Der Mann hat gern das Zepter in der Hand, was sich auch an diesem sonnigen Nachmittag im Besprechungsraum der Industriellenvereinigung in Linz zeigt. Stefan Pierer legt gleich bei der Begrüßung freundlich, aber bestimmt seine thematischen Schwerpunkte für das Interview fest ...

STANDARD: Beginnen wir dennoch mit meinen Fragen. Teuerung, Energiekrise – es gibt wohl leichtere Zeiten, um das Amt des IV-OÖ-Präsidenten zu übernehmen, oder?

Pierer: Ich bin zwar schon Jahrzehnte als Unternehmer unterwegs, aber die Kombination, die wir derzeit haben, ist sicher einzigartig.

STANDARD: Hat die Politik den Ernst der Lage erkannt?

Pierer: Die Politik hat leider keinen Plan. Man ist da extrem säumig, und man hat viel zu spät damit begonnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

STANDARD: Welche Maßnahmen würde es jetzt brauchen, um mit einem halbwegs guten Polster durch den Winter zu kommen?

Pierer: Man braucht ja nur einen Blick nach Deutschland zu werfen. Da setzt die Politik auf eine offene Kommunikation, es werden verschiedene Varianten und Strategien durchgespielt. Oberösterreich ist die industrielle Kornkammer Österreichs, mit 27 Prozent Wertschöpfung. Und gerade die jetzt betroffene Industrie sitzt in Oberösterreich. Ich kenne als IV-Präsident immer noch nicht die 35 Betriebe, die abgedreht werden sollen. Schon spannend – mehr braucht man nicht dazu zu sagen.

"Ich verstehe die Besorgnis der Menschen. Die Lage ist sehr ernst, im Herbst werden Preiserhöhungen erheblichen Ausmaßes kommen", meint KTM-Chef Stefan Pierer.
Foto: Alexander Schwarzl

STANDARD: Nochmals – welche konkreten Schritte braucht es jetzt?

Pierer: Die Gasspeicher werden ja aktuell aufgefüllt. Fakt ist, dass von 11. bis 21. Juli Nord Stream immer gewartet wird. Dann kann ich alles durchspielen – liefert Putin nach dem 21. Juli noch was oder nicht? Liefert er nichts, muss ich schauen, wie viel ich auf Lager habe, wer braucht wie viel, wie lange komme ich aus. Ganz einfach, wie man das in jedem Unternehmen macht. Das hätte man schon vor zwei Monaten machen können. Aber ein vorausschauendes Denken fehlt in der Politik komplett. So ein Verhalten ist besorgniserregend.

STANDARD: Welche Auswirkungen wird die Krise auf die heimische Industrie und letztlich auf uns haben?

Pierer: Fragen Sie einmal bei der Voestalpine nach, wie die Situation ist. Gas ist der zentrale Energieträger in der Industrie, nicht der Strom. Und wenn sie die Grundstoffindustrie abstellen, dann stellen sie die gesamte Lieferkette ab.

STANDARD: Wie groß ist die Gefahr, dass es angesichts der angespannten Lage zu einem gesellschaftlichen Kollaps im Herbst kommt?

Pierer: Ich verstehe die Besorgnis der Menschen. Die Lage ist sehr ernst, im Herbst werden Preiserhöhungen erheblichen Ausmaßes kommen. Aber nochmals: Was macht die Politik? Man müsste in diesen Krisenzeiten halt den Strompreis deckeln. Es ist nicht so kompliziert.

Pierer spart nicht mit Kritik an der politischen Führung des Landes. Es fehle in Krisenzeiten "ein vorausschauendes Denken".
Foto: Alexander Schwarzl

STANDARD: Ein großes Thema ist vor allem der Arbeitskräftemangel. Wie kann man da gegensteuern?

Pierer: Wir haben die demografische Entwicklung immer verdrängt. Die Situation ist schon jetzt dramatisch, und es wird sich noch weiter zuspitzen. Denn die Babyboomer-Generation, der auch ich angehöre, geht jetzt allmählich in Pension. Und wenn hundert in Pension gehen, kommen nur 54 nach. Das kann sich schon rein rechnerisch nicht ausgehen.

STANDARD: Aber was wäre zu tun?

Pierer: Wir müssen die, die im Arbeitsprozess sind, motivieren. Es muss im Geldtascherl ankommen – mehr Netto vom Brutto. Die ersten 20 Überstunden im Monat vollkommen steuerfrei. Und junge Leute bis 30 sollen nur den halben Steuersatz zahlen. Für Vollzeit, nicht bei 30 Stunden. Und wir müssen mehr Frauen Vollzeit in den Arbeitsprozess bringen. Dazu kommt, dass wir die Leute mit 61,2 Jahren in Pension schicken – das ist doch ein Wahnsinn. Ich bin 65, da wäre ich schon drei Jahre daheim und wahrscheinlich verblödet.

STANDARD: Es ist durchaus verwunderlich, dass Sie im gesamten Interview mit der Politik so hart ins Gericht gehen – gelten Sie doch als schwarzer Gönner und ÖVP-Großspender. Wohnen da zwei Seelen in Ihrer Brust?

Pierer: Ich habe nicht die ÖVP unterstützt, sondern damals Sebastian Kurz. Es war eine Enttäuschung, das nehme ich zur Kenntnis.

STANDARD: Würde Sie für eine politische Partei nochmals so tief in die Tasche greifen?

Pierer: Meine Zeiten als Weltverbesserer sind vorbei. Ich werde nie wieder politisch etwas spenden. (Markus Rohrhofer, 8.7.2022)