Im Tourismus und am Bau sind vorübergehende Trennungen besonders beliebt.

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Es ist ein Vorschlag, der die Koalition spaltet, die Gewerkschaften auf die Barrikaden treibt und im Tourismus für Unmut sorgt. Sollen Arbeitslose künftig auch bei einvernehmlicher Trennung oder sogar bei einer Kündigung durch den Unternehmer zwei Wochen kein Arbeitslosengeld erhalten? Die Idee propagierte Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher in den Gesprächen mit den Grünen über eine Reform der Arbeitslosenversicherung.

Lange Zeit wollte sich niemand offiziell zu der Debatte äußern. Kürzlich wagte sich AMS-Chef Johannes Kopf in Ö1 aus der Deckung: Eine solche Wartefrist sei "interessant und diskutierenswert". Aber warum drängt Kocher darauf, was wären die Folgen?

Ironischerweise ist die Debatte bloß ein Nebenprodukt der geplanten Arbeitsmarktreform. Kochers Lieblingsprojekt ist, ein degressives Arbeitslosengeld einzuführen, also ein Stufenmodell beim AMS-Geld.

Wer künftig den Job verliert, soll zunächst etwas mehr Geld bekommen als derzeit. Aktuell erhalten Arbeitslose zunächst 55 Prozent ihres Letztgehalts. Grüne und ÖVP sind sich einig, dass die AMS-Zahlungen auch künftig nicht unter das aktuelle Niveau fallen sollen.

Entweder muss also irgendwoher mehr Geld kommen für die Arbeitslosen, oder es braucht Einsparungen an anderer Stelle. Mehr Geld: Damit tut sich die ÖVP, die traditionell betont, dass es für Arbeitslose nicht zu gemütlich werden dürfe im Land, schwer. Hier kommt die Wartefrist ins Spiel. Laut Berechnungen von Ökonomen dürfte die Einführung einer zweiwöchigen Wartefrist das Kocher'sche Stufenmodell weitgehend finanzieren.

Was würde das für Arbeitslose bedeuten? Da spricht AMS-Chef Kopf zu Recht von einer Umverteilung: Wer kurz arbeitslos ist, würde schlechter aussteigen, wer es länger bleibt, etwas besser. Es geht also um eine Umverteilung der Mittel, keine Kürzung.

Ein Beispiel: Eine Überlegung im Zuge der Reform ist, zwei Wochen kein AMS-Geld zu bezahlen und dann für zweieinhalb Monate 70 Prozent vom letzten Nettogehalt. Wer im neuen Modell einen Monat arbeitslose wäre, würde also statt so wie derzeit 55 Prozent nur noch 35 Prozent seines Letztbezugs vom AMS erhalten. Wer drei Monate keinen Job findet, bekäme für drei Monate 175 Prozent seines Letztverdiensts (35 plus 70 plus 70). Im alten Modell waren es bloß 165 Prozent (dreimal 55).

Wer beim AMS geparkt wird

Die Debatte um Wartezeiten hat inzwischen aber noch eine zweite, vielleicht sogar spannendere Flanke bekommen: Dabei geht es um die vorübergehenden Kündigungen. Österreichs Arbeitsmarkt ist "geprägt" davon, dass ein großer Teil der Menschen, die ihren Job verlieren, nur beim AMS zwischengeparkt wird, wie der Arbeitsmarktökonom Helmut Mahringer vom Wifo sagt.

Unternehmen trennen sich von ihren Mitarbeitern und vereinbaren, die Leute später wieder aufzunehmen. Wie eine Studie Mahringers und seines Kollegen Rainer Eppel zeigt, kehren in Österreich im Schnitt 35 Prozent der Personen nach einer Periode der Arbeitslosigkeit zum vorigen Arbeitgeber zurück. Für die Arbeitslosenversicherung ist die Aussetzung von Dienstverhältnissen mit Mehrkosten von etwa 500 Millionen Euro im Jahr verbunden, heißt es in der Studie.

Die Ökonomin Andrea Weber von der Central European University hat dazu gerade eine Forschungsarbeit angefertigt. Darin zeigt sich die Dimension des Phänomens: Zwei Drittel der Unternehmen in Österreich nutzen vorübergehende Kündigungen, allen voran im Tourismus und im Baugewerbe. Aber auch vorgelagerte Wirtschaftszweige, Zulieferer und Dienstleister schicken ihre Mitarbeiter zum AMS, um Schwankungen bei der Auslastung auszugleichen.

