Der neue Landeshauptmann Christopher Drexler ist noch am Einrichten seines Büros in der Grazer Burg. Vor dem Interview im benachbarten Regierungssitzungszimmer zeigte er seine Umzugskartons her.

Foto: Alexander Danner

Das Landeshauptmann-Büro in der Grazer Burg ist noch mit Umzugsschachteln vollgestellt, der örtliche Wechsel vom Landhaus herauf in die Burg wird noch eine Weile dauern. Erst am Dienstag wurde Drexler angelobt, seither gab es Termine im Minutentakt. Zum Interview lädt Christopher Drexler in das vom riesenhaften steirischen Wandpullover des Künstlers Erwin Wurm dominierte Regierungssitzungszimmer. Was ihn besonders umtreibt: Welche Bilder seinen künftigen Regierungssitz schmücken sollen.

STANDARD: Zu Beginn eine kleine Rückblende in die Bundespolitik: Man kann sagen, Sie waren ein Bewunderer von Sebastian Kurz. In einem Interview im Herbst 2021 nannten Sie Kurz als Kanzlerpersönlichkeit in einem Atemzug mit Bruno Kreisky und Leopold Figl. Was ist Ihre Interpretation für sein Scheitern?

Drexler:(denkt lange nach) Ich habe eigentlich keine, aber ich respektiere, dass er sich aus der Politik zurückgezogen hat. Er ist nicht gescheitert, sondern ausgestiegen. Ich glaube, dass Sebastian Kurz eine der polarisierendsten Figuren in dieser Republik in den letzten Jahrzehnten war. Es wird wahrscheinlich erst die Zeitgeschichte aufarbeiten können, was genau diese Polarisierung auf der einen Seite ausgemacht hat, was auf der anderen Seite dazu geführt hat, dass es letztlich – Stand 2022 – eine kurze Episode in der Geschichte der Zweiten Republik war. Wie gesagt, ich habe keine Interpretation, darüber werde ich dann in meiner Pension nachdenken. Tatsache ist, die ÖVP ist eine der Entwicklung des Landes und seinen Menschen verpflichtete Partei.

STANDARD: Wenn Sie sagen, die ÖVP fühlt sich nur dem Land verpflichtet: Wie passt das mit den Korruptionsermittlungen gegen die Partei und führende Repräsentanten und ehemalige VP-Spitzenpolitiker zusammen?

Drexler: Also wenn es tatsächlich Korruption gibt, ist das abzustellen, zu verfolgen im fairen Verfahren. Die Menschen unterscheiden aber zwischen Vorwürfen, Ermittlungen und Untersuchungen. Die Unschuldsvermutung ist eine zivilisatorische Errungenschaft, und das darf man nicht verniedlichen oder verballhornen aus meiner Sicht.

Ein Opfer für die größere Sache

STANDARD: Ihr Vorgänger Hermann Schützenhöfer hat aber gemeint, dass die ganzen Ermittlungen auch ihren Ursprung in der Opposition haben. Er meinte gar, Kurz sei "bestialisch ausradiert worden". Aber es klingt so, als ob alles instruiert wird. Es klingt dann so, als ob alles nur konstruiert wäre und die Staatsanwaltschaften wegen irgendwelcher konstruierter Vorwürfe ermitteln würden.

Drexler: Na ja, man muss schon auch das Wirken der politischen Mitbewerber dekonstruieren, weil sie die ÖVP in der Gesamtheit sicher nicht stärken wollen. Der gesamte Mitbewerb fokussierte sich auf Sebastian Kurz. Er war eben außerordentlich erfolgreich. Der Moment, wo er als Bundeskanzler zurückgetreten oder zur Seite getreten ist, wie man damals so schön gesagt hat, war natürlich der Moment, wo es um den Erhalt der Bundesregierung gegangen ist. Insofern ist das sozusagen ein Opfer für die größere Sache.

STANDARD: Wird jetzt die Präsidentin des Rechnungshofs, Margit Kraker, die für die ÖVP sehr unangenehme Untersuchungen eingeleitet hat, aus der ÖVP sozusagen verbannt?

Drexler: Wenn ich recht informiert bin, hat sie in dem Moment, als sie zur Rechnungshofpräsidentin gewählt wurde, ihre Parteimitgliedschaft ruhend gestellt. Also insofern könnte überhaupt niemand sie verbannen. Und vor allem, ich kenne Margit Kraker sehr lange, habe sehr lange mit ihr zusammengearbeitet und halte sie für eine untadelige Dienerin des Staates. Was jetzt untersucht wird: Da bin ich völlig schmerzbefreit.

STANDARD: Die ÖVP koaliert im Bund mit den Grünen. Sie galten als großer Anhänger einer ÖVP-SPÖ-Zusammenarbeit. Ist das Ihre präferierte Regierungskonstellation?

Drexler: Also für mich hier in der Steiermark, wir haben das Glück, etwas in den letzten Jahren entwickelt zu haben, was leider die Ausnahme ist. Nämlich eine wirklich vertrauensvolle, exzellente Zusammenarbeit in einer Regierung. Eine sozialdemokratisch-bürgerliche Koalition hat gewaltige Gestaltungskraft.

STANDARD: Auch im Bund? Wären Sie froh, wenn es auch auf Bundesebene wieder eine ÖVP-SPÖ-Koalition gäbe?

Drexler: Wenn ein Wahlergebnis eine solche Regierung möglich macht, dann würde es mich freuen, ernsthaft in Verhandlungen einzutreten.

STANDARD: Auch als Juniorpartner?

