. August, welche Corona-Maßnahmen sie die Woche darauf umzusetzen haben. Und dann klafft da noch ein Loch im Lehrerzimmer: In Summe 3.000 Vollzeitlehrerinnen und -lehrer fehlen den Schulen noch für das kommende Schuljahr. Bei diesen trüben Aussichten wollte es Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) aber nicht belassen. Eine Dienstrechtsnovelle soll nun den Lehrermangel abfedern.
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Kurz umrissen: Die Arbeitsbedingungen von Quereinsteigern sollen verbessert werden. Bis dato arbeiteten diese mit befristeten Sonderverträgen und Gehaltsabschlägen – damit soll nun Schluss sein. Auch reichen nun ein fachverwandtes Studium plus drei Jahre Berufspraxis aus, um ins Schulwesen einzusteigen; davor brauchte es ein facheinschlägiges Studium. Dazu soll eine parallel zum Job laufende Ausbildung den Neo-Lehrerinnen das pädagogische Werkzeug vermitteln.
Benötigte Anreize für das Lehramtsstudium sparte der Minister bis dato aus. Und das obwohl, wie er selbst einräumte, Quereinsteigende nur bedingt den Mangel beseitigen. Mit wie vielen Spätberufenen man rechnet, konnte das Ministerium dem STANDARD zuletzt nicht sagen. Fest steht: Bisher sind sechs Prozent aller Lehrer in Sonderverträgen. Auch ihre Verträge können nun angepasst werden. Wie aber lautet das Resümee ihres Quereinstiegs?
Sigrid Dworak: Jeder Tag ist anders, jede Klasse ist anders
Dass viele Handgriffe bei Lehrkräften unsichtbar bleiben, sah Sigrid Dworak bereits bei ihren Freundinnen. Und doch wurde sie eines Besseren belehrt: "Es ist wirklich mehr Arbeit als ich dachte". Exkursionen, Konferenzen, Elterngespräche – eine Sechs-Tage-Woche unterm Schuljahr sei keine Seltenheit, sagt die 44-Jährige. Dennoch halte sich das Vorurteil, dass "Lehrer immer Ferien haben". Ihr Eindruck: Es gleicht sich einfach aus. An Vergleichen mangelt es der studierten Publizistin jedenfalls nicht. Sie baute zuvor Kommunikationsabteilungen auf, war in Fotoredaktionen tätig und begleitete Uni-Absolventinnen beim Berufseinstieg. Die meiste Zeit ihrer Arbeit verbrachte sie in Büros. Mit 40 wollte sie dann aus diesen ausbrechen: "Da kam bei mir der Wunsch, mehr mit Menschen zusammenzuarbeiten."
Sie klopfte bei einer berufsbildenden höheren Schule an und schrieb ihre Kompetenzen nieder. "Ich hab mich so beworben wie in der Privatwirtschaft." Mit Erfolg: Seit vier Jahren unterrichtet sie nun Kulturtouristik, Musik und bildnerische Erziehung. Dass nun auf Quereinsteiger gesetzt wird, sieht Dworak positiv. "Man bringt einen anderen Blick rein und ergänzt sich gegenseitig gut." Eine Plattform, auf der sich interessierte Seiteneinsteiger informieren können, fände sie daher sinnvoll. Sie selbst bereut den Schritt in die Schule nicht: "Ich hab einen Beruf gefunden, bei dem ich mir vorstellen kann, lange zu bleiben."
Raphaela Friedl: Etwas zurückgeben, was man bekommen hat
Vor zwei Tagen erhielt Raphaela Friedl die Bestätigung, dass ihr Vertrag wieder verlängert wurde – ein weiteres Jahr wird sie an einer Mittelschule im zweiten Wiener Bezirk Mathematik, Deutsch und Sport unterrichten. Die Befristung selbst ist für sie nicht dramatisch. "Wir haben ein gutes Verhältnis zu unserer Direktorin", sagt die 26-Jährige. Dass Eltern mit Kindern, die in den Beruf einsteigen, mehr Sicherheit bräuchten, liegt für sie aber auf der Hand. Dazu kommt der Gehaltsabstieg, der oft mit dem Wechsel in das Schulwesen einhergeht.
Das war auch bei Friedl der Fall. Nach ihrem Volkswirtschaftsstudium verschlug es sie in die Unternehmensberatung. Zufrieden machte sie diese Arbeit nicht. "Meine Eltern haben geschuftet, damit ich die Matura machen konnte. Daher wollte ich etwas zurückgeben", sagt Friedl. Sie dockte darauf bei Teach for Austria an, einer Organisation, die Uni-Absolventinnen an Schulen schickt, um dort benachteiligte Kinder zu unterstützen – plus zweijährige Ausbildung. Bis zur vierten Klasse will Friedl jedenfalls noch ihre Schüler begleiten. Und dabei mit einem gesellschaftlichen Mythos aufräumen: "Es heißt oft, dass Kinder an Mittelschulen faul und unerzogen sind. Dabei haben sie so einen Biss, wenn sie die nötige Unterstützung bekommen."
Birgit Rosenauer: Begeisterung für Sprachen an Kinder weitergeben
Am drittletzten Tag vor Ferienbeginn in Oberösterreich erreicht DER STANDARD die Mittelschullehrerin Birgit Rosenauer nicht im Klassenzimmer, sondern auf der Alm in Hinterstoder – der Handyempfang meint es gut. Wandern, Bogenschießen und Picknicken stehen für sie und ihre 23 Schulkinder heute auf dem Programm. Vor ihrem Quereinstieg in die Schule vor sieben Jahren zog es die 38-Jährige in die Weite: "Nach meinem Wirtschaftsstudium und Job in einer Werbeagentur wollte ich unbedingt ins Ausland", sagt Rosenauer. Sie packte die Koffer und startete eine Sprachassistenz in Spanien.
Zurück in Österreich war die Agentur nicht mehr das Richtige. "Ich hatte wenig Ausgleich und erkrankte oft pünktlich zum Urlaubsstart." Ihre Leidenschaft für Sprachen führte sie dann nach Linz in die Mittelschule. Ganz stressfrei sei der Job mit pubertierenden Jugendlichen auch nicht, "aber es ist anders anstrengend". Aktiv sein, Kinder für Sprachen begeistern – in ihrem Fall Englisch – und die Freude bei ihnen sehen kompensiere aber den stressigen Teil. Ob sie den Quereinstieg anderen empfiehlt? "Wem es nicht zu viel ist, den ganzen Tag in Bewegung und Ansprechperson für alle zu sein, auf jeden Fall." Was der Job nämlich auch mit sich bringt: "Es wird nie langweilig!" (Elisa Tomaselli, 7.7.2022)