Elyas M'Barek im Film "Liebesdings" im Blitzlichtgewitter.

Foto: Constantin Film

Das "3000"-Ensemble in "Liebesdings" (v. li.): Linda Pöppel, Paul Zichner, Victoria McConnell, Anna Thalbach, Maren Kroymann, Simon Pearce und Lucie Heinze.

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Anika Decker, Autorin von Kinohits wie "Keinohrhasen", "Zweiohrküken", "Rubbeldiekatz" und "Traumfrauen".

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"Wenn die Frau das Becken nach vorne macht, dann isses gut, verstehste? Und wenn die Frau das Becken zurück macht, isses nicht gut!" Für diese deutliche Lektion über Oralsex in Til Schweigers Komödie "Keinohrhasen" aus dem Jahr 2007 kann sich die Welt bei Anika Decker bedanken, die zum Kassenschlager das Drehbuch geschrieben hat. Inzwischen drehte sie nach "Traumfrauen" (2015) und "High Society" (2017) ihren dritten Film, "Liebesdings". Elyas M’Barek spielt Deutschlands berühmtesten Schauspieler, der auf der Flucht vor einem Medienfiasko bei einem geldlosen feministischen Off-Theater landet und sich dort heftig in dessen Leiterin, gespielt von Lucie Heinze, verliebt.

KinoCheck

STANDARD: Angeblich gibt es ja keine Frauen, die Blockbuster schreiben und drehen können.

Decker: Es gibt erstaunlich viele Frauen, die's angeblich nicht gibt, angeblich existiert ja auch keine Frau, die über 22 ist, sexy ist und Kinohauptrollen spielen kann.

STANDARD: Frauen sind ja immer irgendwas "zu", zu laut, zu leise, zu penetrant, zu geduldig ...

Decker: Das habe ich besonders in meinem Beruf kennengelernt. Du erfindest Figuren, und dann sitzt du in Drehbuchbesprechungen und denkst: Wieso reden wir eigentlich die ganze Zeit über die Frauenfiguren? Also die hat zu wenig Sex oder zu viel, sie ist zu vorlaut oder sie hat zu viele Fehler. Ich habe bis heute nicht rausgefunden, wie eine Frauenfigur zu sein hat, damit in einer Besprechung keiner mehr irgendwelche Befindlichkeiten äußert. Da geht‘s oft gar nicht um Dramaturgie, sondern darum, wie jemand eine Frau haben möchte.

STANDARD: Lubitsch oder Ephron?

Decker: Schwierig. Ich bin so ein Nora-Ephron-Fan. Ja, Ephron. Definitiv. "When Harry Met Sally..." ist mein Bildschirmschoner, das ist mein Glücksbringer! Der ist so wahrhaftig, so aktuell, so modern immer noch, so fantastisch geschrieben, dass ich's nicht fassen kann.

STANDARD: "Harry und Sally" lebt davon, dass Ephron lauter echte Geschichten reingepackt hat in diese Struktur, die eine romantische Komödie eben hat ...

Decker: Wie jedes andere Genre auch. Wenn man in einem nachdenklichen Arthouse-Film plötzlich ein Happy End hätte, würden sich auch alle erschrecken. Ich nehme alle Ideen aus dem Leben. Und die absurdesten glaubt mir dann niemand. Wenn Lucie Heinze in "Liebesdings" sagt, sie hat keine Lust mehr, sich mit Typen zu beschäftigen, die ein ganzes Hochschulstudium geschafft haben, aber keine Ahnung haben, wie die Klitoris funktioniert, das war ein Gespräch mit einer Freundin, die frustriert von einem ganz merkwürdigen One-Night-Stand mit einem BWLer kam.

STANDARD: War Elyas M'Barek schwer zu überreden?

Decker: Er hat glücklicherweise eine sehr große Liebe zur Queer-Community, und er fand das Set-up toll, dass man hinter die Kulissen eines Stars guckt. Er hat innerhalb von 24 Stunden zugesagt. Auch Alexandra Maria Lara, die auch so eine Traumbesetzung für mich war, für diese Boulevardreporterin aus der Hölle ... Ich gucke ja insgeheim leidenschaftlich Klatsch und Tratsch, und ich möchte ungern da auftauchen ...

