Im Gastblog zeigt der Archäologe Stefan Groh, wie eine gegenwärtige Urlaubsroute bereits im alten Rom von Relevanz war.

Mit Beginn der Ferien hat bereits ein Exodus in den sonnigen Süden eingesetzt. Für eine große Zahl österreichischer Familien ist die Obere Adria ein begehrtes Urlaubsziel, wo kinderfreundliche Sandstrände mit Kulturgenuss und exzellenter Kulinarik kombiniert werden können. Diese Urlaubenden wandern auf den Spuren einer wichtigen römischen Nordsüdroute, der sogenannten Bernsteinstraße, die die antike Handelsmetropole Aquileia bei Grado mit den wichtigen Hauptorten an der Donau, Wien (Vindobona) und Petronell (Carnuntum), verband.

Was unterscheidet eine damalige Reise von heute, wie veränderte sich die Trassenführung und Infrastruktur, und kann man die Ökobilanz einer Fahrt in der Pferdekutsche vor 1.800 Jahren mit jener im Auto des Jahres 2022 überhaupt vergleichen?

Das Ziel der Reise: der zentrale Marktplatz und Verwaltungssitz, das Forum von Aquileia.
Foto: ÖAW/ÖAI, S. Groh

Die Reiserouten

Will man heute von Wien nach Aquileia gelangen, empfehlen Navigationssysteme als kürzeste und schnellste Routen die Südautobahn A2 bis Arnoldstein beziehungsweise Tarvisio und danach entweder die italienische A23 durch das Kanaltal mit der Bundesstraße ab Palmanova bis Aquileia. Oder man nimmt ab Spielfeld die slowenische A1 bis Razdrto, danach die H4 bis Nova Gorica/Görz sowie die italienische A34 bis Vilesse und die A4 bis Palmanova beziehungsweise Aquileia. Letztere Trassenführung ist mit 517 Kilometer beziehungsweise fünf Stunden und 17 Minuten etwas kürzer und schneller als jene durch das Kanaltal, die 520 Kilometer lang ist und eine Fahrtzeit von fünf Stunden und 36 Minuten in Anspruch nimmt.

Die Kartierung der Bernsteinstraße von Vindobona/Wien nach Aquileia mit den bekannten römischen Straßenstationen und Städten.
Foto: ÖAW/ÖAI, H. Sedlmayer

Die römische Reiseroute verlief über die sogenannte Bernsteinstraße, die in der Antike wahrscheinlich "Via Gemina" hieß. Sie war stärker an die "2 PS" der Pferde- oder Maultierkutschen angepasst, indem sie in der pannonischen Ebene trassiert war. So sparte sie die östlichen Ausläufer der Alpen nämlich aus und durchquerte die Provinzen Pannonia superior, Noricum und die X Regio von Italien. Unsere Reise führte von Vindobona über Biedermannsdorf, Baden bei Wien (Aquae) und Müllendorf bis zur ersten Stadt Sopron (Scarbantia). Danach passierte man Szombathely (Savaria), Ptuj (Poetovio), die alle in der Provinz Pannonia superior lagen, gefolgt von Celeia (Celje) in der Provinz Noricum. Ab hier gab die Bernsteinstraße die Trasse der slowenischen A1 über den Trojanerpass (Atrans) bis Vrhnika (Nauportus) vor, dazwischen befand sich die traditionsreiche Kolonie Ljubljana (Emona), die bereits in Italien in der Provinz X Regio lag. Danach erreichte man das 321 römische Meilen oder 475 Kilometer entfernte Aquileia. Die durchschnittliche Reisedistanz pro Tag betrug für Reisende in der Kutsche lediglich 24 römische Meilen oder 35 Kilometer, weshalb man mindestens 13 Tage nach Aquileia unterwegs war. In römischer Zeit brauchte man demnach bereits die heutige durchschnittliche Urlaubsdauer von zwei Wochen für die Anreise.

