Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass ein Großteil des Gases, das in österreichischen Speichern lagert, nicht Österreich gehört, sondern Abnehmern in anderen EU-Staaten. Energieministerin Leonore Gewessler hat richtigerweise klargestellt, dass die Regierung auf diese Gasmengen auch dann nicht zugreifen wird, wenn Wladimir Putin die Lieferungen komplett stoppt.

Ausländische Abnehmer, etwa Slowenien, lagern ihr Gas hierzulande im Vertrauen auf den österreichischen Rechtsstaat – und zahlen auch dafür. Dieses Vertrauen zu brechen wäre ein Verstoß gegen internationales Vertragsrecht und außerdem höchst unklug. Denn Österreich ist für seine Energieversorgung auf die Kooperation seiner Nachbarn angewiesen, die Häfen, Pipelines und Flüssiggasterminals haben. Wenn jedes Land nur noch schaut, dass es selbst an Alternativen zum russischen Gas gelangt, dann zieht ein Binnenland wie Österreich den Kürzeren.

Das Gas muss zuerst zu den Haushalten, damit im Winter niemand frieren muss.
Foto: IMAGO/Michael Bihlmayer

Wo das Gas lagert, darf keine Rolle spielen. Aber auch die Frage, wem es gehört, sollte nicht entscheidend sein. Damit die EU mit der russischen Politik der Energieerpressung zurande kommt, muss sie gesamteuropäisch denken und handeln. Eine Energielenkung, wie sie bereits in vielen Staaten überlegt wird, darf nicht an den nationalen Grenzen haltmachen.

Das Gas müsste dorthin fließen, wo es am meisten gebraucht wird – zuerst zu den Haushalten, damit niemand im Winter frieren muss, und dann zu jenen Industrien, die am wenigsten darauf verzichten können. Ob diese in Deutschland, Österreich, Italien oder der Slowakei liegen, ist zweitrangig. Europa ist ein Wirtschaftsraum, in dem alle Rädchen eng miteinander verzahnt sind.

Dafür braucht es eine starke Rolle der EU-Kommission, die ähnlich wie bei der letztlich erfolgreichen Beschaffung der Corona-Impfstoffe sowohl den Einkauf als auch die Verteilung in die Hand nehmen sollte. Das hätte auch den Vorteil, dass die Staaten aufhören würden, den Gaspreis durch hektisches Ankaufen hinaufzutreiben. Damit helfen sie nur Putin und schaden sich selbst. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr schlägt deshalb ein EU-Einkaufskartell vor, das den Preis deckeln und Russland keine Wahl lassen würde, als Gas günstiger abzugeben.

Ein solcher Verzicht auf populistische nationale Egoismen verlangt kurzfristig etwas Großmut. Aber die Menschen würden den Nutzen bald in der Brieftasche spüren. (Eric Frey, 7.7.2022)