Investitionen in Atomkraft gelten voraussichtlich ab 2023 in der EU unter gewissen Voraussetzungen als nachhaltig.
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Der nächste Schritt auf dem Weg zum grünen Label für Investitionen in Gas- und Atomkraft ist getan: Das EU-Parlament stimmte am Mittwoch für die von der EU-Kommission vorgelegte Taxonomie. Bei Wissenschaftern, die sich nach der Abstimmung geäußert haben, stößt das auf Unverständnis. Insbesondere bei der Atomenergie gibt es große Sicherheitsbedenken, die nicht so recht ins Bild der Nachhaltigkeit passen wollen.

"Ich halte es nicht für richtig, die Kernenergie als nachhaltig zu labeln, weil sie das aus verschiedenen Gründen nicht ist", sagt Nikolaus Müllner, Stellvertreter des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien. "Die Ressourcen, die verwendet werden, sind endlich. Es fällt radioaktiver Abfall an, wofür es immer noch keine befriedigende Lösung gibt."

Wird die Regelung umgesetzt, was für Anfang 2023 zu erwarten ist, gelten Investitionen in die Bereiche Gas- und Atomkraft unter gewissen Voraussetzungen als klimafreundlich: Sie sollen als "Brückentechnologien" einen Beitrag zum Übergang zur Klimaneutralität Europas zu leisten.

Was den Umgang mit nuklearen Abfällen angeht, gibt es "noch keine befriedigende Lösung", sagt Nikolaus Müller von der Universität für Bodenkultur Wien.
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Ungelöstes Abfallproblem

Auch Jan Peter Schemmel vom Öko-Institut in Berlin äußert sich skeptisch: "Atomkraft kann aufgrund der Gefahr schwerer Unfälle, der Gefahr der Weiterverbreitung von Kernwaffen und der Gefahren beim Umgang mit anfallenden hochradioaktiven Abfällen nicht als nachhaltig angesehen werden. Auch bringen Atomkraftwerke in einem auf Klimaneutralität und damit auf erneuerbare Energien ausgelegten Energiesystem aufgrund ihrer Kostenstruktur und ihrer Trägheit beim Hoch- und Runterfahren ihrer Leistung keinen Mehrwert."

Wie stimulierend die Taxonomie-Entscheidung tatsächlich auf das Volumen künftiger Investitionen in die Kernkraft wirken wird, bleibt zwar abzuwarten. Die Wissenschafter betonen aber den symbolischen Wert der Entscheidung. "Das Signal, das mit der Einbeziehung von Atomkraft in die Taxonomie von der EU in die Welt hinaus gesendet wird, ist angesichts der Risiken der Technologie – wie sie zuletzt auch im Ukraine-Krieg wieder deutlich geworden sind – allerdings fatal", sagt Schemmel.

"Gravierende Fehlentscheidung"

Auch die Klassifizierung von Investitionen in Gaskraftwerke als klimafreundlich sieht Schemmel kritisch: "Die Einbeziehung von Gaskraftwerken in der im delegierten Rechtsakt enthaltenen Form in die EU-Taxonomie stellt nicht sicher, dass diese langfristig klimaneutral betrieben werden. Vielmehr können sie auch nach 2035 noch mit Energieträgern betrieben werden, die nur 70 Prozent Emissionseinsparung gegenüber fossilen Energieträgern darstellen. Dies gilt, wenn die Kraftwerke vor 2030 genehmigt wurden. Damit schafft die Taxonomie einen Anreiz, jetzt noch zügig Gaskraftwerke zu planen, damit sie vor 2030 genehmigt werden, ohne dabei sicherzustellen, dass diese Kraftwerke langfristig klimaneutral betrieben werden."

Erik Gawel, Leiter des Departments Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, sieht in der "die Qualifizierung von bestimmten Investments in Atom- und Gaskraftwerke als nachhaltig eine gravierende Fehlentscheidung und ein völlig falsches Signal für die Nachhaltigkeitstransformation". Für Gawel wären die beiden Hauptziele der Taxonomie, "Markttransparenz über nachhaltige Investments durch ein einheitliches Bewertungsraster herzustellen und so zugleich undurchsichtiges Greenwashing zu vereiteln". Jedoch würden beide diese Ziele verfehlt, befürchtet Gawel.

Dass das Votum politisch motiviert war und nicht auf wissenschaftlichen Überlegungen basiert, steht für Wolfgang Liebert, Leiter des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien, fest. "Die Entscheidung ist schwer nachvollziehbar. Es ist eine sehr dramatische Situation, und man kann nur hoffen, dass die Investoren nicht darauf aufspringen", sagt Liebert. (Tanja Traxler, David Rennert, 6.7.2022)