Von Pinien gesäumte moderne Straße nach Aquileia.
Foto: ÖAW/ÖAI, S. Groh

Die Reisevorbereitungen

Nehmen wir also hypothetisch an, dass ein tribunus (Offizier) der legio X Gemina, der in einem der im Römermuseum Wien begehbaren Häuser des Legionslagers (heute erster Bezirk) mit seiner Familie wohnte, eine dienstliche Reise nach Aquileia mit Privatem verbinden wollte. Dafür musste er Passagierscheine, diplomata, bei seinem Vorgesetzten, dem Lagerkommandanten, einholen. Ohne solche Dokumente war eine derartige Reise als Privatsache anzusehen und alle Reise- und Nächtigungskosten mussten selbst getragen werden. Mit der Bewilligung für sich und – da triftige Gründe vorlagen – auch für seine Frau wurde jedoch ein Einsatz im "staatlichen Interesse" bestätigt. Plinius der Jüngere, amtierender Provinzstatthalter, kommentierte einen ganz ähnlich gelagerten Fall in einem Schreiben an Kaiser Trajan: "Da erschien es mir hart, ihr (seiner Angetrauten, Anm.) die Benutzung des Reisepasses zu versagen." Versehen mit den nötigen Dokumenten konnte unser Legionsoffizier somit nicht nur die Reisemittel, Kutsche und Pferde, sondern vor allem die gesamte sonstige Infrastruktur der Bernsteinstraße mit Quartiergebern (hospites) und Pferdewechsel in Anspruch nehmen.

Tribunenhäuser mit Fußbodenheizungen im Römermuseum Wien. Hier könnte unser Offizier der legio X Gemina in Vindobona mit seiner Familie gewohnt haben.
Foto: ÖAW/ÖAI, S. Groh

Die Transportmittel in römischer Zeit

Unser Offizier legte die Reise auf dem Pferderücken zurück, während sein Frau samt Kind in der von Pferden gezogenen Kutsche fuhr, ganz wie auf dem römischen Reliefstein aus Bruckneudorf im Burgenland ersichtlich. Solche gedeckten Reisewagen wurden carruca dormitoria, also Schlafkutschen, genannt, zählten zur Luxusausführung und wurden mit besonderer Vorliebe von Frauen genutzt. Daneben gab es offene Reisewagen (raedae) und zahlreiche von Ochsen und Maultieren gezogene Transportwagen. Hinzu kommen Reisende auf Pferderücken oder per pedes, man kann sich die Straßen also sehr belebt und stark frequentiert vorstellen.


Gedeckter Reisewagen auf dem Weg von Vindobona nach Aquileia. Im Wagen sitzt eine Frau einem Kind gegenüber, dem Wagen folgt ein Pferd mit Reiter. Grabrelief aus Bruckneudorf (Burgenland).
Foto: http://lupa.at/2247, O. Harl

Die Infrastruktur der Bernsteinstraße

Die Bernsteinstraße war als höherrangige "Staatsstraße" (via publica) mindestens sieben Meter breit, sodass drei Wagen von etwa 1,1 bis 1,4 Meter Spurweite passieren konnten. Überholen war demnach immer möglich. Seitlich entwässerte man die bombierten, geschotterten Straßenkörper mit Gräben. In besonderen Abschnitten wurden zwei parallel verlaufende Trassen errichtet, die dann jeweils dem Militär oder den zivilen Fuhrwerken vorbehalten waren. Die Instandhaltungen wurden den städtischen Verwaltungen übertragen, oft führte diese Arbeiten aber auch das Militär aus. Gepflasterte Straßen gab es in den Provinzen Noricum und Pannonien, wenn überhaupt, nur in den Städten. Im Mittelburgenland bei Frankenau konnte die originale Trasse der Bernsteinstraße letzthin archäologisch untersucht werden.

Die Straßenaufsicht war außerhalb Italiens Organen der Legionen übertragen, den beneficarii, die in eigenen kleineren Militärposten entlang der Straßen stationiert waren und eigene Abzeichen, sogenannte Peltafibeln, trugen. Ihnen oblagen die Personenkontrolle und auch die Sichtung der ordnungsgerecht verzollten Waren. Die diplomata unseres Offiziers wurden sicherlich mehrmals auf ihre Gültigkeit hin kontrolliert.

Entlang der Straßentrasse befanden sich in regelmäßigen Abständen von zwölf bis 15 Kilometern infrastrukturelle Einrichtungen, die man mit den heutigen Autobahnraststätten oder dem Netz aus Gastwirtschaften mit Zimmervermietung und Tankstellen an den Bundesstraßen vergleichen kann. Sie nannten sich je nach Größe und Funktion stabulum ("Stall"), mutatio ("Wechselstation"), mansio ("Herberge") oder statio ("militärischer Posten") und erfüllten den jeweiligen Zweck, nämlich die Pferde zu wechseln, die Gäste zu beherbergen oder die Passanten zu kontrollieren.