Drexler: Sicher.

Medizinstudium: "Situation ist absurd"

STANDARD: Sie waren Spitalslandesrat und federführend an der umstrittenen Spitalsreform mitbeteiligt. Was ist zu tun, damit das Gesundheitssystem jetzt nicht völlig kollabiert?

Drexler: Bei den Ärztinnen und Ärzten, glaube ich, dass sich die Diskussion besonders dogmatisch verfestigt hat, die Medizin-Universitäten sagen, wir brauchen keine zusätzlichen Studienplätze, sondern es muss genau diese Qualität haben. Aber wir müssen an den Unis einfach die Zugänge aufweichen. Die Situation ist absurd, dass nur zehn Prozent der jungen Leute, die Ärztinnen oder Ärzte werden wollen, diese Ausbildung aufnehmen können. Wir brauchen nicht nur junge Menschen, die Nobelpreisträger werden wollen, sondern auch welche, die zum Beispiel eine Landpraxis übernehmen. Ich weiß aber auch, dass wir an den Rahmenbedingungen für die Ärzteschaft arbeiten müssen. Das ist nicht immer nur die Bezahlung. Im niedergelassenen Bereich glaube ich, dass wirklich die Krankenversicherung, also hauptsächlich die Österreichische Gesundheitskasse, gefordert wären, den niedergelassenen Bereich zu verbessern. Ich war ja sehr für die Fusion der Gebietskrankenkassen.

STANDARD: Das mit der Einsparung einer Milliarde hat ja nicht so toll funktioniert.

Drexler: Na ja, gut, aber es könnte noch funktionieren. Wobei ich die Einsparung von einer Milliarde immer für ein ambitioniertes, kühnes Ziel gehalten habe.

STANDARD: Was sagen Sie zur angekündigten Verordnung der Umweltministerin, dass die Industrie von Gas auf Öl umsatteln soll?

Drexler: Ich halte es für sehr vernünftig, dass die Bundesregierung hier mit kühlem Kopf die Situation beurteilt, Notfallpläne ausarbeitet und daher auch entsprechende Vorschläge und Handlungsanweisungen gibt.

STANDARD: Aber warum wird immer erst gesagt, wie es weitergeht, wenn es brennt? Auch bei den Schulen in der Pandemie?

Drexler: Weder für die Pandemie noch für eine Krise wie den Krieg hatte man eine Checklist in der Schublade. Ich kann nur für meinen Bereich sagen: Wir wollen uns sehr gut vorbereiten für alle Szenarien der Pandemie.

Nein zur Nato

STANDARD: Sie haben 2007 die Neutralität als Staatsmärchen bezeichnet. Da gab es bei Ihnen einen Schwenk. Weil der Kanzler die Debatte abgedreht hat oder weil wir russisches Gas brauchen?

Drexler: Natürlich hat sich die sicherheitspolitische Diskussion in den letzten 15 Jahren weiterentwickelt. Natürlich auch durch die Partnerschaft für den Frieden mit der Nato.

STANDARD: Sie sind für einen Nato-Beitritt?

Drexler: Nein! Aber wenn man sich zu dieser österreichischen Neutralität bekennt, muss damit das Bekenntnis zu einem ordentlich ausgestatteten Bundesheer einhergehen.

STANDARD: Aus der Kunstszene hörte man fast ein Aufatmen, dass Sie die Kulturagenden behalten. Haben Sie es niemand anderem zugetraut?

Drexler: Es ist ziemlich bekannt, dass mir die Kultur relativ viel Freude bereitet hat. Aus der Szene fragten viele, ob ich die Kultur wohl behalten werde. Die sind aber offene Türen eingerannt, weil ich das von Haus aus wollte. Natürlich hat es damit zu tun, dass wir in dem Bereich Dinge angefangen haben, die ich ganz gerne selbst weiterführen würde. Zum einen der Prozess der Strategie 2030, wo wir jetzt gerade acht Regionalkonferenzen hinter uns haben mit künstlerischen Porträts der Regionen.

STANDARD: Die Intendantin des Steirschen Herbstes, Ekaterina Degot, ist Russin und wird mit ihrer klaren Haltung im neuen Programm gegen den Krieg in der Ukraine wohl nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren können. Was sagen Sie dazu?

Drexler: Ich halte sie grundsätzlich schon für eine außerordentlich bemerkenswerte Persönlichkeit, und ich halte ihre so klare Positionierung für wirklich großartig. Denn diese hat natürlich auch persönliche Konsequenzen für sie. Und ich schätze sie auch sehr als Intendantin und bin froh, dass sie hier die zweite Periode machen wird.

STANDARD: Die höchstgerichtliche Entscheidung in den USA, die nun Abtreibungen verbietet, beschäftigt auch in Österreich viele Frauen. Dass es so weit kam, wurde von christlic- fundamentalistischen Kräften innerhalb der Republikaner vorangetrieben. Sie sind Katholik, aber auch Verfechter eines säkularen Staates. Wie positioniert sich die ÖVP, wenn etwa die Fristenlösung plötzlich infrage gestellt würde?

Drexler: Ich glaube, das war damals, unter der absoluten Mehrheit der SPÖ im Übrigen, eine für die damalige Zeit gute Lösung. Es wird so oft über die Sehnsucht nach pragmatischen Lösungen geredet. Die Fristenlösung ist eine pragmatische Lösung, die gut funktioniert. Es braucht überhaupt keine Diskussion darüber in Österreich. (Walter Müller, Colette M. Schmidt, 6.7.2022)