Vor allem im Westen ist das Modell beliebt: In Tirol und Salzburg entfallen mitunter fast 70 Prozent aller der Kündigungen auf solche "temporary layoffs", wie Experten sagen.

Meist versprechen die Arbeitgeber den Mitarbeitern, sie in fünf bis 15 Wochen wieder zu beschäftigten. Die meisten saisonalen Kündigungen gibt es im Dezember, wenn Betriebe über die Feiertage zusperren und Bauarbeiter weggeschickt werden (siehe nächste Grafik).

"Chef, das geht nicht"

AMS-Chef Kopf argumentiert, dass eine zweiwöchige Sperre dazu führen würde, das Phänomen vorübergehender Trennungen etwas zurückzudrängen. Mehr Arbeitnehmer würden sagen: "Chef, das geht nicht mehr, ich bekomme kein Geld, du musst mich durchgängig beschäftigten." Vor allem bei ganz kurzen Episoden vorübergehender Trennungen könnte eine Wartefrist einen positiven Effekt haben. Eine Wartefrist würde also in dieser Leseart die Reform finanzieren, verhindern, dass Unternehmen auf Kosten der Versicherten ihre Leute beim AMS parken. Und die Beschäftigung würde steigen.

Andere Expertinnen und Experten sind skeptisch. Ökonom Mahringer vermutet, dass die Effekte einer Wartefrist gering wären. Ob Arbeitnehmer damit saisonale Kündigungen abwenden würden, ließe sich pauschal nicht sagen. Es hänge vom Jobmarkt und dem Betrieb ab. "Will ich verhindern, dass Arbeitgeber das System überbeanspruchen, warum belaste ich die Arbeitnehmer damit, wenn ich doch die Arbeitgeber zu einer Verhaltensänderung bringen will?", fragt sich Mahringer. Demgegenüber stehe, dass der finanzielle Einschnitt für manche das Armutsrisiko erhöhen könnte.

Sein Gegenvorschlag lautet, dass Unternehmen sowohl bei einer unternehmensseitigen Kündigung als auch bei einer einvernehmlichen Kündigung die ersten beiden Wochen das Arbeitslosengeld übernehmen. Umgekehrt gibt es Einschränkungen: Kündigt ein Arbeitnehmer, trifft ihn eine vierwöchige Wartefrist beim AMS-Geld.

Beiträge senken

Mahringer plädiert dafür, im Gegenzug die Beiträge der Betriebe zur Arbeitslosenversicherung zu senken, damit würde Unternehmer keine Mehrbelastung treffen. Geld für ein degressives Arbeitslosengeld bliebe dann freilich nicht.

Von dem sind ohnehin weder er noch seine Kollegin Weber überzeugt: Beide sagen, ein degressives Modell habe nur geringe positive Anreizeffekte, um Menschen in Jobs zu bringen. Weber sagt auch, dass durch eine Wartefrist das degressive Konzept kaputtginge. Und: Die Wartefrist könnte ein Anreiz bei manchen Arbeitslosen sein, sich gar nicht beim AMS zu melden, weil es eben zumindest für bestimmte Zeit kein Geld gibt.

Unternehmen einen Beitrag abzuverlangen, könnte natürlich auch nachteilige Wirkungen haben. Betriebe, die ums Überleben kämpfen und sich von Mitarbeitern trennen müssen, wären damit schwerer belastet.

Skeptisch sind auch die Grünen, die eine AMS-Wartefrist nur wollen, wenn Arbeitgeber dafür im Gegenzug für diese Zeit die Zahlungen an die Arbeitslosen übernehmen.

Aber auch innerhalb der ÖVP ist das Thema umstritten. Auch die Touristiker winken ab: Es mache den Tourismus als Arbeitgeber nicht attraktiver, sagt Walter Veit, Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung. "Für die Mitarbeiter, die dann zwei Monate gekündigt werden, wird das schlimm, wenn es weniger Geld für die gibt."

Die Arbeiterkammer erteilte der Idee am Donnerstag eine Abfuhr. "Das sind Dinge, die wir ganz klar ablehnen", stellte die Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien klar. Die Kosten würden laut AK auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer übertragen. (András Szigetvari, 7.7.2022)