3D-Visualisierung einer römischen Raststation (stabulum) an der Bernsteinstraße bei Nemescsó (Ungarn).
Foto: ÖAW/ÖAI, Pazirik Informatikai Kft., Ungarn

Die Navigation

Primär dienten unserem Offizier samt Familie Meilensteine als Entfernungsangaben, sodass man zu jedem Zeitpunkt der Reise, wie auch heute auf den Autobahnen, wusste, wie weit es noch bis zur nächsten Stadt oder gar bis zum gesuchtesten Fernziel, nach Rom, war. Es gab aber auch Straßenhandbücher und -karten mit Entfernungsangaben, von denen zwei besonders detailliert erhalten sind, und zwar das Itinerarium Antonini mit einem Verzeichnis der wichtigsten Reichsstraßen aus dem dritten Jahrhundert nach Christus und die Tabula Peutingeriana aus dem vierten Jahrhundert nach Christus. Deren mittelalterliche Kopie wird in der Nationalbibliothek in Wien archiviert. Stationen und Städte waren in diesen Reisebegleitern vermerkt, wie sie die Kartierung der Reiseroute entlang der Bernsteinstraße sichtbar macht. Verschiedene Symbole bezeichnen die Funktionen dieser Stationen. Auf einen Blick wusste man daher, wie weit die nächste Pferdewechselstation entfernt war oder ob sich in der nächsten Station oder Ortschaft gar eine Badeanlage befand.

Die Ökobilanz der Reise nach Aquileia

Es ist zugegebenermaßen schwierig, die Ökobilanz antiken und modernen Reisens an die Adria zu vergleichen. Dazu kann man hier lediglich die CO2-Emissionen der Transportmittel heranziehen. Ein modernes, noch mit fossilen Brennstoffen betriebenes Fahrzeug mit einem Durchschnittsverbrauch von sieben Litern emittiert etwa 86,3 beziehungsweise 96,5 Kilogramm CO2 bei einer Fahrt von Wien nach Aquileia.

Unser römischer Offizier samt Familie brauchte für die Dauer von 13 Tagen drei Pferde für den Transport. Die größte Auswirkung auf die Ökobilanz eines Pferdes hat das Futter. Ein Pferd benötigt im Jahr durchschnittlich 6.300 Kilogramm Heu und Stroh sowie 750 Kilo Futter, was einem CO2-Äquivalent von 3.100 Kilogramm entspricht. Für unsere Reise werden drei Pferde für zwei Wochen benötigt, wodurch sich ein CO2-Äquivalent von 60 Kilogramm pro Woche und pro Pferd, also 360 Kilogramm errechnen lässt. Berücksichtigt man, dass weder das Futter noch die Einstreu in römischer Zeit mit Kunstdünger erzeugt worden sind, dann kann wahrscheinlich von einer Halbierung der CO2-Emissionen ausgegangen werden. Demzufolge emittierten die Transportmittel unserer römischen Familie etwa 180 Kilogramm CO2 auf der Fahrt von Vindobona nach Aquileia, was etwa dem Doppelten an Emissionen eines fossil betriebenen Fahrzeuges entspräche.

Hafen- und Kanalsystem mit Booten in Aquileia. Blick auf den Campanile des frühchristlichen Domes.
Foto: ÖAW/ÖAI, S. Groh

Fazit der römischen Reise

Die römische Straßeninfrastruktur war gut ausgebaut, was sowohl den intensiven Fernhandel mit Waren aller Art, aber auch den Nachrichtentransfer und vor allem rasche Truppenverschiebungen ermöglichte. Private Reisen waren teuer, eher beschwerlich, einer privilegierten Gruppe vorbehalten und mit durchschnittlich 35 Kilometer pro Tag von langer Dauer. Offizielle Reisen mit diplomata erleichterten den Prozess deutlich, für den Nachrichtentransfer konnten Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 180 Kilometer pro Tag erreicht werden. Die "normale" Kuriergeschwindigkeit betrug im Durchschnitt 60 Kilometer pro Tag. Die CO2-Bilanz einer Reise im zweiten Jahrhundert nach Christus von Vindobona nach Aquileia fiele nach heutigen Maßstäben negativ aus.

Unsere Offiziersfamilie aus Vindobona erreichte nach 13 Tagen die Handelsmetropole Aquileia, der Tribun erledigte seine Agenden am zentralen Marktplatz und Verwaltungssitz, dem Forum, und danach bestieg er mit seiner Familie ein Boot, das sie zur Meeresvilla eines befreundeten Kollegen an die istrische Küste bringen sollte. Hier wollten sie ihren eigentlichen Sommerurlaub abseits der schwülen und staubigen Großstadt verbringen. Doch das ist eine andere Geschichte … Fortsetzung folgt! (Stefan Groh, 14.7.2022)