STANDARD: Womit wären Sie erpressbar?

Decker: Gott, mit vielem. Iris Berben hat zu mir einmal gesagt, sie ist heilfroh, dass es früher keine Handykameras gab, das wäre ihr zum Verhängnis geworden. Ich gebe lieber keine Hinweise (lacht).

STANDARD: Die riesige samtene Vulva am Set ist ein Traum ...

Decker: Ich habe mich selten so wohlgefühlt an einem Set. Ich habe auch allen möglichen Kram zu Hause, so kleine bestickte blutige Tampons und so. Ich kam rein, da stand dann gleich "Viva la vulva", dann haben wir uns in den Drehpausen in diese plüschige Riesenmuschi gekuschelt, das war wunderschön.

STANDARD: Es gibt so viele deutsche "Bubenfilme", und bei Feminismus und queeren Menschen heißt es dann, das betrifft niemanden ...

Decker: Das ist einfach kompletter Quatsch. Das ist unsere Welt. Es ist einfach völlig naiv zu glauben, die Welt wäre hetero und cis-gender und weiß. Die Welt ist nur so in den Vorstandsetagen.

STANDARD: Sie haben vor Jahren einmal auf Twitter gewitzelt, dass Schreiben eine tolle Ausrede ist, sich sinnlos teure Pyjamas im Internet zu bestellen, ist das immer noch so?

Decker: Ich habe mir zu jedem Drehbuch einen neuen Pyjama gekauft und habe da tief in die Tasche gegriffen, jetzt habe ich mir einmal ein paar Jahre Pyjamapause verordnet. Aber ja, ich muss mich einfach an den Schreibtisch locken. Für mich ist Schreiben einfach der schwierigste Job, der größte Berg, den ich besteigen muss, und gleichzeitig macht's mich auch total glücklich.

STANDARD: Angeblich sind Sie damals quasi per Zufall und mit Ideen auf dem USB-Stick bei Til Schweiger gelandet. Aber korrigieren Sie mich, wenn ich da falschliege.

Decker: Ja, das waren die Zeiten des USB-Sticks. Bei vielen Geschichten ist der Zufall im Spiel, dazu muss man aber auch wissen, dass die Filmbranche sehr, sehr klein ist, da ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht so klein. Diese Oralsexszene aus "Keinohrhasen" war ursprünglich als Kolumne geplant. Ich hatte gerade als selbstständige Autorin losgelegt und hatte auch bei einem großen Sender einen Pitch gewonnen. Es war für mich toll, diesen Film schreiben zu dürfen, und Kino hat mich auch gereizt, aber ich wäre jetzt auch nicht verhungert, wenn das nicht passiert wäre. Das muss man beim Zufall immer dazusagen: Letztlich geht ohne harte Arbeit nichts. Und ja, jetzt sind wir leider unterschiedlicher Meinung, was die Bezahlung angeht. Ich habe die erste Stufe der Stufenklage gewonnen.

STANDARD: Das ist ja nicht nur Ihr Privatvergnügen ...

Decker: Überhaupt nicht. Es ist erstens überhaupt gar kein Vergnügen (lacht laut), ich kann mir privat etwas viel Schöneres vorstellen, zweitens verklage ich ja in erster Linie einen weltweiten Konzern, Warner Bros., und da ist man natürlich nicht sonderlich entspannt, wenn acht Rechtsanwälte reinkommen, und man sitzt da auf der Gegenseite zu zweit, und die unendlich tiefen Taschen dieses Weltkonzerns hat man dummerweise auch nicht. Aber mir geht's ums Prinzip. Die Erträge der Kinobranche in der Zweit-, Dritt-, Fünft-, Sonstwasverwertung sind völlig intransparent. Eigentlich haben wir Urheberinnen und Urheber das Recht, Einsicht in diese Erträge zu bekommen, und das habe ich erkämpft. Und jetzt können nach mir Kolleginnen und Kollegen kommen und das sehr viel leichter einfordern, und das macht mich stolz und glücklich. (Julia Pühringer, 8.7.2022)